Wien - Der erste Satz ist fast Titel, jedenfalls aber Programm: "Wir spielen Land." So beginnt Daniel Mezgers Prosadebüt Land spielen (Salis). Wie einzelne Gewichte an einem Mobile balancieren die drei Themen entlang einer zierlichen Stange, klimpern ein wenig im Wind. Von links nach rechts: "Wir" ist ein schöner Kniff - Vater Moritz, Mutter Vera und drei Kinder. Ein auktoriales Wir, ein Pluralerzähler, der aber auch die Perspektive wechselt, häufig als Kindergruppe auf die seltsame Welt der Erwachsenen schaut und gelegentlich die Familie zusammen vertritt.

Das Wir setzt den Ton, ordnet die Figuren. "Spielen" stellt die Verbindung her: zwar will die Familie auch ernst genommen werden, aber sie beteiligt sich da an etwas, was ihr eigentlich fremd ist und bewahrt deshalb eine gewisse Distanz - zum "Land" nämlich. Grob zusammengefasst also: Die Welt außerhalb der Stadt, in die sie gezogen ist, weil sie wieder zu etwas werden wollen, das ihnen in der Stadt abhandengekommen ist: zum Wir nämlich.

Kaum ein Topos ist in den vergangenen Jahren so gründlich bearbeitet worden wie die Stadtflucht. In der Sachbuchgrabbelkiste stapeln sich Titel von Fernsehmoderatoren und Selbsterfahrungsfeuilletonisten, in der Literaturecke drängen sich Kindheitserinnerungen von Punkrockern. Auflagenstarke Magazine erkitschen ein Idyll, auf das die Leser mit dem Manufactum-Katalog unterm Arm schauen.

Mezger aber geht es um die Familie. Den Fliehkräften der Stadt wollten sie entfliehen, den Affären, den unerfüllten Vorstellungen vom Leben. Die Andeutungen bleiben fein eingestreut, sie verdichten den ersten Satz: Mezgers literarische Hülle zielt auf die gängige Suche nach Sinnmärkten, die kommodifizierte Antworten auf den angeblichen Mangel an Lebenssinn in enttraditionalisierten Gesellschaften feilbieten. Und nun klimpert es ein wenig dissonant in der Erzählhaltung: Das Landvolk darf irgendwo am Rande maulfaul dreinblicken oder sich über den Schulhof prügeln, allein die Blickrichtung wechselt und schlingert durch Nebenstränge. Es ist ein wenig, wie Landleben wohl sein kann: Richtig viel passiert nicht.

Die Krisen bleiben hausgemacht, aus den Figuren wird nicht so recht, was sie versprechen und von sich selbst erwarten - Vera schweigt, die Kinder machen ihres und so muss sich Moritz Rage an der selbstgewählten Utopie festhalten: "Hier auf dem Land ist es anders (...), hier hat man alles. Außer eine Entschuldigung fürs Unglücklichsein."

Grade Vater Moritz, der sich gern selbst reden hört, stellt die Dinge dann auf die Probe: Für die Frau des Dorfschullehrers lässt er die Arbeit ruhen, macht einen Ausflug. Dabei stehen die Hintergedanken im Vordergrund, Christine ist in Moritz verschossen und dem gibt es von Vera auf Dauer zu wenig Applaus: Also steigen sie durch Wald und auf Hügel, statt von dort dann auf ihr Leben hinabzuschauen, wollen sie lieber zueinander.

Die Hände, die aneinandergeraten, die Gliedmaßen, die sich verschränken, bleiben allerdings im Konjunktiv. Alles spielt sich in der Vorstellung ab. Großartige Momente sind das, die wir hier durchleben, der Konjunktiv wird zum Irrealis, denn Schwätzer Moritz macht dem ganzen den Garaus: " Wir sind hier nicht in der Stadt, alles ist viel zu nahe." Vorläufig.

Und während der Alltag in der Schule und auf dem Bauernhof weiter beschwerlich bleibt, ist Land spielen vielmehr Novelle als Roman, eine Erzählung über Illusionen, die sich gegen die Illusionierenden wenden: Wenn die Kinder immer mehr von der Pubertät naschen, bleiben wir ihnen gerne dicht auf den Fer- sen. Als Moritz die Frau des Dorflehrers in den psychischen Ruin treibt, tosen wir durch diesen wie ein wilder Strom, alle Ordnung ist aufgehoben, sogar das Verspielte der Sprache macht dann Platz für nackte Unmittelbarkeit. (Lennart Laberenz, DER STANDARD, 19.9.2012)