Viel Gesprächsbedarf - beim Speaker's Corner auf der Straße ebenso wie hinter den Kulissen.

Foto: Standard/Urban

Wien - Ein Punk mit weißblond gefärbtem Irokesen schaut nur vorbei, um einen gelben VP-Luftballon abzustauben. Andere nutzten die Gelegenheit, um ihrem Unmut über die Pläne zur Verkehrsberuhigung der Mariahilfer Straße Luft zu machen. "Sollen wir wie im 18. Jahrhundert mit Pferdekutschen herumfahren?", empört sich ein junger Mann. Eine Anrainerin stellt die Frage, warum es überhaupt eine Fußgängerzone geben soll: "Ich wohne hier und kann immer über die Straße gehen." Anders sieht das ein junger Mann auf einem Fahrrad: "Wenn alles so bleibt, wie es ist, torpediert man die Mariahilfer Straße als Einkaufsstraße."

Der von der VP initiierte "Speaker's Corner" am Dienstagnachmittag kam zu einem heiklen Zeitpunkt: Ende dieser Woche soll feststehen, wie die verkehrsberuhigte Mariahilfer Straße aussehen könnte. Wie berichtet soll zwischen Andreasgasse und Kirchengasse eine Fußgängerzone entstehen - dort gibt es keine Garageneinfahrten. Die Abschnitte oberhalb und unterhalb sollen von Fußgängern und Radfahrern benützt werden können, zufahren dürfen lediglich Lieferautos (zeitlich begrenzt) sowie Anrainer, die einen Stellplatz haben (zeitlich unbegrenzt). Wenn die Bezirksvertretungen in Neubau und Mariahilf darüber abgestimmt haben, könnte vor Jahresende die Bürgerbeteiligung starten.

Roter Clinch

Es werde noch über Details verhandelt, heißt es - tatsächlich gibt es noch Uneinigkeit, an welchen Stellen Autos künftig die Mariahilfer Straße queren dürfen. Während Rot und Grün im 6. Bezirk bereits übereingekommen sind, dass man von der Otto-Bauer-Gasse nicht mehr in die Zieglergasse in Neubau fahren können soll - eine Lösung, die auch Thomas Blimlinger, der grüne Bezirksvorsteher von Neubau, wünscht -, lehnen die Roten im 7. Bezirk diese Variante ab. "Das ist im Moment nicht vorstellbar", sagt Rainer Husty, stellvertretender Bezirksvorsteher.

Dass er in dieser Frage vor allem mit den Genossen im 6. Bezirk im Clinch liegt, streitet Husty ab: "Es herrscht großer Konsens." Strittig ist jedenfalls, ob man die Einbahnen in der Webgasse und der Schottenfeldgasse umdrehen soll, um den Ausweichverkehr zu unterbinden. Die SP-Bezirksvorsteherin von Mariahilf, Renate Kaufmann, möchte trotzdem keinen innerparteilichen Wickel erkennen. Bei der letzten Sitzung im Sommer habe es noch Übereinstimmung gegeben.

Jank befürchtet "Filetierung"

Einig sind sich die Bezirkspolitiker darüber, dass die Geschäfte künftig nicht mehr den ganzen Tag lang beliefert werden sollen. "Es kann doch nicht jedes Mal wegen zwanzig Semmeln oder zehn Kipferln ein Lieferwagen kommen", sagt Kaufmann. Bei der Wirtschaftskammer kann man freilich nicht verstehen, warum eine fixfertig ausverhandelte Lösung - inklusive ganztägigem Lieferverkehr - wieder über den Haufen geworfen werden soll.

Das sei "absolut unverständlich", sagte Präsidentin Brigitte Jank am Dienstag dem STANDARD. Sie befürchtet zudem, dass die Mariahilfer Straße durch eine "Filetierung" ihren "Charakter als einheitliche Geschäftsstraße" verlieren könnte. Eine Studie der Kammer habe ergeben, dass Unternehmen den ganzen Tag Lieferbedarf hätten, dabei gehe es nicht nur um Kipferln, sondern um große Bekleidungsketten oder Hotels. Der Gesprächsstoff dürfte den Verhandlern also so bald nicht ausgehen. (Bettina Fernsebner-Kokert/Andrea Heigl, DER STANDARD, 19.9.2012)