Die Limnologin Birgit Sattler wird mit elfjährigen Kindern ein Labor im Eispalast im Zillertal errichten.

Foto: Standard/Corn

Mit Sattler sprach Lena Yadlapalli.

 

STANDARD: Sie bemühen sich immer wieder um die Zusammenarbeit mit Schülern bei Ihrer Forschung. Warum?

Sattler: Ich sehe es als zusätzliches Privileg an, in der Forschung auch als Wissenschaftsvermittlerin zu arbeiten. Bei mir und meinem Team geht es viel um unseren unmittelbaren Lebensraum in den Alpen. Man kann bei Kindern nicht früh genug mit der Wissenschaftsvermittlung anfangen.

STANDARD: Ihr aktuelles Schülerprojekt behandelt mikrobielles Leben in der Atmosphäre. Wie werden die Jugendlichen eingebunden?

Sattler: Wir erklären den Schülern zunächst, worum es geht. Dann versuchen wir, ihnen gleich einmal Verantwortung für bestimmte Arbeitsgeräte zu übertragen. Das motiviert sie. Zudem gehen wir mit ihnen hinaus zur Beprobung wie beispielsweise auf den Gletscher. Die Kinder brauchen das Gefühl, dass man sie ernst nimmt und dass sie Teil des Gelingens sind. Dann, so glauben sie, dürfen sie sich auch nicht blamieren.

STANDARD: Wie viel kann man Schülern zutrauen?

Sattler: Man kann ihnen im Rahmen dieser Projekte mehr zutrauen, als wir gedacht haben. Überträgt man ihnen Verantwortung, wachsen sie über sich hin aus. Wir haben zum Beispiel zwei Kinder im Alter von 13 Jahren mit einem Heißluftballon auf 4000 Meter Höhe steigen lassen. Sie haben die Geräte eigenständig bedient, um Bioaerosole in der Atmosphäre zu sammeln. Auch wenn sie vielleicht ein etwas mulmiges Gefühl hatten, waren sie sehr stolz. Bei der Wissenschaftsvermittlung sollte es um das aktive Einbeziehen der anderen Seite gehen.

STANDARD: Was sind dabei die Her ausforderungen?

Sattler: Mit Schülern arbeiten ist eine harte Nuss. Es gibt die Wissensgrenzen sowie sicherheitstechnische Limits. Jeder Forscher bei uns an der Uni muss die Laborregeln strikt einhalten und wissen, was er den Kindern zutrauen kann. Außerdem kann man die Schüler nicht permanent aus dem Schulalltag herausreißen. Doch der Forschungsauftrag ist auch für die Schüler viel Arbeit. Doch sie sagen, das sei es ihnen wert.

STANDARD: Was ist es den Lehrern wert?

Sattler: In unserem derzeitigen Projekt arbeiten wir mit einer Hauptschule zusammen - hier muss ich dem Lehrer Rosen streuen. Ohne Lehrer wie ihn würden solche Projekte nicht funktionieren. Die Zusammenarbeit erfordert von ihnen viel Flexibilität und Spontaneität. Der Lehrplan stellt sie vor die Herausforderung, die Zeit für ein derartiges Projekt zu finden - auch in Kooperation mit anderen Lehrern. Dafür bräuchte es mehr Spielraum, vielleicht auch im Stundenplan. Und dafür müsste im Vorfeld seitens des Unterrichtsministeriums mehr Entgegenkommen bestehen.

STANDARD: Wie war das im konkreten Fall?

Sattler: Es gab nicht nur eine Zusammenarbeit mit dem Biologieunterricht, sondern es waren auch der Zeichen-, der Geografie- und der Englischunterricht eingebunden. Ein Glücksfall. In Englisch wurden die Gespräche mit den internationalen Projektpartnern vor- und nachbereitet. Und zu den gesammelten Felddaten wurden in Mathematik Excel-Graphen erstellt. Das ist ein gutes Konzept, um die Schulfächer besser zu vernetzen. Aber da müssen auch alle mitspielen.

STANDARD: In den Projekten treffen die Schüler auch internationale Partner wie Vertreter von der Nasa.

Sattler: Wir haben die Partner bei ihrem Besuch in Österreich mit in die Schule genommen. Wir waren sehr überrascht, wie viel Englisch die Kinder verstehen. Und die Schüler wissen: Dort steht ein internationaler Kapazunder, der ist zu uns in die Schule gekommen - so haben sie wied erum das Gefühl, ernst genommen zu werden.

STANDARD: Eine Kritik an der Wissenschaftsvermittlung ist häufig, dass sie vor allem Schüler mit akademischem Hintergrund anspricht. Stimmt das?

Sattler: Wenn die Schüler von selber kommen sollen, dann stimmt das wohl. Wenn wir nun mit einer Klasse zusammenarbeiten, so sind alle gefordert, und hier finden wir keine Unterschiede, auch nicht bei Schülern mit Migrationshintergrund. Aber man kann auch nicht alle Schüler in gleicher Art für Forschung begeistern - dies hängt von den Neigungen der Jugendlichen ab.

STANDARD: Jüngst zeigte eine OECD-Studie bei der Bildung in Österreich wieder einige Missstände auf. Motiviert Sie das?

Sattler: Unsere Hauptmotivation ist nicht, dass die Schüler alle auf der Uni landen. Es geht eher dar um, die Neugier, das analytische Denken, das Hinterfragen und die Fähigkeit zum Präsentieren zu fördern. Wir binden die Schüler von der Projektidee bis zur Umsetzung ein. Das ist vielleicht einmal für das spätere Management von anderen Dingen wichtig.

STANDARD: Sie waren schon mehrfach in der Arktis und in der Antarktis. Erfordert eine gute Wissenschaftsvermittlung auch bis zu einem gewissen Grad eine Selbstinszenierung?

Sattler: Ich will, dass die Forschung und nicht meine Person im Vordergrund steht. Außerdem funktioniert diese Arbeit nur in Teamarbeit mit anderen Kollegen. Für die Schüler ist es wichtig, dass sie den Menschen hinter dem Wissenschafter sehen, der auch einmal Fehler machen kann. Und man sollte mit den Kindern auch über etwas anderes reden können als über Wissenschaft - um zu zeigen, dass der Abstand zwischen Forscher und Schüler nicht ewig groß ist. So kann der Funke dann auch überspringen. (DER STANDARD, 19.9.2012)