"Ein Fußballer kann nicht im Alleingang retten, was andere Leute nicht hinkriegen", meint Ronny Blaschke.

Foto: Ronny Blaschke

Wien - In regelmäßigen Abständen taucht das Thema "Homosexualität und Fußball" in den Medien auf. So auch vergangene Woche nach Veröffentlichtung eines anonymisierten Interviews mit einem homosexuellen Profifußballer im deutschen Magazin "fluter." Der in Berlin lebende Journalist und Buchautor Ronny Blaschke hat sich der Thematik bereits 2008 mit dem Buch "Versteckspieler. Die Geschichte des schwulen Fußballers Marcus Urban" gewidmet. Philip Bauer sprach mit ihm.

derStandard.at: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel glaubt an ein gefahrloses Coming-out für Fußballer in Deutschland. Ist es wirklich so einfach?

Blaschke: Ich weiß es nicht, wer kann das schon genau beurteilen? Ich kann nicht sagen, die Fans würden dies schreien und die Medien würde das schreiben. Wenn ich mir aber die hysterische Berichterstattung der letzten Tage ansehe, würde ich mir das als schwuler Spieler auch nicht unbedingt antun wollen. Das Ganze wirkt wie eine Drohung.

derStandard.at: Was stört Sie?

Blaschke: Dieser Personenkult, obwohl es keine konkrete Person gibt. Ein Fußballer kann nicht im Alleingang retten, was andere Leute nicht hinkriegen. Die ganze Verantwortung soll auf einem einzigen Spieler abgeladen werden. Der muss sich outen, der muss uns retten, der muss die Gesellschaft toleranter machen. Nein, das muss er überhaupt nicht.

derStandard.at: Weil es Privatsache ist?

Blaschke: Das behauptet zumindest DFB-Präsident Wolfgang Niersbach. Aber in diesem Fall ist das Private eben doch politisch. Fast jeder Fußballer lässt sich mit seiner Spielerfrau ablichten, das wird ja regelrecht vermarktet. Niemand spricht da von Privatsache. Erst wenn niemand mehr auf das Geschlecht des Partners achtet, haben wir Normalität.

derStandard.at: Wie sollten die Medien mit dem Thema umgehen?

Blaschke: Man muss endlich von der schlüpfrig-skandalösen Berichterstattung wegkommen. Die "Bild"-Zeitung illustriert das Thema zum Beispiel mit einem Schattenriss. Homosexualität im Fußball wird immer als nicht normal, exotisch dargestellt.

derStandard.at: Sie haben vor drei Jahren das Buch "Versteckspieler" geschrieben. Hat sich in der Qualität der öffentlichen Debatte seither etwas verändert?

Blaschke: Wenig. Mario Gomez sagt, Schwule sollen sich nicht outen. Philipp Lahm sagt, Schwule sollen sich nicht outen. Uli Hoeneß sagt, Schwule können sich outen. Bei allem Respekt, diese Menschen verstehen von dem Thema zu wenig. Man sollte eher Aktivisten zu Wort kommen lassen, es gibt ja genug.

derStandard.at: Wo steckt die Debatte fest?

Blaschke: Ich kann mich an eine gruselige Talkshow erinnern. Da haben alle, die als Macho-Trainer bekannt sind, abgesagt. Also hat man den Schwulen-skeptischen Schauspieler Claude-Oliver Rudolph eingeladen, um der Diskussion etwas Pfeffer zu verleihen. So halten wir ein Tabu am Leben, von dem wir uns gar nicht mehr sicher sind, dass es überhaupt existiert.

derStandard.at: Ist es nicht schon ein Fortschritt, dass das Thema überhaupt angesprochen wird?

Blaschke: Es wird doch nur thematisiert, wenn ein Nationalspieler vom Coming-out abrät. Oder wenn so ein Interview wie nun im "fluter" erscheint. Die Medien reagieren nur auf solche Reize und erzeugen damit eine Skandalisierung.

derStandard.at: Das besagte Interview im "fluter" hat nichts Neues gebracht und doch erstaunlich hohe Wellen geschlagen. Warum eigentlich?

Blaschke: Die Reaktionen auf das Interview konzentrieren sich wieder auf die Fahndung nach dem schwulen Superkicker. Man sollte eher ruhig bleiben und sich überlegen, wie man dieses Thema sonst noch bearbeiten könnte.

derStandard.at: Wie könnte man es anders angehen?

Blaschke: Es gibt mehr als 20 schwul-lesbische Fanklubs. Es gibt schwul-lesbische Sportklubs. 2009 gab es ein Länderspiel Deutschland gegen Finnland unter dem Motto "Gegen Homophobie". Der einstige DFB-Präsident Theo Zwanziger hat einen Wagen beim Christopher Street Day gesponsert. In Köln fanden 2010 die Gay Games statt, mit 10.000 Lesben und Schwulen. Bei Olympia in Vancouver 2010 und gerade in London gab es Pride-Häuser, wo sich homosexuelle Fans und Athleten getroffen haben. All das sind große Fortschritte. Darüber kann man berichten. Machen aber die wenigsten.

derStandard.at: Wird das Thema im Deutschen Fußball-Bund immer vernünftig angegriffen?

Blaschke: In einem ARD-"Tatort" fiel 2011 das Zitat einer fiktiven Figur: "Wissen Sie, die halbe Nationalmannschaft ist angeblich schwul, einschließlich Trainerstab." Und wissen Sie, wie Teammanager Oliver Bierhoff darauf reagiert hat?

derStandard.at: Nein, ist mir leider entgangen.

Blaschke: Er hat gesagt: "Ich finde es ärgerlich, dass die Prominenz der Nationalelf missbraucht wird, um irgendein Thema zu entwickeln oder einen Scherz zu machen. Das sehe ich immer auch als einen Angriff auf meine Familie - die Familie der Nationalelf." Und kaum jemand hat auf diese Aussage reagiert.

derStandard.at: Was sagen Sie dazu?

Blaschke: Bierhoff stützt das Ressentiment, dass Homosexualität ein Angriff auf Familienwerte ist und damit eben nicht normal ist. Tauschen wir doch das Wort "schwul" gegen "schwarz" oder "jüdisch". Dann wäre es das wohl für seine Karriere gewesen.

derStandard.at: Homophobie wird weniger geächtet als Rassismus.

Blaschke: Ja, aber wir machen Fortschritte. Dass das ganze Stadion "Oliver Kahn ist homosexuell" singt, das geht nicht mehr. Homophobie ruft noch nicht dieselben Reaktionen wie Rassismus hervor, aber es gleicht sich allmählich an.

derStandard.at: Aber Sie zitieren in Ihrem Buch einen Fall, bei dem die Strafe gegen Roman Weidenfeller reduziert wurde, weil er zu Gerald Asamoah nicht "schwarze Sau", sondern "schwule Sau" gesagt haben soll.

Blaschke: Das ist schon länger her, das war 2007. Ich denke, das könnte in dieser Form heute nicht mehr stattfinden. Da war schon sehr viel Ignoranz und Ahnungslosigkeit im Spiel.

derStandard.at: Homophobie, Rassismus - das ist doch alles nur Frustabbau, oder?

Blaschke: Das ist auch so eine beliebte Legende: Der arme Fußballfan muss die ganze Woche arbeiten und am Wochenende lässt er seinen Frust im Stadion raus. Ja, ja, bei manchen ist das bestimmt so.

derStandard.at: Und wie ist es wirklich?

Blaschke: Wir erleben im Fußball ein einzigartiges Setting. In der verdichteten Masse treffen sich meist junge Männer, die oft auch aggressiv sind und sich emotional hochschaukeln. Das wird genossen.

derStandard.at: Sie haben bereits die schwul-lesbischen Fanklubs angesprochen. Wie wurden die innerhalb der Fanszene aufgenommen?

Blaschke: Es gab anfangs Dissonanzen, mittlerweile werden sie akzeptiert und erzeugen wichtige Aufmerksamkeit. Man kann sich natürlich fragen, warum muss es solche Fanklubs überhaupt geben? Warum können die nicht in anderen aufgehen? Aber einige schwule Fans sind durch diese Fanklubs erst zum Fußball gekommen, da sie sich sonst nicht allein ins Stadion getraut hätten. So krass war das früher.

derStandard.at: Also auch hier eine Entwicklung zum Positiven.

Blaschke: Es ist toll, dass man mit einem schwul-lesbischen Banner ins Stadion gehen kann, das wäre in den meisten Ländern unmöglich, zum Beispiel in der Ukraine, dem EM-Gastgeber dieses Jahres. Leider nutzen Politiker diese Fanklubs aber auch als Feigenblatt. Unser Fußball ist doch so liberal und aufgeklärt! Hinter der Fassade muss man aber auch differenzieren.

derStandard.at: Im Fall des unter Depressionen leidenden und verstorbenen Robert Enke schien es aber, als könne gerade Fußball-Deutschland verantwortungsvoll mit vermeintlichen Tabuthemen umgehen.

Blaschke: Ja, aber wollen wir realistisch bleiben. Es gibt schon deutsche Studien, die belegen, dass ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung homophob ist, latent oder offen. Leute, die die Nase rümpfen, wenn zwei Männer Hand in Hand gehen. Auch ein Klaus Wowereit muss sich noch immer Zoten anhören.

derStandard.at: Ist es im Fußball schwieriger, ein tolerantes Umfeld zu schaffen, als in anderen Lebensbereichen?

Blaschke: In der Kultur gibt es ja nicht diese großen und aufgeheizten Gruppen. Der Fußball ist männlich strukturiert und konservativ. Da darf es keine Schwächen geben. Das ist Sozialdarwinismus pur. Da Homosexualität im Fußball als Schwäche gilt, wird sie hier auch weniger akzeptiert.

derStandard.at: Und trotzdem wird nun geschrieben, das Coming-out rückt näher. Ist dem so?

Blaschke: Wer soll das seriös beurteilen? Diese Debatte hilft uns nicht weiter. Wir sollten eher die Gesellschaft beschreiben, die ein solches Coming-out unmöglich macht. Aber vor allem sollten wir Aktivisten ein Forum bieten und schwul-lesbisches Leben nicht nur auf die bunten Kostüme von Christopher-Street-Day-Paraden reduzieren.

derStandard.at: Aber ein Coming-out könnte doch den Weg zur Normalität ebnen, den ganzen Prozess beschleunigen.

Blaschke: Vermutlich haben Sie recht. Ohne die Zäsur, die ein Coming-out darstellen würde, nimmt der Mainstream vermutlich kaum Notiz davon. Die Medien würden sich an so einem Fall abarbeiten. Und vermutlich wird es erst dann normal, wenn die Boulevardmedien von ihrem eigenen Thema gelangweilt werden.

derStandard.at: Aber trotzdem wirken Sie skeptisch.

Blaschke: Es wäre wichtig, wenn jemand konkret darüber sprechen würde. Nicht anonym, verschlossen und schwammig, sondern konkret und mit seinem Gesicht. Wir könnten die Diskussion auf ein neues Level heben. Aber wer sind wir, dies einem Spieler aufbürden zu wollen? Das kann man von niemandem verlangen. (Philip Bauer, derStandard.at, 18.9.2012)