In den Nächten schicken die Straßenlaternen flackernde Lichtstrahlen herüber. An klaren Tagen sieht man die Eingangstüren der Häuser an der Küste gegenüber mit freiem Auge. Ist es diesig, meist vormittags, hebt sich ein hellgrauer Streifen aus dem tiefblauen Meer. Nicht mehr als drei Kilometer Luftlinie liegen zwischen dem türkischen Bodrum und der griechischen Insel Kos. Hier eine aufstrebende Stadt, die sich dem Qualitätstourismus verschreiben will. Dort eine Insel im Ägäischen Meer, fern von Athen und dessen erschöpfendem Krisenalltag.
Von Bucht zu Bucht
Da wäre es doch klug zu kooperieren, schlug Uygar Koças vor. Uygar ist ein verständiger Mann. Mit Ausflugsbooten würde der Hotelmanager seine Gäste an die gewünschten Buchten zum Baden schippern. Die überqueren dabei ganz selbstverständlich Grenzen, weiten Räume aus, vernetzen Kulturen.
Touristen länderübergreifend von den Küstenschönheiten hinüber- und wieder zurückreichen. Zu beiderseitigem Nutzen, die totale Win-win-Situation - das wäre doch was, meint Uygar. "Nein", sagten die Griechen zu Uygars Vorschlag. Warum? "Der Bürgermeister mag keine Türken", sagten sie ihm. Damit war die Diskussion erledigt.
Das Verhältnis Griechenland/ Türkei ist historisch gewachsen gespannt. Erst 2011 gruben die Griechen ihren Nachbarn am Grenzfluss Meriç (griechisch: Evros) einen 120 Kilometer langen, 30 Meter breiten und sieben Meter tiefen Graben, auf dass nur ja kein türkischer Eindringling diesen überquere. In den 1990er-Jahren stritten die Regierungen um eine unbewohnte Felseninsel in der Ägäis und riskierten darob beinahe einen Krieg. Derzeit laufen im Hintergrund Gespräche über eine Beilegung des schwelenden Konflikts und nachhaltigen Friedensschluss.
In den Köpfen der Bewohner beider Länder wird das Trennende vermutlich noch eine Zeit weiterwohnen, der Bürgermeister seine Meinung nicht so bald ändern. Für Bodrum und Uygar bedeutet das ein schnelles Ende im Kapitel misslungener Völkerverständigung aufgrund persönlicher Befindlichkeiten. Wer nicht will, der hat eben schon. Schwierig ist der Brückenbau.
Bodrum wird den Korb verkraften. Die Stadt in der türkischen Ägäis hat sich der Kundengruppe "Reich und schön" verschrieben und steht heute besser da denn je. "Saint-Tropez der Türkei" nennt sich das einstige Fischerdorf.
Dass die Klientel auch kommt, dafür sorgen Luxushotels, die sich in den letzten Jahren angesiedelt haben, von Kempinski und Mandarin bis Aman, demnächst Four Seasons und hoch über der Stadt das Marmara, das der STANDARD-Autorin als Stützpunkt für die Recherche diente.
Weit muss man dafür nicht gehen. Schon die Hotelterrasse lädt zum Staunen ein: ein spektakulärer Blick auf die Küste ganz unten und davor die weißgekalkten Häuser, abends auf die Lichter der Stadt. Anders als bei den Betonbunkern Antalyas gibt es in Bodrum eine genau festgelegte Baustruktur: Nur die weißen, maximal zweistöckigen Gebäude sind erlaubt. Das Kastell, daneben die Masten der Segelschiffe stechen mit ihren Lampen an der Spitze wie dutzende Minarette empor: Zum Ruf des Muezzins heulen und kläffen Hunde, Katzen pfauchen.
Je später der Abend, umso mehr mischt sich in diese Geräuschkulisse das Wummern von Bässen im Takt bunter Lichter. Woher das kommt, lässt sich leicht erraten, zusammen mit rot-grün-bunten Lichtspielen überbringen sie die Botschaft, dass da unten langsam, aber sicher der Bär steppt. Bodrum ist Partystadt und verfügt nicht nur über ein hübsch anzusehendes Stadtbild, sondern über ein durchaus exklusives Nachtleben. 5000 Menschen fasst allein das Halicarnassus, Bodrums berühmtester Discoschuppen, benannt nach dem gleichnamigen Mausoleum - auch der antike Name Bodrums -, das man heute noch besuchen kann und von der wechselvollen Geschichte der Stadt erzählt.
Das Mausoleum war eines der sieben Weltwunder. Erbaut von 368 bis 350 vor Christus, errichtete sich König Mausolos damit ein gigantisches Grabmal von rund 50 Metern Höhe. Zerstört wurde es durch ein Erdbeben und - Fluch der Geschichte - respektlose Griechen. Den Rittern von Rhodos war der Tempel offenbar egal. Sie verwendeten die Steine für den Bau der Burg im Hafen. Bodrums Tourismusindustrie wird ihnen in diesem Fall vielleicht verziehen haben, schufen doch die Ritter mit der dreisten Verbringung das Ansichtskartenmotiv der Stadt.
Im Kastell befindet sich ein Unterwassermuseum mit Schiffswracks, die vor der Küste auf den Meeresgrund sanken und von Schwammtauchern gefunden wurden. Das Museum ist das wichtigste seiner Art. Originalgetreu wurde das 1982 in Uluburun bei Kos reichste und älteste jemals entdeckte Wrack wieder aufgebaut. Es stammt aus dem siebenten Jahrhundert. In den Gärten der Burganlage wachsen Zypressen, Olivenbäume, Granatapfelbäume, Oleander, Pelargonien, dazwischen ragen Stelen und Skulpturen aus den bunten Blüten empor.
Im Gegensatz zur antiken Grabstätte sind die Besucher des Nachtclubs zumindest zu Beginn des Abends noch überaus lebendig und entern in Rudeln das Discoschiff Maritime, wild entschlossen zur ultimativen Sause auf hoher See: Schmetterlinge im Bauch ausdrücklich erwünscht! Die Maritime ist ein Katamaran, der die Partygäste nachts hinaus aufs offene Meer fährt. Warum das Partymachen dort spezieller sein soll als am Festland, wissen die Götter, jedenfalls ist bis halb fünf Uhr früh Abtanzen angesagt, dann fährt das Boot zurück in den Hafen und lädt das Publikum erschöpft, aber hoffentlich zufrieden ab.
Ruhiger, beschaulicher lässt sich auf einem Segelboot die ägäische Küste erkunden. Wochenweise kann man die wunderschön gearbeiteten Gulets für die "Blaue Reise" mieten.
Türkische Köstlichkeiten
Bucht für Bucht steuert Ufuk Gürdemir mit der Seyma Kaptan an, den Anker wirft er, wann immer den Reisenden nach Abkühlung ist. Ufuks Verwöhnprogramm: Abendessen an Deck mit Köstlichkeiten der türkischen Küche am reich gedeckten Tisch. Eine Woche lässt sich das garantiert aushalten.
Meeresluft schnuppert man angesichts dieses wohlfeilen Urlaubsangebots am besten abends in Verbindung mit kulinarischer Würze, zum Beispiel 15 Kilometer westlich von Bodrum in einem kleinen Küstenörtchen mit dem wohlklingenden Namen Gümüslük. Direkt am Hafen probiert man von der vielfältigen Küche, natürlich nach türkischem Brauch: Als Begleitung durch alle Gänge hilft das Nationalgetränk Raki, milchig gemixt mit Wasser.
Apropos Luft: Die ist in Bodrum jodhaltig und sorgt für natürliches Wohlbefinden, hilft bei Atemwegserkrankungen wie Asthma und Bronchitis. Den Partygästen kann das nur guttun. (Doris Priesching, Album, DER STANDARD, 15.9.2012)