Um nicht den Eindruck eines totalen Patts im Atomstreit mit dem Iran zuzulassen, hat man ein neues Format ersonnen: ein Spitzentreffen, das keine Gesprächsrunde ist. EU-Außenpolitikchefin Catherine Ashton trifft am Dienstag in Istanbul, wo die Verhandlungen Mitte April ihren Ausgang nahmen - worauf immer schwieriger werdende Runden in Bagdad und Moskau folgten -, den iranischen Atomverhandler Saeed Jalili. Wenn sie aus diesem Gespräch nicht mit der klaren Erkenntnis herauskommen, dass eine Fortsetzung in absehbarer Zeit Ergebnisse bringt, dann wird es eng für die Iran-Diplomatie.

Gleichzeitig steigt pünktlich vor der Generalkonferenz der Atomenergiebehörde und vor der Uno-Generalversammlung das Prophezeiungsthermometer, wann der Iran die berühmte "nukleare Kapazität" erreichen wird. Dieser Zeitpunkt, ab dem Teheran atomtechnisch fähig wäre, eine Bombe zu bauen, ist für Israel die "rote Linie".

Premier Benjamin Netanjahu hat ihn soeben mit "in sechs, sieben Monaten" angesetzt. Er will mehr oder weniger einen Offenbarungseid von Barack Obama, dass die USA den Iran militärisch angreifen, wenn es so weit ist. Abgesehen davon, dass die US-Geheimdienste von Netanjahus Prognose nicht überzeugt sind und Obamas "rote Linie" bei einem tatsächlichen, nicht einem theoretisch möglichen Waffenerwerb des Iran liegt: Kein US-Präsident der Welt, auch nicht Mitt Romney, würde so etwas zusagen. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 18.9.2012)