Ein neuer Aufruhr erschüttert die islamische Welt. Weltweit verbreitete Bilder zeigen das Lauffeuer der Gewalt, den entfesselten und gewalttätigen Volkszorn gegen die westlichen, vor allem die US-Botschaften in Ägypten, Libyen, Tunesien, Jemen und Sudan. In mehr als 20 Ländern hat es Kundgebungen gegen einen unsäglich primitiven von zwei koptischen Exilägyptern in Kalifornien produzierten Film gegeben, der den Propheten Mohammed verunglimpft. Der vorbestrafte angebliche Hauptproduzent stellte den vierzehnminütigen Trailer Anfang Juli ins Netz, aber erst zwei Monate später sprang der zündende Funke der plumpen Provokation von Land zu Land über und löste fast wie auf Knopfdruck Ausschreitungen und empörte Demonstrationen in der muslimischen Welt aus.

Bei der skurrilen Geschichte gibt es keine allgemeingültige Erklärung. Die politischen Umstände ebenso wie die sozial-kulturellen Verhältnisse sind viel zu unterschiedlich, um etwa einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen dem Terroranschlag radikaler Islamisten auf das US-Konsulat in der libyschen Stadt Bengasi und den kleineren Demonstrationen in Marokko oder Pakistan herzustellen. Anders lagen die Dinge in Sudan, wo der Außenminister selbst das Signal für die geplante Erstürmung der deutschen Botschaft in Khartum gab. In manchen Ländern wie in Tunesien und Jemen wurden die Angriffe wütender Mobs auch gezielt als willkommener Hebel in den innenpolitischen Auseinandersetzungen benützt. Hier und dort (wie in Ägypten und Sudan) stehen die islamischen Regierungen unter dem Druck noch radikalerer Fraktionen.

Unversöhnlicher Hass

Man muss allerdings auch betonen, dass in Libyen, wo der hoch angesehene US-Botschafter Christopher Stevens und drei weitere Konsulatsmitarbeiter ums Leben kamen, sowohl die Regierung wie auch spontane Demonstrationen die Terroristen verurteilt haben. Gerade in Bengasi erinnern sich noch viele, dass die Stadt durch die Intervention der USA vor einem Massaker von Gaddafi-Truppen gerettet wurde.

Trotzdem beweisen die weltweiten Proteste gegen das groteske Machwerk Unschuld der Muslime die tödliche Wirkung der von einem unversöhnlichen Hass getragenen Kommunikation in einer vernetzten Welt.

So manches mag sich in den nächsten Wochen beruhigen. Doch zeigt die Wut der heutigen mit Handys ausgerüsteten und mit Desinformationen aus dem Internet angestachelten Mobs die zeitlose Relevanz der Feststellung Gustave le Bons (1942-1931), des Begründers der Massenpsychologie: "Die Masse ist impulsiv, beweglich, irritierbar, leichtgläubig, besessen von übertriebenen Ideen. Sie erliegt leicht Suggestionen, deren Wirkung der Hypnose vergleichbar ist, wird hysterisch und leicht lenkbar." Amerikanische Diplomaten können sich in Saana im Jemen und in Tunis, im irakischen Basra und in Bengasi, in immer mehr Städten ihres Lebens nicht mehr sicher sein. Elias Canettis Warnung in seinem grundlegenden Werk Masse und Macht gilt auch heute: "Die Hetzmasse ist aufs Töten aus, und sie weiß, wen sie töten will, mit einer Entschlossenheit ohnegleichen geht sie auf dieses Ziel los; es ist unmöglich, sie darum zu betrügen." (Paul Lendvai, DER STANDARD, 18.9.2012)