Fragt man 1.000 Menschen, wie etwa das beste Gulasch gemacht wird, hat man am Ende um die 5.000 Rezepte - wenn man die "Man könnte ja, wenn man mag, dann auch noch etwas hiervon oder davon reingeben" mitrechnet. Die Frage nach dem perfekten Motorrad wird wohl kein klareres Ergebnis bringen. Die einen träumen von einem "heißen Ofen", die anderen von einem Schmelzofen, wo jedes Motorrad für ein neues Leben als Nachtscherm aufbereitet wird.

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Trotzdem machte sich Honda auf den Weg und fragte. Die Zielgruppe war recht breit aufgestellt - immerhin soll das perfekte Motorrad dann ja auch eine entsprechend große Käuferschicht ansprechen: Menschen, die ein Mittelklasse-Motorrad fahren möchten.

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Yamaha hat vor Jahren auf ähnliche Weise die Tricker kreiert. Sie fragten, wenn ich mich nicht irre, französische Jugendliche, die in der Stadt wohnen, wie sie sich ihr Traum-Motorrad vorstellen. Man sollte damit über Gehsteige fahren können, durch Baustellen hindurch, es sollte klein und wendig sein, günstig und sparsam. Also baute Yamaha eine Art Trial, mit kleinem Viertaktmotor, Licht, Hupe und dem ganzen Klumpert, das der Gesetzgeber gerne hätte, und schraubte eine Sitzbank drauf. Das Motorrad war für die Zielgruppe und deren Einsatz geradezu perfekt. Die warmen Semmeln verkaufte aber weiterhin der Bäcker.

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Honda will die Wünsche von noch mehr Leuten unter einen Hut bringen. Das heißt dann wohl, dass unter der Gauß‘schen Antwortenglocke heftig an den Rändern geschnippselt werden musste, um zu einem Ergebnis zu kommen. "Es zeigte sich, dass 90 Prozent der Gesamtfahrleistungen in der Regel bei mittleren Geschwindigkeiten und entsprechendem Motor-Drehzahlniveau stattfinden. Weiters kristallisierte sich heraus, dass Kunden allgemein großen Wert auf harmonische und praxisfreundliche Drehmoment-Entfaltung legen, ebenso auf problemlose Bedienung sowie Wartungsarmut und möglichst geringen Treibstoffverbrauch."

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Sehen Sie? Und deswegen hat es um die Umfrage kein großes Bahö gegeben, weil eh nix rausgekommen ist, was irgendwen auch nur im Ansatz verwundert.

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Honda baute dieses Motorrad. Gleich dreimal. Als Tourenbike NC700X (wir berichteten), als Roller-Derivat Integra und als Nakedbike NC700S. Und ja, es ist wirklich dreimal das gleiche Motorrad, nur die Optik und Details am Fahrwerk sind anders. Die Herzstücke Motor, Rahmen, der Aufbau im Inneren sind gleich.

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Der Rahmen war jetzt nicht das große Problem. Es musste wohl ein Stahlrohr-Brückenrahmen werden, um den Preis niedrig zu halten. Herausforderung war wie immer die Zentralisierung der Massen, weshalb der Tank nun - wie wir das von BMW schon kennen - unter die Sitzbank wanderte. Das, was wie ein Tank aussieht, ist eine versperrbare Besenkammer, die 21 Liter fasst. Praktisch ohne Ende - besser als jeder Koffer.

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Die große Herausforderung sah Honda beim Motor. Da lag nichts im Regal, was in dieses Konzept passen würde. Man musste etwas Neues entwickeln. Und man entschied sich für einen langhubigen Parallel-Twin mit 670 Kubikzentimeter. Um die Charakteristik eines V-Twins zu erhalten, nahm Honda eine 270°-Kurbelwelle und versetzte die Zündfolge, klemmte aber nur eine Ausgleichswelle an.

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Der Motor vibriert folglich deutlich. Als ob er Kraft vorgaukeln wollte. Denn 48 PS und ein Drehmoment von 60 Newtonmeter treiben einem nicht das Weiße aus den Augen. Dafür schießt man den Motor beim Beschleunigen regelmäßig in den Begrenzer, weil noch ausreichend Drehmoment vorhanden wäre, wo Honda meint, dass langsam Schluss ist mit der Benzinwüsterei. Denn immerhin wollen sie im Alltagsbetrieb nicht allzu weit von den gemessenen 3,7 Litern Durchschnittsverbrauch auf 100 Kilometer abweichen.

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Dafür bietet Honda sein Doppelkupplungsgetriebe DCT an, nimmt einem das Schalten und Kuppeln ab, dem Begrenzer die Arbeit. Sehr praktisch. Gibt es gar nix.

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Beim Styling der NC700S hat Honda dann auch gleich auf den Mainstream gesetzt. Keine Mutproben, sondern schlicht, sportlich, nackt. Also ist die NC700S durch die Bank gelungen, könnte man sagen. Das wird aber kaum jemand. Denn bei all den Überlegungen blieben wohl die Emotionen auf der Strecke. Es gibt keine Macken, keine Kanten, keine Ecken, aber auch nicht den Kick, wegen dem wohl die Meisten überhaupt Motorrad fahren.

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Honda NC700S

Motor: 2 Zylinder-4-Takt-Motor, 8 Ventile
Hubraum: 670 ccm
Leistung: 35 kW (48 PS) bei 6.250 U/min
Drehmoment: 60 Nm bei 4.750 U/min
Kraftübertragung: Kette
Radaufhängung vorne: 41 mm Teleskop-Gabel
Radaufhängung hinten: Mono-Stoßdämpfer mit Pro-Link-Umlenkung
Bremse vorne: Scheibenbremse, Ø 320 mm, 3-Kolben, C-ABS
Bremse hinten: Scheibenbremse, Ø 240 mm, 1-Kolben, ABS
Reifen vorne: 120/70 ZR17M/C, Reifen hinten: 160/60 ZR17M/C
Gewicht vollgetankt: 211 kg, 215 kg mit DCT
Sitzhöhe: 790 mm
Preis: ab 6.590 Euro

(Guido Gluschitsch, derStandard.at, 17.9.2012)

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