Bild nicht mehr verfügbar.

Nach dem Anschlag auf die US-Botschaft posiert ein bewaffneter Kämpfer vor den Flammen. Wer hinter den Angriffen steckt ist unklar.

Foto: AFP PHOTO

Fünf Tage nach den tragischen Ereignissen im US-Konsulat in Benghazi sind die Spuren der Gewaltausbrüche noch immer sichtbar. Der Leichnam von US-Botschafter Chris Stevens, der in der Nacht auf den 12. September nach einem Angriff auf die amerikanische Vertretung ums Leben kam, ist gemeinsam mit drei weiteren getöteten Amerikanern wieder in den Vereinigten Staaten. Doch wer für den Tod des Botschafters verantwortlich ist, ist ebenso unklar, wie die Frage ob ein wütender Mob, der über den Film "Innocence of Muslims" aufgebracht war, oder doch eine geplante Aktion hinter den Angriffen steht. Antworten sollen Ermittler des FBI finden, die nach Libyen gereist sind. Auch die Frage nach etwaigen Hintermännern aus dem radikal-islamistischen Milieu des Landes soll geklärt werden.

Die Suche dürfte mühsam werden, denn Kandidaten dafür gibt es im heutigen Libyen genügend: Vom wütenden Mob, bis zur radikal-islamische Ansar al-Sharia in Benghazi bis hin zur Al-Kaida.

"Brigaden des inhaftierten Sheikh Omar Abdul Rahman"

Relativ unbekannt, dafür aber ganz oben auf der Liste der Verdächtigen dürften die "Brigaden des inhaftierten Sheikh Omar Abdul Rahman" stehen. Ihren Namen verdanken sie dem religiösen Anführer der ägyptischen Gruppe Gamaa al-Islamiya, der derzeit eine lebenslange Haft wegen seiner Beteiligung an den Bombenanschlägen gegen das World Trade Center 1993 absitzt.

Obwohl weder etwas über die Größe noch die Anführer der Gruppe bekannt ist, hat sie es zu zweifelhafter Berühmtheit in Libyen geschafft: Bombenanschlag gegen das libysche US-Konsulat im Juni, Angriff auf den Konvoi des britischen Botschafters und zwei Attacken gegen das Rote Kreuz im Mai.

"Libysche Islamische Kampfgruppe"

Es ist nur eine von vielen kleinen Gruppen, die nach dem Sturz Gaddafis auf der politischen Landkarte Libyens aufgetaucht sind. Über Zulauf können sich diese nicht beklagen. Das war nicht immer so.

Vor dem Sturz Gaddafis im Jahr 2011 war Libyens dominante jihadistische Bewegung die "Libysche Islamische Kampfgruppe" (LIFG). Gegründet in den 80er Jahren, versuchten die LIFG-Jihadisten in den 1990ern das Regime von Diktator Muammar Gaddafi zu stürzen. Doch nach zahlreichen erfolglosen Versuchen und einer extrem brutalen Gegenoffensive des Regimes, entschloss sich die Bewegung schließlich 2006 Abstand vom bewaffneten Kampf zu nehmen. 2009 verhandelten Mitglieder des Shura-Rates des LIFG unter anderem mit Gaddafi-Sohn Saif al-Islam um den Konflikt endgültig beizulegen. Nicht ohne innere Konflikte: Jene, die mit dem Friedensschluss nicht einverstanden waren, verließen die Gruppe, um wenig später unter anderem in Pakistan den bewaffneten Jihad wieder aufzunehmen. Der Rest der LIFG hielt sich zuverlässig an die Vereinbarung mit dem Gaddafi-Regime. Selbst als die Revolution ausbrach, hielt der Frieden zwischen LIFG und Gaddafi. Mehr noch: Statt "Kampfgruppe" änderte man den Namen in "Bewegung für Veränderung".

Doch je länger und blutiger der Konflikt in Libyen wurde, desto mehr Anhänger der LIFG begannen sich dem bewaffneten Widerstand anzuschließen. Der prominenteste unter ihnen war Abdul Hakim Belhaj, der später Chef des Militärrates von Tripolis wurde. Nach dem Sturz Gaddafis, splitterte sich die Anhänger der LIFG erneut. Zwei verschiedene politische Fraktionen traten folglich im Juli 2012 bei den Parlamentswahlen an. Einerseits die "moderate" Nationalpartei Hizb al-Watan für die auch Belhaj antrat.

Andererseits die deutlich konservativere Hizb al-Umma al-Wasat, die auch von den meisten ehemaligen LIFG-Mitglieder unterstützt wurde. Die Präferenz der Libyer wurde schnell klar: Bei den Wahlen errang die "moderate" Hizb al-Watan keinen Parlamentssitz, während die Hizb al-Umma al-Wassat einen Vertreter ins neue Abgeordnetenhaus schicken konnte. Ihre Wahl fiel auf Abdul Wahhab al-Qaed, Bruder des Al-Kaida-Terroristen Abu Yahya al-Libi.

"Ansar al-Sharia in Benghazi" & Freunde

Doch das Ende der LIFG und der Sturz Gaddafis war nicht das Ende der jihadistischen Bewegungen in Libyen - ganz im Gegenteil. Im revolutionären und nachrevolutionären Chaos formierten sich zahllose neue und vor allem gut bewaffnete Gruppierungen. Als einer der größten hat sich die "Ansar al-Sharia in Bengahzi" (ASB) von Muhammad Zahawi herauskristallisiert. ASB propagiert eine besonders strenge Auslegung des islamischen Rechts. Die "New York Times" berichtet, dass Mitglieder der Gruppe führend bei dem Angriff gegen das US-Konsulat, bei dem schließlich auch der Botschafter starb, dabei gewesen seien. Zahawis Männer selbst machen widersprüchliche Aussagen zu dem Angriff.

Zahawis Gruppe wurde auch immer wieder im Zusammenhang mit der Zerstörung von Sufi-Schreinen und Gräbern genannt. "Ansar al-Sharia in Benghazi" bekannte sich nicht zu den Angriffen, lobte sie jedoch öffentlich. Behilflich dabei könnten zahlreiche fragwürdige Gruppen gewesen sein, die mit Zahawi zumindest in Kontakt stehen. Allen voran die "Ansar al-Sharia in Darna", die vom ehemaligen Guantanamo-Häftling Abu Sufyan bin Qumu angeführt wird. Hinzu kommen zahlreiche kleinere dschihadistische Battalione - sogenannt katibas. Einen ersten Eindruck von diesen katibas konnte man im Juni diesen Jahres gewinnen, als die Ansar al-Sharia in Benghazi zu einer großen Konferenz lud. Wenn man Fotos, die während des Treffens gemacht wurden glauben schenkt, nahmen an dem jihadistischen Get-together hunderte Personen teil.

Folgen

Die Folgen der Jihadisten- und Waffenschwemme nach dem Sturz Gaddafis beschränken sich jedoch nicht nur auf Libyen. Waffen, die der Westen nach Libyen lieferte tauchen in weiten Teilen Nordafrikas wieder auf. In Mali etablierten sich neue jihadistischen Gruppierungen mit diversen politischen Ablegern und in Syrien beglücken derzeit Veteranen des libyschen Bürgerkrieges die Levante. Die libyschen Jihadisten sind in Syrien gefragt, bringen sie doch ausreichend Kampferfahrung und Waffen mit. (Stefan Binder, derStandard.at, 17.9.2012)

Korrektur: In der ersten veröffentlichten Version stand statt "Waffen, die der Westen nach Libyen lieferte tauchen in weiten Teilen Nordafrikas wieder auf" der Satz "in weiten Teilen Afrikas auf".