Die Zahl der Zivildiener stieg in den vergangenen zehn Jahern kontinuierlich.

Grafik: DER STANDARD

Wien - Es sind düstere Szenarien, vor denen die ÖVP warnt. Nichts Geringeres als "Menschenleben" stünden beim Kampf um den Zivildienst auf dem Spiel, sagt Innenministerin Johanna Mikl-Leitner: Fallen die Wehrersatzdiener weg, "kann es sein, dass die Rettung nicht in zehn Minuten, sondern erst in 20 oder 30 Minuten da ist".

Tatsächlich hängen besonders die Rettungsdienste stark von der Tatkräftigkeit der Zivildiener ab. Das Rote Kreuz etwa, mit 4040 Posten der größte Beschäftiger im Land, lässt jede vierte Arbeitsstunde von den vom Staat zugeteilten Männern bestreiten.

Allerdings sind die Hilfsorganisationen in der Vergangenheit schon mit weniger ausgekommen (siehe Grafik). Rechnet man die Zahlen der jährlich den Hilfsorganisationen zugeteilten Zivildiener auf Ganzjahreskräfte um, offenbaren sich starke Schwankungen: Während es im Vorjahr 9644 Zivildiener gab, waren es im Jahr 2000 mit 6010 gerade einmal so viele, wie die SPÖ mit ihrem Sozialjahr an "freiwilligem" Ersatz erreichen will.

Hat die Rettung mangels Personals Unfallopfer damals ewig auf der Straße liegen lassen? Natürlich nicht, sagt Werner Kerschbaum vom Roten Kreuz. Dennoch seien die zusätzlichen Zivildiener nötig gewesen - "weil der Leistungsumfang gestiegen ist". Dies berichtet auch Rudolf Hundsmüller, Generalsekretär des Arbeiter-Samariterbundes: "Vor sieben Jahren haben wir noch 500 Menschen pro Tag transportiert, heute sind es doppelt so viele."

Ein Grund, den die Blaulichtorganisationen nennen, ist eine Umstellung in der Krankenversorgung: Seit einer Änderung im Zahlungssystem ist es für Krankenhäuser günstiger, Patienten zwischendurch nach Hause zu schicken, als sie zwischen zwei Behandlungen ins Spitalsbett zu legen. Höhere Aufnahmerate und kürzere Verweildauer bedeuten mehr Fahrten für die Rettung.

Eine andere Ursache ist die Alterung: Statt derzeit 1,47 Millionen werden 2050 bereits 2,56 Millionen Menschen in Österreich über 65 sein. Obwohl die demografische Verschiebung erst in Zukunft so richtig zuschlagen wird, ist die Zahl der Beschäftigten in den Sozial- und Gesundheitsberufen EU-weit von 2000 bis 2009 bereits um 4,2 Millionen gestiegen - das ist ein Viertel des Jobzuwachses in der gesamten Wirtschaft.

Lässt sich dieser Bedarf mit Zivildienern billig stillen? Abgesehen davon, dass die schwache Geburtenrate den Nachschub an stellungspflichtigen Männern eindämmt, hält Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien dies für keine wirtschaftlich schlaue Idee. Via Zivildienst würden teils hoch qualifizierte Menschen dem Arbeitsmarkt entzogen und nicht gemäß ihren Fähigkeiten eingesetzt, sagt der Gesundheitsökonom und lässt das Kostenargument nicht gelten. Von überflüssigen Spitalsbetten bis zum föderalen Durcheinander gebe es viele andere sinnvolle Sparmöglichkeiten; mit dem Zivildienst hingegen " wird auf dem Rücken der jungen Leute gespart".

Obwohl seine Organisation selbst Zivildiener für die Betreuung von Flüchtlingen oder Senioren einsetzt, hält auch Martin Schenk von der Diakonie das aktuelle System für kein Ideal. Zwar schätzt der Sozialexperte "den kritischen Geist von außen", glaubt aber auch, dass hauptberufliche Profis einen Qualitätssprung in der Versorgung bringen könnten. In manchen Bereichen, sagt Schenk, habe sich der Staat zu sehr auf die Zivildiener gestützt: "In der Behindertenbetreuung machen sie bereits 20 bis 25 Prozent des Personals aus - das ist zu viel." (Gerald John, DER STANDARD, 17.9.2012)