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Die Crew auf dem chinesischen Über wachungsboot Haijian 50 fotografiert in der Nähe der um strittenen Inselgruppe Diaoyu/ Senkaku.

Foto: Reuters/Xinhua

Es geht um Fischgründe, reiche Energieressourcen - und nicht zuletzt um Nationalstolz.

 

Der Zeitungsverkäufer will es direkt wissen: "Gibt es Krieg?" Eine Antwort wartet er nicht ab. "Wir müssen doch Japan wegen der Diaoyu-Inseln eine Lektion erteilen." Auch der Obsthändler rechnet fest mit einer Seeschlacht. Vor wenigen Jahren hatte er noch keine Ahnung, wo die von Peking und Tokio beanspruchte Inselgruppe, die China "Diaoyu" und Japan "Senkaku" nennt, überhaupt liegt. Selbst am Imbissstand in der kleinen Gasse mitten im Pekinger Sanlitun-Zentrum ist der Konflikt um fünf unbewohnte Felsformationen und Riffe tief im ostchinesischen Meer plötzlich Thema erregter Gespräche.

Lokalzeitungen haben mit ihren Schlagzeilen die Emotionen angefacht. Japan müsse bestraft werden, so ist es Konsens, weil es seit Montag die "dixian" (rote Linie) überschritten habe. Tokio hatte bekanntgegeben, die drei größeren der fünf Inseln ihrem bisherigen japanischen Privatbesitzer für umgerechnet 20 Millionen Euro abzukaufen und zu verstaatlichen. Der Inseldeal sei eine "Farce, um China zu beleidigen", er sei "illegal" und "null und nichtig".

Pekings höchste Politiker bekannten so als Erste und in abgestufter Rangfolge Farbe gegen den Inselkauf. Am Freitag waren die sogenannten Massenorganisationen dran. Im Namen von 250 Millionen Mitgliedern protestierte zuerst der Gewerkschaftsbund mit "äußerster Wut", dann ebenso empört der Frauenverband.

Auf den orchestrierten Propagandafeldzug folgen nun härtere Bandagen. Pekings Marine schickte sechs Patrouillenboote zu den mehr als 200 Seemeilen entfernten Inseln los, die unter japanischer Kontrolle stehen. Sie liegen zwischen Taiwan und Japan. Freitagfrüh erreichten nur leicht bewaffneten Schiffe die Gewässer vor den Inseln am Rande der Zwölf-Meilen-Zone und beschallten die Riffe mit patriotischen Slogans: "Diaoyu gehört seit jeher zu China", bevor sie sich wieder zurückzogen. Chinas Souveränität wurde sicht- und hörbar demons triert, verbreitete das Staats-TV.

Japans Premier Yoshihiko Noda drohte darauf, dass seine Regierung im Gegenzug "alle Maßnahmen zur Sicherheit der Inseln ergreifen wird". Tokios Außenministerium bestellte Chinas Botschafter ein und protestierte gegen die Verletzung seiner Hoheitsgewässer. Die Besitzverhältnisse der Inseln sind deshalb so heftig umstritten, weil um sie reiche Fischgründe und im Meeresboden Gas- und Ölvorräte vermutet werden.

USA-Japan-Pakt

Obwohl die militärischen Manöver kalkuliert wirken, ist die Region über die Eskalation besorgt. Japans Außenminister Koichiro Gemba und Verteidigungsminister Satoshi Morimoto, der gerade Australien besucht, warnten Chinas Marine, in die Diaoyu-Gewässer einzudringen. Australiens Außenminister Bob Carr erklärte, keine Position im Inselstreit beziehen zu wollen. Er forderte von allen Parteien, friedliche Lösungen zu finden. Auch die USA wollen sich nicht für oder gegen eine Partei aussprechen. US-Verteidigungsminister Leon Panetta wird aber vor seinem Peking-Besuch in der kommenden Woche am Montag zuerst einen Abstecher nach Japan machen. Die USA könnten automatisch in den Konflikt hineingezogen werden, da sich ihr Sicherheitspakt mit Japan auch auf die Senkaku-Inseln erstreckt.

Auch innerchinesisch kann die Lage leicht aus der Kontrolle geraten. Bisher demonstrieren kleine Gruppen vor der japanischen Residenz und der Botschaft in Peking. Manche Aktionen wirken zudem grotesk. Donnerstag fuhren Pekings Neureiche in einem Konvoi aus Ferraris und Porsches mit Aufklebern wie: "Die Inseln gehören uns" vor.

Chinas Politiker möchten in der heiklen Übergangsphase ihres Landes, wo eine neue Parteiführung gewählt wird, nicht als Japan-Freunde gelten. Das erklärt, warum der Vizehandelsminister, Jiang Zengwei, öffentlich Verständnis für Boykottaufrufe gegen japanische Produkte zeigte. Japanische Autoverkäufer merken schon Einbrüche. Auch die Tourismuszahlen brechen ein. China nimmt 20 Prozent der japanischen Exporte ab. Es führte im ersten Halbjahr 2012 japanische Produkte für rund 74 Mrd. US-Dollar ein. China ist aber auch von Japans Markt abhängig, exportierte im ersten Halbjahr 2012 für 91 Mrd. Dollar Waren nach Japan. (Johnny Erling aus Peking/DER STANDARD, 15.9.2012)