Es muss ein "organisierter Angriff" gewesen sein, und nicht der spontan losgelassene Mob: Das ist die Argumentationslinie, die aber ebenfalls nur unzureichend erklärt, wie es geschehen konnte, dass am Dienstagabend das US-Konsulat in Bengasi überrannt und dabei der US-Botschafter mit drei Mitarbeitern getötet wurden.

Dieses Narrativ über die Ereignisse ist gewiss leichter zu ertragen, als wenn libysche und amerikanische Security nicht einmal schlecht bewaffneten Eiferern standhalten hätten können. Aber der Hinweis darauf, dass es ja noch dazu der 11. September war - was den organisierten Angriff plausibler machen soll -, verstärkt gleichzeitig das Staunen: Konnten die USA nicht umso mehr mit Vorkommnissen rechnen, mit oder ohne Aufregung über den antiislamischen Film?

"Organisierten Angriff"

Nun stellt sich wieder einmal die Frage, wie man den "organisierten Angriff" - die Rede ist von 30 bis 40 mit Kalaschnikows und Granatwerfern Bewaffneten - kategorisiert. Al-Kaida als Chiffre für den Jihadismus ist immer schnell zur Hand, auch wenn klare Beweise für die Zuordnung fehlen. Allerdings ist es richtig, dass Libyer jahrelang einen überproportional hohen Anteil am Kämpferbestand Al-Kaidas gestellt haben, etwa im Irak. Abu Yahya al-Libi, dessen Tötung im Jemen vor kurzem bestätigt wurde, war, wie sein Name schon sagt, ein Libyer. Dass deshalb eine Al-Kaida-affiliierte Gruppe am Dienstag in Bengasi ihre Chance ergriffen - oder die Demonstration sogar gesteuert hat -, ist dennoch nichts anderes als Spekulation.

Eine Gewissheit sind jedoch Libyens Milizen - viele Hunderte davon, manche sind groß und gut organisiert und tragen sogar gewissermaßen zur Sicherheit bei, andere sehr klein. Selbstverständlich gibt es auch islamistische Milizen, und darunter wieder solche, die sich den Aufgaben widmen, die sie für "islamisch" halten.

Entwaffnungsinitiative

Sie sind gut organisiert - das haben sie im August bei ihren Angriffen auf nach ihrem Verständnis unislamische Sufi-Schreine bewiesen - und wie jede andere Gruppierung in Libyen kommen sie leicht an Waffen. Am 16. September gibt es wieder einmal eine Entwaffnungsinitiative der libyschen Behörden, für ein Entgelt wird wohl so mancher seine Zweit- und Drittwaffe abgeben: Mehr ist davon nicht zu erwarten.

Aber der Islamistensturm betrifft ja nicht nur Libyen, sondern auch Ägypten: Der primitive antiislamische Film wird dort auch als Vorwand von Kräften genützt, die man, wie in Libyen ja ebenfalls, als Revolutionsverlierer bezeichnen könnte. Die Salafisten spielen in der Regierung eine marginale Rolle. Und da die Muslimbrüder bisher nicht auf den Wettbewerb eingehen, wer denn "islamischer" sei - tatsächlich stehen die Muslimbrüder im Moment einer weiteren substanziellen Islamisierung der ägyptischen Verfassung entgegen -, werden sie nun unter Druck gesetzt. Präsident Mohammed Morsi, am Donnerstag in Brüssel, ist auf dem Weg in die USA, der entspannte Empfang dort soll ihm gründlich verdorben werden.

In Jemen, das vom Radar der Medien zuletzt fast verschwunden ist, läuft ohnehin ein anhaltender Kampf der Staatsmacht gegen die Jihadisten, die in der letzten Zeit Rückschläge erleiden mussten - wobei hier der interne Kampf um die Macht in der Elite dazukommt, der vor wenigen Tagen fast den Verteidigungsminister das Leben kostete.

Und so ist jedes Land ein spezieller Fall, aber doch sind sich alle ähnlich: Sie haben einen leicht zu instrumentalisierenden Sektor der Gesellschaft, der anderen zum nützlichen Instrument dient: zum Entsetzen der Welt. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 14.9.2012)