Helga Happ mit einer Sandviper: "Wüstenklima kann man leichter im Terrarium nachstellen als Regenwaldklima."

Foto: Reptilienzoo Happ

Lässt sich ein Reptil nicht mehr einfangen, dann wird der Reptiliennotruf gewählt und Frau Happ rückt aus.

Foto: Reptilienzoo Happ

Die Leiterin des Reptilienzoos in Klagenfurt würde einen Reptilienführschein befürworten.

Foto: Reptilienzoo Happ

Wählt man in Kärnten den Reptiliennotruf, dann spricht man mit Helga Happ. Die allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige für Reptilien und Gifttiere leitet nicht nur den Reptilienzoo in Klagenfurt, sondern fängt auch entlaufene Tiere wieder ein oder ist bei Beschlagnahmungen vor Ort. Im Sommer 2012 erhielt sie etwa 1.000 Notrufe, 300 Mal musste sie ausrücken. 

derStandard.at: In Wien wurden im Sommer so viele Reptilien und andere exotische Tiere wie noch nie im Tierheim abgegeben. Woran liegt es, dass sich immer mehr Menschen diese Tiere anschaffen?

Happ: Die Reptilien kann man so günstig wie noch nie kaufen. Wollte man sich vor 30 Jahren ein Reptil anschaffen, dann wusste man, dass das schwierig, teuer und umständlich wird. Jetzt gibt es alleine in Klagenfurt drei Fachhandlungen. Dieser Trend ist vor allem aus Amerika nach Europa gekommen. 

Sehr viele Leute leben alleine in einer kleinen Wohnung in einem großen Wohnblock. Oft ist dort die Tierhaltung verboten oder man hat zu wenig Zeit, um sich einen Hund oder eine Katze zu halten. Da bietet sich ein Reptil an. Mit einer Echse muss man nicht Gassi gehen, sie sitzt im Terrarium und ist leise. Wenn das Tier artgerecht gehalten wird, dann ist es auch leicht zufrieden und man muss kein schlechtes Gewissen haben, wenn man es alleine lässt.

Reptilien gelten nicht mehr als außergewöhnliche Haustiere wie früher. Vor allem durch das Fernsehen und die Medien wurden uns die Tiere nahegebracht. Wir wissen so viel über die exotischen Tiere wie wir über die heimischen nicht wissen. 

derStandard.at: Welche Erwartungen wurden enttäuscht, dass diese Tiere dann im Tierheim landen oder ausgesetzt werden?

Happ: Die Reptilienhaltung ist eine sehr spezielle. Man muss wirklich die Ansprüche des Tieres erfüllen. Dabei kommt es auf die korrekte Luftfeuchtigkeit oder das passende Temperaturgefälle an. Es muss also ein Fleck eher kühl und ein anderer eher warm sein. Wenn ich das nicht erfülle, dann geht es dem Tier nicht gut und es vegetiert dahin. Deshalb verlieren viele Leute die Freude an den Reptilien. 

Es kommt immer wieder vor, dass Menschen Königspythons zu uns bringen. Das ist eine kleinwüchsige Riesenschlange, die zu tausenden in Europa eingeführt wird. Man sagt, dass diese Schlangenart nicht bissig und leicht zu halten ist. Wenn ich aber die Haltungsbedingungen nicht erfülle, dann frisst das Reptil nicht. Wenn dann die Leute mit dem Kommentar "Das blöde Tier frisst nicht" zu uns kommen, könnte ich böse werden. Das Tier ist nicht blöd. Vielleicht hat die Schlange im Terrarium einfach nicht die passende Temperatur, um die Nahrung zu verdauen. Deshalb kann sie gar nicht fressen, weil sie sonst daran sterben würde. 

derStandard.at: Ist die verweigerte Nahrungsaufnahme das einzige Symptom für nicht-artgerechte Haltung?

Happ: Nein. Schlangen und Echsen können plötzlich auch Milbenbefall bekommen. Das tritt sehr häufig auf. Weil die Leute das dann nicht in den Griffbekommen, wollen sie das Tier loswerden. Ein weiterer Grund sind die hohen Energiekosten, weil Reptilien eine eigene Heizquelle brauchen. Außerdem ist die Futterbeschaffung schwierig. Wo bekomme ich Mäuse und Ratten zu jeder Jahreszeit her? Oder wo kann ich lebende Insekten für meine Echse kaufen? 

Vor allem vor der Urlaubszeit verzeichnen wir eine Spitze von abgegebenen oder ausgesetzten Tieren. Oft wissen die Besitzer nicht, wo sie das Reptil hingeben können oder wer darauf aufpasst. Die Oma wird eher auf eine Katze schauen als auf eine Schlange. Trotz der Probleme ist Aussetzen aber nie eine Lösung. Die Exoten sind bei tiefen Temperaturen immer dem Tod geweiht.

derStandard.at: Sie haben zuvor Futtermäuse erwähnt. Lebendfütterung ist in Österreich verboten. Das heißt, Besitzer müssen die Mäuse töten, bevor sie sie verfüttern. Überfordert das manche Menschen? 

Happ: Ganz sicher. Obwohl man auch tote, gefrorene Mäuse kaufen kann. Die taut man auf und bewegt sie mit einer Pinzette, damit das Fang-Fress-Verhalten wie in der Natur abläuft. Das sind spezielle Sachen, die ein Laie nicht weiß. Der schmeißt dann der Schlange die tote Maus rein und die Schlange reagiert nicht. Deshalb sollte man sich genau informieren und in die Thematik einlesen, bevor man ein Reptil kauft. 

derStandard.at: Sollte es Ihrer Meinung nach einen Reptilienführschein geben?

Happ: Ja, das würde ich auf jeden Fall befürworten. Den Tieren und den Menschen zuliebe. Wenn sich der Besitzer auskennt, tut er sich leichter und das Tier muss nicht alle Sünden büßen. 

derStandard.at: Im derStandard.at-Forum wurde auch diskutiert, ob man sich nicht eher eine Schlange in die Wohnung nehmen soll, bevor man einen Hund oder eine Katze quält. Stimmen Sie dem zu? Und wie viel Platz braucht so ein Reptil wirklich?

Happ: Das ist im Bundestierschutzgesetz genau geregelt. Da ist auf den Zentimeter genau die Länge, Breite und Höhe festgeschrieben - ebenso der Bodengrund und die Temperatur. Ich glaube nicht, dass das bei anderen Tierarten so genau geregelt ist. Zum Thema Aufwand bei der Tierhaltung kann ich versichern, dass meine drei Hunde mehr Zeit beanspruchen, als die tausend Tiere im Reptilienzoo. Da lobe ich mir meine Riesenschlangen. Die benötigen zwar ein riesiges Terrarium, das viel Energie verbraucht, aber wenn ich in der Früh sauber mache, habe ich den ganzen Tag Ruhe. Bei der Schlangenhaltung fasziniert mich außerdem, dass man nie weiß, was die Tiere denken. Das ist mit einem großen Maß an Spannung und Neugierde verbunden. 

derStandard.at: Ist das nicht auch ein Problem? Ein Hund, dem es nicht gut geht, macht sich bemerkbar. Eine Schlange tut das nicht.

Happ: Das ist richtig. Daher sollte man Reptilien auch in der Gruppe halten, ein Männchen und zwei Weibchen. Nur dann sieht man, ob sie sich paaren. Wenn sie Eier ablegen und Junge kommen, geht es ihnen gut. Reptilien sind Wildtiere. Und wie alle Wildtiere pflanzen sie sich nur fort, wenn sie sich wohl fühlen. Für mich ist das ein Gradmesser. Wenn sich bei mir gewisse Schlangen nicht paaren, habe ich meinen Teil noch nicht erfüllt. Und das hat nicht nur mit der Tierpflege, sondern auch mit vielen äußeren Einflüssen zu tun. Ein Terrarium ist nicht so eine gemähte Wiese wie eine Meerschweinchenkiste. Es gibt keine Anleitung. Weil jede Wohnung ein anderes Kleinklima hat und man die Umgebung für jedes Reptil anders justieren muss.

derStandard.at: Gibt es für Reptilieninteressenten trotzdem ein Einsteigertier das Sie empfehlen?

Happ: Meiner Meinung nach sind das Bartagamen. Diese Echsen aus einer trockenen Zone sind leichter zu halten als etwa ein Regenwaldtier, weil sich der Lebensraum leichter simulieren lässt. Die Tiere kann man auch sehr gut anfüttern, damit sie Fettreserven anlegen. Dann kann man auch bedenkenlos ein Wochenende wegfahren und das Tier muss nicht leiden. 

derStandard.at: Sie sind allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige für Reptilien und Gifttiere und werden auch bei Beschlagnahmung hinzugezogen. Was war das unangenehmste Erlebnis, das sie bei so einer Aktion hatten?

Happ: Schlimm war es in Graz bei einem Zuhälter. Der musste ins Gefängnis und ich hatte die Aufgabe seine Giftschlangen aus der Wohnung zu holen. Da waren die Terrarien einfach nur übereinander getürmt. Seine Freunde haben mich in das Zimmer hineinbegleitet, da war niemand von der Behörde dabei. Es wurde mir nur die Adresse gegeben und ich bin dorthin gefahren. Da ist mir schon anders geworden. Als ich aber die erste Giftschlange aus dem Terrarium und im Sack hatte, habe ich mich sicherer gefühlt. Die Männer blieben in sicherer Entfernung und trauten sich nicht mehr herein.

derStandard.at: Wie schwer ist es, in Österreich Gifttiere legal zu halten?

Happ: In Wien und Kärnten sind gefährliche und Gifttiere verboten und in den anderen Bundesländern bewilligungspflichtig. Ich denke, dass es schwer ist, so eine Bewilligung zu bekommen. Wir hatten in Kärnten vor kurzem den Fall eines Mannes, der ein Krokodil im Gartenhaus hielt. Die Behörde hat ihm angeboten, dass er das Häuschen für das Krokodil umbauen kann und das Tier weiterhin halten darf. Wer solche Bewilligung ausstellt, trägt immer ein großes Risiko. Denn sollte etwas passieren, ist sicher eine der ersten Fragen: Wer hat die Bewilligung erteilt?

derStandard.at: Apropos Krokodil. Ende August wollen zwei Kinder ein solches Tier in Kärnten an der Drau gesehen haben. Damals wurden Sie hinzugezogen, um die Schuhe der Kinder, in die das Reptil gebissen haben soll, zu untersuchen. Wie wahrscheinlich ist es, dass das Krokodil noch in der Region unterwegs ist?

Happ: Vor kurzem hat sich ein deutscher Urlauber gemeldet, der das Reptil gesehen hat. Er beschrieb es als etwa 1,50 Meter lang. Er sagte allerdings, dass es eher ein Waran war. Das kann durchaus stimmen. Wenn ein Waran aus dem Wasser herausfährt, kann ein Kind sicher nicht bestimmt sagen, ob es sich nicht doch um ein Krokodil handelt. Es würde auch mit den Bissspuren zusammenpassen. 

derStandard.at: Aber auch ein Waran kann gefährlich werden?

Happ: Auf jeden Fall. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich lieber ein Krokodil als einen Waran fangen würde. Das Krokodil hat unter den Schuppen Knochenplatten und ist nicht so gelenkig. Ein Waran ist wie eine Schlange. Er beißt, kratzt und schlägt mit dem Schwanz. Wenn ich einem Krokodil eine Decke über den Kopf werfe, dann ergibt es sich. Das würde ein Waran nie machen. 

derStandard.at: Müssten Sie das Tier einfangen?

Happ: Zeigen Sie mir jemand anderen. Ich muss oft lachen, weil immer wieder große, starke Männer von der Polizei oder Feuerwehr danebenstehen. Die warten auf die einzige Frau, die dann auf das Krokodil springen soll.

Seit einigen Jahren machen wir deshalb auch Fortbildungskurse für die Einsatzkräfte. Dabei lernen sie das richtige Verhalten bei einer Reptiliensichtung und probieren auch praktisch aus, wie man es fängt. Wenn sich die Kursteilnehmer am Ende verabschieden, ist meine Telefonnummer noch immer das wichtigste. Im Endeffekt rufen sie doch wieder mich an. Aber prinzipiell bin ich froh, wenn mich die Leute informieren. Früher haben sie Schlangen einfach erschlagen. Heute lassen sie die Tiere zum Glück einfangen. (Bianca Blei, derStandard.at, 13.9.2012)