Chirurgen der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) haben zum ersten Mal eine Lebend-Lungenspende durchgeführt. Ein elfjähriger Junge hat in einer aufwändigen Operation je einen Lungenlappen der Mutter und des Vaters erhalten. „Marius und seinen Eltern geht es gut", sagt Axel Haverich, Direktor der MHH-Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie. Marius leidet an Mukoviszidose. Da wegen der mangelnden Spendenbereitschaft für ihn in absehbarer Zeit keine Spenderlunge zur Verfügung gestanden hätte, entschlossen sich seine Eltern je einen Teil ihrer Lunge zu spenden. "Wir sind froh und dankbar, dass wir und die Ärzte Marius helfen konnten", sagt der Vater, "wenn es aber genügend Organspender in Deutschland geben würde, müssten die Ärzte nicht auf die Lebendspende zurück greifen."

Zwei Lungenlappen, zwei Spender

Bei einer Lungen-Lebendspende braucht der Empfänger zwei Lungenlappen, wie Gregor Warnecke erläutert, Leiter des Transplantationsbereichs in der MHH. Zudem müssen die Blutgruppen und die Größen der Lungenlappen für den Empfänger passen. Marius hatte Glück - seine Eltern erfüllten alle Voraussetzungen. Die Lebendspende Ende April 2012 war für die Klinik auch eine logistische Herausforderung, da die Ärzte in drei Operationssälen parallel arbeiten mussten. Im ersten Saal entnahmen die Chirurgen der Mutter einen Lungenunterlappen. Ein anderes Team implantierte dieses Teilorgan ihrem Sohn, während das dritte Ärzteteam im dritten Saal dem Vater einen Lungenlappen entnahm. „Die Operationen sind gut verlaufen, die Eltern konnten das Krankenhaus nach zehn Tagen verlassen", sagt Warnecke. Marius Operation dauerte sechs Stunden.

"Die Transplantation hat gut funktioniert. Wir konnten Marius schon zwei Tage nach der Operation extubieren", ergänzte der Arzt. Und das, obwohl sich bei dem Jungen die Krankheit in den Wochen vor der Transplantation sehr schnell verschlimmert hatte. Zum Zeitpunkt der Operation mussten Marius bereits künstlich beatmet werden.

Seltener Abstoßung

Die Mukoviszidose, auch Cystische Fibrose genannt, ist eine bisher unheilbare Stoffwechselerkrankung. Europaweit ist jedes 2.500. Neugeborene davon betroffen. Wenn beide Eltern Erbträger sind und den Gendefekt weitergeben, wird ihr Kind an Mukoviszidose erkranken. „Als Folge diese Gendefekts werden alle körpereigenen Sekrete eingedickt produziert", erläutert Nicolaus Schwerk, Oberarzt der Klinik für Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und Neonatologie. „Ein zäher Schleim verklebt vor allem die Lunge, die schrittweise ihre Funktionsfähigkeit verliert."

Kliniken in Los Angeles (USA) und Japan sind bislang die Zentren für Lungen-Lebendspende-Programme. In Japan sind in einem Zeitraum von zehn Jahren mehr als 70 Lungen-Lebendspenden durchgeführt worden. "Japan zeigt, dass die langfristigen Überlebensraten sehr gut sind", erklärt Warnecke. Ein Grund dafür könnte die besondere immunologische Situation zwischen Spendern und Empfängern sein. Da das Kind die Hälfte des Erbgutes der Mutter und die Hälfte des Vaters in sich trägt, sind Abstoßungsreaktionen möglicherweise seltener. Die MHH untersucht diesen Aspekt im Rahmen ihrer Beteiligung am Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL). "Wir wollen auch Toleranzprotokolle erarbeiten, die dazu beitragen, eine Abstoßung des Organs zu verhindern."

Haverich warnt im Zusammenhang mit der ersten Lungen-Lebendspende in Deutschland vor zu großer Euphorie. "Die Behandlungsmethode wird immer nur einer sehr kleinen Gruppe von Patienten helfen können, die eine Spenderlunge brauchen", betont er. Mann müsse zwei passende Spender haben und die Risiken seien für sie sehr viel höher als etwa bei einer Nierenspende. "Besser wäre es, wir hätten ausreichend Spenderorgane." Daher appelliert Haverich an die Menschen, trotz der Vorkommnisse in Göttingen und Regensburg einen Spenderausweis auszufüllen. "Die todkranken Patienten, die auf ein Spenderorgan warten, haben keine Lobby - und keine andere Chance. In den meisten Fällen kann nur ein Spenderorgan ihr Leben retten." (red, derStandard.at, 13.9.2012)