Fritz Breuss

Foto: Regine Hendrich

Langsam fügt sich eins zum anderen. Zwar schlittert die Eurozone heuer in eine Rezession, die Rettungsaktionen sind aber schon so weit fortgeschritten, dass sie bereits "too big to be stopped" sind. Noch vor kurzem kursierten Gerüchte über einen "Grexit" und einen völligen Zusammenbruch der Eurozone. Die damit verbundenen unkalkulierbaren Risiken und Kosten machten den führenden Politikern (Merkel und Hollande) aber rasch klar, dass die Eurozone gerettet werden muss, koste es, was es wolle. Eine Reparatur kostet jedenfalls weniger als ein Zusammenbruch. Daher wird wohl auch Griechenland weiter (Troika-Bericht hin oder her) aus dem zweiten Rettungspaket alimentiert werden.

Die Reparatur der misslungenen asymmetrischen Politikarchitektur der Eurozone macht denn auch Fortschritte. Das neue wirtschaftspolitische Design (Economic Governance) besteht aus drei Säulen:

(1) Überwachung: Verschärfte Kontrollen durch den seit Ende 2011 in Kraft gesetzten "Sixpack". Mit ihm schaffte die EU einen strengeren Rechtsrahmen zur Überwachung von Ungleichgewichten (Budgets und Wettbewerbsfähigkeit). Mit dem "Fiskalpakt" sollen diese Bestimmungen nochmals getoppt werden. Er ist die Einstiegsdroge für eine künftige " Fiskalunion". Dazu kommt noch die von der Kommission vorgeschlagene " Bankenunion" mit drei Aufgaben (Überwachung durch die EZB, Möglichkeit der Bankenabwicklung, Einlagensicherung). Drei Institutionen zur Finanzmarktaufsicht (Banken - London, Versicherungen - Frankfurt, Wertpapiere - Paris) arbeiten schon seit 2011.

(2) Rettungsinstrumente: Der fehlende permanente Rettungsschirm ESM (er löst den provisorischen EFSF ab) kann nun auch eingesetzt werden, nachdem er soeben vom Karlsruher Bundesverfassungsgericht mit dem schon bekannten "ja, aber" (Begrenzung der Haftungssumme für Deutschland auf 190 Mrd. Euro) genehmigt wurde. Ein Nein hätte unabsehbare Folgen gehabt - politisch, ökonomisch und demokratietheoretisch.

(3) Aktivere Geldpolitik der EZB: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat einen neuen Weg eingeschlagen, um den Spekulanten gegen den Euro und gegen Mitglieder der Eurozone das Handwerk zu legen. Mit der Ankündigung, via Outward Monetary Transactions (OMTs), die an die Reformauflagen des EFSF/ESM geküpft sind, unbeschränkt Staatsanleihen mit einer Laufzeit bis zu drei Jahren von Ländern zu kaufen, deren Zinsen als untragbar gelten, hat Draghi (der "heimliche Regierungschef von Euroland", Die Zeit) erstmals seinen früheren Arbeitgebern Goldman Sachs gezeigt, was er gelernt hat. Die EZB greift nun in das riskante Endspiel um den Euro ein.

Die erste Reaktion der Märkte auf die neue EZB-Politik war positiv: Die Renditen auf spanische und italienische Anleihen sanken, und auch der Euro wurde gegenüber dem US-Dollar wieder stärker. Dennoch bleiben viele Fragen noch offen: Welche Bedingungen wird die EZB stellen: Verknüpfung mit dem EFSF/ESM und seinen strengen Anpassungsprogrammen oder die weniger strikte Variante einer "vorsorglichen Kreditlinie" (Precautionary Creditline)? Was passiert, wenn die Länder die versprochenen Bedingungen nicht erfüllen? Gelingt es der EZB, die Anleihenkäufe genügend zu sterilisieren, um eine Inflation zu vermeiden?

Auch die rechtliche Legitimierung der EZB-Maßnahmen steht infrage. Deutsche Politiker überlegen daher nunmehr, Klagen beim Europäischen Gerichtshof gegen die EZB wegen der Verletzung des Verbots der Staatsfinanzierung (Art. 123 AEUV) einzubringen. Ist die Unabhängigkeit der EZB in Gefahr, wenn sie einen kooperativen Verbund mit dem Rettungsschirm EFSF/ESM eingeht?

Tatsächlich beschreitet die EZB insofern Neuland, als sie mit dem neuen Anleiheprogramm mehr auf Kooperation mit der Fiskalpolitik setzt als bisher. Alle Studien rund um die Einführung des Euro haben aufgezeigt, dass eine volle Kooperation (Geld- und Fiskalpolitik) höhere Wohlfahrtsgewinne bringt als ein getrenntes Vorgehen.

Die EZB nähert sich auf jeden Fall in der nicht standardisierten (über die reine Zinspolitik hinausgehenden) Geldpolitik jener der amerikanischen Notenbank (Fed) an. Im Unterschied zu den USA ist die Eurozone aber kein Staat. Daher interveniert die EZB asymmetrisch nur in einigen Krisenländern, während die USA Bundesanleihen aufkauft.

Fazit: Der neue Weg der Europäischen Zentralbank ist am Rande der Legalität, aber in Zeiten der Krise notwendig. Er kann den Spekulanten das Wasser abgraben und zu einer Konvergenz der Renditen für Staatsanleihen führen, ähnlich der Situation vor der Eurokrise.

Die Draghi-Aktion hilft allerdings nur bei der Milderung einer der Ursachen der Eurokrise, der teilweise untragbar hohen Zinskosten der Staatsschuld. Das Problem des Auseinanderdriftens der Wettbewerbsfähigkeit müssen die Eurostaaten schon selbst lösen. (Fritz Breuss, DER STANDARD, 13.9.2012)