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Kanzlerin Angela Merkel spricht von einem "guten Tag für Europa".

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Ganz Europa diskutiert das Urteil der Verfassungsrichter Peter Huber, Michael Gerhardt, Monika Hermanns, Herbert Landau und Gerichtspräsident Andreas Vosskuhle (v.l.).

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Karlsruhe - Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat den Weg zum Start des Euro-Rettungsschirms ESM freigemacht. Er sei innerhalb weniger Wochen einsatzbereit, frohlockten am Mittwoch sowohl Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) als auch Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker. In Österreich wird nun eine Verfassungsklage gegen den ESM erwartet.

"Ich plane, das erste Treffen des ESM-Gouverneursrats am achten Oktober in Luxemburg einzuberufen", ließ Juncker mitteilen. "Innerhalb weniger Wochen" wird Deutschland laut Schäuble sicherstellen, dass die Haftungsobergrenze für Deutschland völkerrechtlich garantiert ist. Allerdings hat Bundespräsident Joachim Gauck noch keinen Termin für die Ratifizierung des ESM festgelegt, was Schäubles und Junckers Eile konterkariert. Deutschland ist der letzte der 17 Eurostaaten, der noch kein grünes Licht für den Rettungsschirm gegeben hat.

SPÖ und ÖVP freuen sich

Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) begrüßten die Entscheidung. "Ich bin erleichtert, dass das Urteil so klar ausgefallen ist", frohlockte Fekter. Auch die Haftungsgrenze Österreichs sei mit 19 Milliarden Euro gedeckelt. Faymann freut sich über mehr Stabilität in der Eurozone, mahnt aber zur Eile bei der Umsetzung der gemeinsamen Bankenaufsicht und dem Bankeninsolvenzrecht. Auch die Umsetzung der Finanztransaktionssteuer im Rahmen einer "Koalition der Willigen" will er vorantreiben, heißt es in einer Aussendung.

Der Nationalrat hatte Anfang Juli dem ESM und dem Fiskalpakt zugestimmt. Die Kärntner Landesregierung kündigte am Mittwoch eine Verfassungsklage gegen den ESM und den Fiskalpakt an. Verfassungsjuristen sehen die Klage nicht als allzu aussichtsreich an. Der Rechtswissenschafter Theo Öhlinger verwies darauf, dass die Verfassung heuer eigens geändert worden sei, um die Mitwirkung des Parlaments am ESM festzuschreiben. Damit seien möglich Einwände bereits angesprochen worden.

Auflagen

Im Rahmen des Schirms verpflichtet sich Deutschland, notleidenden Eurostaaten mit bis zu 190 Milliarden Euro beizustehen. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle betonte, Deutschland müsse völkerrechtlich sicherstellen, dass die derzeitige Haftungsgrenze nur mit Zustimmung des deutschen Bundestages überschritten werden dürfe. Zudem dürfe die Verschwiegenheitspflicht der deutschen Vertreter im ESM einer umfassenden Unterrichtung von Bundestag und Bundesrat nicht entgegenstehen. So werde die Budgetautonomie der Bürgervertreter gewahrt.

Vor allem das Wort "völkerrechtlich" ist in diesem Zusammenhang wichtig, weil das Völkerrecht das Interesse des Nationalstaats stärker gewichtet als die EU-Verträge. In Gerichtskreisen in Karlsruhe hieß es am Mittwoch, diese Bedingungen könnten in einem Zusatzprotokoll zum ESM-Vertrag geregelt werden. Dem sollten alle anderen Vertragsstaaten zustimmen. Rechtsgrundlage dafür könnte Artikel 20 der Wiener Vertragsrechtskonvention sein.

Vom Grundkapital werden aus deutschem Steuergeld 22 Milliarden Euro in bar eingezahlt, die restlichen 168 Milliarden Euro stehen als Garantien bereit. In Österreich sind es zwei bzw. 17 Milliarden Euro.

Merkel sieht stärkeres Europa

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach im Bundestag von einem "guten Tag für Europa". Der Union sei es gelungen, stärker wie je zuvor aus der Krise hervorzugehen. Wichtig sei es nun, die Wettbewerbsfähigkeit in Europa hoch zu halten. Angesichts hoher Sozialausgaben führe kein Weg daran vorbei, da die Alternative große Einschnitte in den Sozialstaat bedeute.

Lob gab es auch für die EZB, die ihre Verantwortung wahrnehme und den Kurs der Europolitik stütze.

Vorerst keine Banklizenz

Die Reaktionen der Analysten auf das Urteil fielen unterschiedlich aus. "Die Eurozone hat eine weitere Hürde genommen - langsam, aber sicher wird die Region stabiler, weniger risikoreich", sagte der Börsenhändler David Thebault. Etwas anders klang das bei Jörg Krämer von der Commerzbank: "Der ESM kann an den Start gehen. Die EZB wird in großem Stil Staatsanleihen kaufen. Wir bekommen eine Haftungsunion, die den Charakter der Währungsunion ändern wird - hin zu einer italienisch geprägten Währungsunion. Sie wird Parallelen aufweisen zum Italien der 70er und 80er Jahre."

Darüber hinaus könnte das Urteil bedeuten, dass dem ESM die Banklizenz verwehrt wird. Da der deutsche Bundestag Haftungsausweitungen zustimmen muss, ist in der "derzeitigen rechtlichen Form wohl keine Banklizenz für den ESM möglich", meinte der Marktstratege Jörg Rahn.

Höhere Zinsen für Deutschland

Gute Nachrichten für Europa bedeuten allerdings auch einen leichten Dämpfer für den Krisenanker deutsche Staatsanleihen. Deutschland musste heute deutlich höhere Zinsen für frisches Geld zahlen. Die Versteigerung von Bundesobligationen mit fünfjähriger Laufzeit spülte knapp vier Milliarden Euro in die Staatskasse, teilte die für das Schuldenmanagement des Bundes zuständige Finanzagentur am Mittwoch mit. Die Durchschnittsrendite verdoppelte sich nahezu auf 0,61 Prozent. Im August war sie noch auf das Rekordtief von 0,31 Prozent gefallen.

Spannende Niederlande-Wahl

Der Spruch der deutschen Verfassungsrichter war bereits seit Tagen fertig. Dem Vernehmen nach wurde er auch auf Englisch abgefasst, um die Investoren in Hongkong, Singapur und New York unmittelbar zu informieren. Gegen den ESM hatten nicht nur die deutschen Parlamentarier Gauweiler und Gregor Gysi (Die Linke) geklagt, sondern auch mehr als 37.000 Bürger.

Der Mittwoch ist über das Urteil hinaus ein Schicksalstag der Europolitik. Denn in der Niederlanden wird ein neues Parlament gewählt, die eurokritischen Sozialisten haben zuletzt in Umfragen kräftig dazugewonnen und könnten bei der Regierungsbildung das Zünglein an der Waage sein. (Reuters/red, derStandard.at, 12.9.2012)