Gewollt wilde Donauufer jenseits von Hainburg: In den Abrisskanten der alten Steinbefestigung nisten nun Eisvögel.

Foto: Baumgartner

Freie Ufer und gröbere Steine auf dem Grund sollen Schifffahrt und Natur gerecht werden.

Das monotone Rauschen wird immer wieder durch Knistern und Knirschen unterbrochen. Mit dem Ohr am Griff des ins Wasser getauchten Paddels wird hörbar, was sich am Grund der Donau abspielt: Der Kies auf dem Grund des Stromes bewegt sich unentwegt. "Das dürfte auch die Legende vom singenden Donauweibchen erklären", sagt Christine Mayr, Rangerin im Nationalpark Donauauen, die das Schlauchboot steuert. "Als die Donau noch nicht reguliert war, waren in manchen Nächten die Sandstürme unter Wasser auch oberirdisch zu hören."

Was hier rumort, sind seit Jahren die buchstäblichen Steine des Anstoßes: Das Geröll auf dem Grund der Donau, der Sohle, bewegt sich immer schneller stromabwärts, seit die Ufer begradigt wurden. Weil die zahlreichen Kraftwerke – 57 sind es oberhalb des Nationalparks – das sogenannte Geschiebe aufhalten, kommt kein neues Gestein nach, was zur Folge hat, dass der Donaugrund immer tiefer wird und somit der Wasserspiegel sinkt. Das macht nicht nur der Schifffahrt Sorgen, die mit immer schwereren Transportern die Donau befahren will, sondern auch Naturschützern: Die Altarme mit ihrem spezifischen Ökosystem drohen auszutrocknen, und auch die Flussbewohner müssen sich auf neue Bedingungen einstellen.

"Im Mittelalter wurden schon erste Regulierungsmaßnahmen vorgenommen, grobe Veränderungen gab es dann vor etwas mehr als hundert Jahren", sagt Martin Gerzabek, Rektor der Wiener Universität für Bodenkultur (Boku), der mit an Bord der vom Wissenschaftsministerium organisierten Paddeltour durch die Donauauen östlich von Wien ist. Mit dabei hat er Karten, auf denen die Boku rekonstruiert hat, wie die Lobau im 18. und 19. Jahrhundert ausgesehen hat: kein breites Bett, sondern ein wildes Durcheinander zahlreicher Arme, die sich durch dichte Auen schlängelten – ständig in Veränderung begriffen.

Heute ist nicht mehr viel davon übrig. In der Stopfenreuther Au, dem prominenten Schauplatz der Hainburger Aubesetzung, ist das dunkelgrüne Wasser seicht. Die Idylle inmitten von über das Wasser gebeugten Silberweiden, morschen Baumstämmen, Schwanfamilien und Wasserpflanzen trügt. "Das ist keine typische Au mehr", betont Nationalparkdirektor Carl Manzano. Die ständige Verschiebung der Seitenarme um bis zu 50 Meter pro Jahr brachte vor der Regulierung ein permanentes Auf und Ab der Wasserstände. "Das macht Nährstoffe extrem gut verfügbar", sagt Christian Baumgartner, im Nationalpark für den Bereich Natur und Wissenschaft zuständiger Biologe.

Gespaltene Umweltschützer

Einen halben Meter habe sich die Donau in den letzten 25 Jahren eingetieft, sagen die Nationalparkvertreter – und verfechten das Pilotprojekt Bad Deutsch-Altenburg, in dem bis 2014 Maßnahmen getestet werden sollen, um die Sohleerosion zu stoppen. Die Ergebnisse sollen in das "Flussbauliche Gesamtprojekt" einfließen, ein 14-Millionen-Euro-Großprojekt, das die Donau östlich von Wien bis zur Marchmündung betrifft. Projektleiter ist die Via Donau, die Wasserstraßengesellschaft des Verkehrsministeriums, welches mithilfe einer EU-Förderung auch die Projektkosten trägt.

Obwohl das Gesamtprojekt bereits 2006 eingereicht wurde, fehlen nach wie vor Genehmigungen. Nur ein Grund für die Gegner, dagegen Sturm zu laufen – eine Umweltverträglichkeitsprüfung auch für das Pilotprojekt wird eingefordert, der Umweltdachverband spricht von einer "Ausbetonierung der Donau" ohne die versprochenen Ökoeffekte. Der WWF hingegen unterstützt den Pilotversuch, in dem auf einem Abschnitt von drei Kilometern wissenschaftlich untersucht werden soll, wie die Sohle gegen eine weitere Eintiefung geschützt werden kann.

"Es versteht nicht jeder, dass wir im Nationalpark Bagger verteidigen und Bäume umschneiden", räumt Direktor Manzano ein. "Aber wenn wir weitere 20 Jahre diskutieren, müssen wir das Schlauchboot wie Fitzcarraldo durch die Seitenarme ziehen." Noch ist es nicht so weit, und so machen die Schlauchboote der Nationalparktour, die mittlerweile die Donau erreicht haben, an einem Kiesstrand schräg gegenüber der Stadt Hainburg halt. Hier sind bereits 2006 Bagger aufgefahren, um die Uferbefestigung zu entfernen und sogenannte Buhnen umzubauen – das sind Steinwälle, die quer in den Fluss hineinragen, um das Wasser in die Schifffahrtsrinne zu drängen. Die neue Variante erlaubt den Fischen, auch bei Niedrigwasser die Hindernisse zu überwinden.

Grüne Stangen im Fluss markieren die ehemalige Uferbegrenzung: Innerhalb kürzester Zeit hat sich die Donau rund 30 bis 40 Meter an Breite zurückerobert. Flachwasser und Schotterbänke mit Büschen bilden ideale Brutplätze. In den meterhohen Abrisskanten nisten wieder Eisvögel, Totholz bietet Lebensraum für Insekten.

Verlangsamter Fluss

Ein paar Kilometer weiter stromaufwärts, bei Bad Deutsch-Altenburg, wird derzeit noch nach Bomben und Granaten aus dem Krieg gesucht, bevor auch hier die Ufer von den Felsbrocken befreit werden. Im Pilotprojekt wird erstmals auch erprobt, was eine veränderte Zusammensetzung des Gerölls auf dem Donaugrund bewirkt. Derzeit misst ein durchschnittlicher Kieselstein 2,6 Zentimeter. Durch die Zugabe von vier bis sieben Zentimeter großen Steinen soll ihre Bewegung verlangsamt werden, unterstützt durch weniger eingeengte Ufer, was die Fließgeschwindigkeit drosselt. Zudem soll der abgeschottete Johler-Arm wieder an die Donau angebunden werden. Die Modelle dazu wurden u. a. vom Christian-Doppler-Labor "Im Fluss" (kofinanziert von der Via Donau) und vom Wasserlabor der TU Wien geliefert.

Sollte das "Flussbauliche Gesamtprojekt" realisiert werden, rechnen die Experten mit einer Hebung des Wasserspiegels um bis zu 40 Zentimeter. Der Materialeinsatz wäre dann deutlich geringer – schon jetzt muss tonnenweise Schotter hinter den Kraftwerken in die Donau gehievt werden, um die Sohle zu stabilisieren. "Die Sohleeintiefung ist ein weltweites Problem", sagt der Hydrobiologe Stefan Schmutz von der Boku. "Wir müssen die Dynamik wiederherstellen." Nationalparkbiologe Christian Baumgartner bestätigt: "Wir wollen das Chaos. Es geht darum, dem Fluss zu vertrauen."

Wie in Naturschutzgebieten mit den aufeinanderprallenden Interessen von Ökologie und Land- bzw. Wassernutzung umgegangen wird, hat das internationale Forschungsprojekt "BeNatur" analysiert. Auch wenn in Österreich weit bessere Bedingungen für den Naturschutz herrschen als etwa in östlichen Nachbarländern, gebe es auch hierzulande "unterversorgte Schutzgebiete", sagt Michael Getzner, Infrastrukturpolitikexperte von der TU Wien. Die Donauauen gehören zwar nicht dazu, dennoch gelte: "Man muss sich schon entscheiden, ob man riesige Containerschiffe auf der Donau und Energie aus Wasserkraftwerken will oder Naturschutz. Beides geht nicht, das kann man nicht schönreden." (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 12.9.2012)