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Zeremonien-Durcheinander: Ulrich Seidl (re.) als gelassener Beobachter, wie Jury-Direktor Michael Mann und Marina Abramovic den Silbernen Löwen an Philip Seymour Hoffman (li.) weitergeben.

Foto: apa/EPA/CLAUDIO ONORATI

Die Verleihung der Preise bei der 69. Ausgabe der Mostra wird wohl unter dem Stichwort "chaotisch" in den venezianischen Festivalannalen abgelegt: Erst im zweiten Anlauf wurde dem österreichischen Filmemacher Ulrich Seidl die richtige Trophäe für den Spezialpreis der Jury in die Hand gedrückt. Eine Rochade, die den strahlenden Ausgezeichneten selbst am wenigsten zu irritieren schien.

Venedig und Seidl, das geht nämlich gut zusammen: Sein offizielles Spielfilmdebüt Hundstage - der Regisseur von Good News, Tierische Liebe, Models, Import Export u. a. unterschied lange nicht gerne nach Kategorien des Dokumentarischen oder Fiktionalen - hatte 2001 ebenfalls dort im Wettbewerb Weltpremiere. Und Seidl wurde schon damals mit einem Großen Preis der Jury gewürdigt.

Paradies: Glaube fand heuer bei Publikum und Kritik ein großteils positives Echo. Einzig eine konservative katholische Gruppe sah sich zur Anzeige wegen Blasphemie genötigt. Bei der Pressekonferenz hatte der katholisch sozialisierte Seidl zuvor bereits betont, dass seine Fallstudie einer tiefreligiösen Frau keineswegs als deren Herabwürdigung zu verstehen sei.

Seidls Blick auf einen Menschen und dessen Abgründe ist gleichwohl sehr direkt und ausdauernd, manche meinen: schonungslos geblieben. Aber mit Anfeindungen ist der 1952 Geborene seit seinen Anfängen konfrontiert. 1982 stieß er mit seinen treffsicheren filmischen Beobachtungen einer Tanzveranstaltung auf wenig Gegenliebe. "Der Ball war der Grund, warum man mich aus der Filmakademie rauswarf. Die Lehrer (...) dachten, der Film würde dem Ruf der Akademie schaden." Heute gehört Seidl zu den international arriviertesten österreichischen Filmschaffenden. 2011 waren ihm in Griechenland, Mexiko, Rumänien und Kroatien Filmschauen gewidmet.

Der Spezialpreis von Venedig passt überdies gut zu jenem speziellen Unternehmen, dessen zweiter Teil Paradies: Glaube ist. Nur einen neuen Spielfilm planten Seidl und sein Team, zu dem wesentlich CoAutorin und Lebenspartnerin Veronika Franz gehört (das Paar hat zwei Söhne, neun und 14 Jahre alt). Daraus wurde eine Trilogie aus lose verbundenen Spielfilmen. Paradies: Liebe wurde in Cannes präsentiert. Paradies: Glaube kommt aus Venedig preisgekrönt zurück. Für Teil drei wird eine weitere Wettbewerbsteilnahme angepeilt. Damit wäre noch eine Preis-Chance verbunden. Der Film heißt dazu passend Paradies: Hoffnung. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 10.9.2012)