Wien zählt heute 15 Rudervereine: 14 klassische und einen, der venezianisch Gondel fährt.

Foto: Heribert Corn

Wien - In den frühen Morgenstunden kann es auf der Alten Donau in Wien eng werden. Schließlich braucht so ein Ruderboot Platz. Beidseitig - und nach vorn: Bis zu 20 Kilometer pro Stunde kann ein gut eingespielter Achter erreichen. "Um da mitzuhalten, braucht man einen echten Außenbordmotor", sagt Christof Schmölzer. Auch dann, wenn sich "nur" Normalverbraucher in die Riemen legen. "Rudern", erklärt der vierfache Weltmeister (Doppelzweier und -vierer), "ist im Grunde der Gesundheitsbreitensport schlechthin."

Auch wenn es an einem sonnigen Morgen an der Alten Donau anders aussieht, beklagt der Zahnarzt eines: Rudern ist ein Konjunktiv-Sport. Viele Menschen schwärmen vom ästhetisch ansprechenden, sanften, den ganzen Körper aktivierenden und de facto verletzungsrisikofreien Sport. Aber nicht einmal 4000 Wiener rudern. Und versäumen einiges: "In der Früh alleine über das spiegelglatte Wasser zu ziehen hat etwas Meditatives. Und zu spüren, wie aus einer Gruppe Einzelner ein Team wird, ist jedes Mal toll."

Gros der Sportler über 35

Freilich: Um derlei wirklich genießen zu können, braucht man "eine gewisse Reife" (Schmölzer). Auch das, so der 50-Jährige vom Ruderclub Pirat, mache Rudern zum idealen urbanen Breitensport: Der Jugendlichkeitswahn entfällt. Das Gros der Freizeitsportler ist über 35. Nicht ohne Grund spricht der Ehrenpräsident des Wiener Ruderverbandes, Günter Woch, scherzhaft von "Mumien-Achtern" mit denen er fahre. Woch ist 73. Und manchmal einer der Jüngeren im Boot.

Rudern hat in Wien Tradition. Mitte des 19. Jahrhunderts kam die Idee des zweckfreien Ruderns aus England nach Wien. 1863 wurde der erste Verein gegründet: Die Lia - benannt nach der Frau eines Gründungsmitglieds. Doch bis Frauen nicht bloß als Namensgeberinnen fungierten, dauerte es: In der NS-Zeit war "Frauenrudern" Teil der politisierten Sportideologie, aber erst 1955 gab es die ersten österreichischen Frauenmeisterschaften. Olympisch rudern durften Frauen erst 1976, Männer schon seit 1900.

Funktionäre waren unter sich

Heute gibt es in Wien 15 Rudervereine (österreichweit 50). 14 klassische und einen, der venezianisch Gondel fährt (Voga Veneta Vienna). Die Mehrzahl der Clubs ist an der Alten Donau daheim. Das Potenzial der Lage, so Schmölzer, wisse man heute zu nutzen: "Früher blieben Funktionäre auf den Wiesen vor den Bootshäusern lieber unter sich. Heute lädt jeder Verein zum Anfängerrudern."

Wer einmal Spaß am Rudern gefunden hat, bleibt meist dabei: Als Günter Woch 13 Jahre alt war, brachte der Turnlehrer die Klasse zu einem Ruderverein. "Heute rudern noch zehn von uns." Umso mehr schmerzt heute der Blick ins Ausland: Dass Schule und Sport anderswo intensiv zusammenarbeiten, mache ja nicht bloß gesundheitspolitisch Sinn, verweist Schmölzer auf die Medaillen-Schlappe bei Olympia: Dass nicht nur seinem Sport da so manches Talent entgehe, sei da "nicht wirklich tröstlich". (Thomas Rottenberg, DER STANDARD, 10.9.2012)