Das Geld für Gesundheit wird ineffizient eingesetzt - da sind sich Ärzte kammerpräsident Szekeres und Patientenanwältin Pilz einig.

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"Mit der Elga-Kampagne haben Sie die Patienten beschämt", sagt Pilz.

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"Wir informieren die Patienten. Das ist nicht unanständig", verteidigt sich Szekeres.

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STANDARD: Als Sigrid Pilz zur Patientenanwältin bestellt worden war, hat die Ärztekammer ausgeschickt, dass man sich "selbstverständlich" weiter für Patienten einsetzen werde. Warum ist das notwendig?

Szekeres: Ich glaube, dass das im ureigensten Sinn der Ärzte ist.

STANDARD: Glauben Sie, dass die Patientenanwaltschaft ihre Rolle nicht ausreichend erfüllt?

Szekeres: Nein, wir ergänzen uns ja ganz gut. Da wird es zu keiner Konkurrenz kommen.

STANDARD: Frau Pilz, ärgert es Sie, wenn die Ärzte als Patientenvertreter auftreten?

Pilz: Wir können die Probleme nur lösen, wenn wir zusammenarbeiten. Aber ich meine schon, dass die Rollen klar sein sollen. Oft sind die Patienten in der unterlegenen Position. Wir dürfen einander da nicht verwechseln.

STANDARD: Es gab sogar eine Ärztekampagne, da stand auf den Flyern "Wir Patientenfighter".

Szekeres: Wenn wir das Gefühl haben, dass die Bedingungen für die Patienten schlechter werden, dann zeigen wir das auf.

Pilz: Da kann ich nicht mit. Wenn so wie jetzt bei der Elga-Kampagne (Elektronische Gesundheitsakte, Anm.) Unterschriften organisiert werden, dann vereinnahmt man die Patienten. Ich halte das für populistisch und unangemessen. Mir geht es um Augenhöhe.

Szekeres: Bei der Elga-Kampagne geht es um Information. Damit werden verpflichtend sämtliche Gesundheitsdaten aller Österreicher in ein Netz eingespeist. Wir möchten die Patienten darüber informieren, dass das auch Gefahren birgt. Ich glaube nicht, dass das unanständig ist.

Pilz: Sie haben recht, die Patienten wissen zu wenig über Elga. Aber Sie machen ja eine Desinformationskampagne. Was Sie schreiben, macht Angst: "Elga sieht circa 100.000 Zugriffsberechtigte vor." Da könnte ich auf die Schnelle als Patient glauben, 100.000 Leute stierln in meiner Krankheitsgeschichte, das stimmt ja so nicht. Und überwiegend haben ohnehin Ärzte damit zu tun. Elga muss auf dem technisch besten Niveau sein, der Datenschutz muss gewährleistet sein. Aber wenn die Ärztekammer so da gegen polemisiert, wird nichts daraus werden.

Szekeres: Es geht dar um, Gefahren aufzuzeigen. Als der damalige Bundespräsident Thomas Klestil im AKH lag, hat es hunderte unautorisierte Zugriffe auf die Krankenakte gegeben. Je mehr potenzielle Nutzer da sind, umso größer ist die Gefahr. Außerdem soll der Patient entscheiden, ob er teilnehmen will oder nicht.

Pilz: Sie geben den Patienten gar nicht die Möglichkeit, sich eine Meinung zu bilden. Das passt zu Ihrer ersten Inseratenkampagne, in der Sie die Patienten als Nackedeis abgebildet haben. Ich finde, da haben Sie die Patienten beschämt, das war verletzend. Ich hätte gern, dass Sie das, was Sie da investieren, in die Behebung von Versorgungsmängeln stecken würden. Wir sind zum Beispiel in der Diabetesversorgung ganz schlecht aufgestellt. Nur 167 Wiener Ärzte sind im Diabetespräventionsprogramm. Stecken Sie das Geld doch in eine Kampagne dafür!

STANDARD: Die Ärzte sind wichtige Vertrauenspersonen für die Patienten. Wie schwierig ist es da, als Patientenanwältin mitzukommen?

Pilz: Das ist ein ganz wesentliches Thema für mich. Ich plane die Einrichtung einer unabhängigen Patienteninformationsstelle. Gesundheitsinformationen vom Impfen über Elga bis zum Wissen über Krankheiten sollen verfügbar sein. Die Behandlungsempfehlung bleibt natürlich der Beziehung zwischen Arzt und Patient vorbehalten, aber es bedarf qualitätsgesicherter Information, denn die Gesundheitskompetenz der Österreicher ist ganz schlecht.

Szekeres: Ich muss Sie schon fragen: Sehen Sie bei Elga nicht die Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung?

Pilz: Ja, die sehe ich, und die muss durch gute Sicherheitssysteme hintangehalten werden. Aber sagen Sie doch dazu, was die Patienten von Elga haben. Sie verfügen über ihre elektronische Krankengeschichte, und man kann vorn auf die Startseite ganz wichtige Dinge setzen wie "Achtung, ich habe Diabetes!" - oder Asthma oder eine Allergie. Die Ärzte müssen sich auch dem stellen, dass transparent gegenüber dem Patienten wird, was sie tun.

STANDARD: Missbrauch von Gesundheitsdaten gibt es ja schon länger. Jetzt könnte man sagen: In Zukunft sehe ich wenigstens, wer sich meine Daten angeschaut hat.

Szekeres: Das sieht man jetzt auch.

Pilz: Nicht als Patient.

Szekeres: Die Gefahr liegt in der Menge an Daten. Dann habe ich flächendeckend alle Österreicher.

Pilz: Ich würde mir aber erwarten, dass Sie auch auf die Vorteile hinweisen. Einander widersprechende Diagnosen oder Medikamente sind ja auch ein Schaden für den Patienten.

Szekeres: Aus unserer Sicht stimmt aber auch die Kosten-Nutzen-Rechnung nicht.

Pilz: Wenn Sie schon vom Geld reden: Österreich ist Europameister im Im-Krankenhaus-Liegen, Österreich ist Europameister im Geldausgeben für stationäre Versorgung, Österreich hat eine ganz, ganz hohe Ärztedichte, aber wir sind deswegen nicht gesünder. Wir sind außerdem ärztelastig, und das ist teuer. In vielen europäischen Ländern werden Aufgaben, die in Österreich Ärzten vorbehalten sind, mit guten Ergebnissen etwa von diplomiertem Pflegepersonal wahrgenommen.

Szekeres: Bei der gesunden Lebenserwartung muss man bei der Prävention ansetzen. Wir liegen bei den Ausgaben für Prävention ein Drittel unter dem OECD-Schnitt, das ist peinlich. Sie kommen ja aus der Politik - den Politikern scheint es nicht so wichtig zu sein, Aktivitäten zu setzen, die sich erst nach der aktuellen Legislaturperiode niederschlagen.

Pilz: Einspruch! Die rot-grüne Koalition hat in Wien ein Spitalskonzept 2030 aufgesetzt, wo wir die Spitalslandschaft umkrempeln, um wegzukommen von dem Überangebot an Akutbetten. Da erlebe ich die Ärzteschaft bis jetzt nicht wirklich als Partnerin. Wir müssen über Dienstzeiten im Spital reden, über Öffnungszeiten in den Ordinationen und so weiter.

Szekeres: Ich bin sehr dafür, dass man etwas ändert, aber man kann nicht erwarten, dass die Menschen unentgeltlich arbeiten.

Pilz: Absolut nicht. Die Ärzte sollen ordentliche Arbeitsbedingungen und ordentliche Einkommen haben. Aber vielleicht ist es dann nicht mehr ganz so einfach, am Nachmittag die Privatordinationen zu betreiben.

STANDARD: Das Problem ist meistens nicht, dass es keinen Arzt gibt, sondern dass am Freitag um 17 Uhr oder Samstagmittag keiner mehr offen hat. Wäre die Kammer bereit, da umzustrukturieren?

Szekeres: Natürlich. Aber man muss das bezahlen. Ein besonderes Defizit gibt es in der Kinderheilkunde: Am Wochenende und in der Nacht gehen die Kinderambulanzen über. Viele Behandlungen können natürlich im niedergelassenen Bereich erfolgen, aber ich kann nicht erwarten, dass der Kinderarzt dafür, dass er am Sonntag arbeitet, noch zahlt, weil er seinen Angestellten Überstunden zahlen muss, und von der Kassa dasselbe Honorar bekommt wie am Freitag.

Pilz: Ganz wichtig ist es, nicht immer nur für den eigenen Bereich zu denken, man muss sich das in einem gesamten Zusammenhang überlegen. Es ist sehr teuer, Husten und Schnupfen in einer Ambulanz zu kurieren. Das ist im niedergelassenen Bereich besser aufgehoben, dann bleibt im Spital Zeit für schwere Erkrankungen.

Szekeres: Derzeit versuchen die Spitäler, möglichst viele Patienten in den niedergelassenen Bereich umzuschichten, die Krankenkassen wiederum fahren ihre Stellen zurück, und die Patienten müssen in die Spitäler ausweichen. Da gehört angesetzt. Auf lange Sicht kostet es weniger, wenn Sozialversicherungsgelder objektiv eingesetzt werden.

STANDARD: Derzeit wird zwischen Bund und Ländern eine Gesundheitsreform verhandelt. Was erwarten Sie sich davon?

Szekeres: Ich glaube, man braucht ein echtes gemeinsames Budget - nicht nur ein virtuelles. Und wir kritisieren sehr die Koppelung der Gesundheitsausgaben an das Wirtschaftswachstum, weil wir befürchten, dass das System insgesamt zurückgefahren wird.

Pilz: Wir sind bei den Gesundheitsausgaben pro Kopf an vierter Stelle in Europa. Wir haben nicht zu wenig Geld im System, sondern müssen besser steuern. Ich finde es schlimm, wenn man stattdessen sagt: Da wird eine Operation nicht mehr durchgeführt, oder der Arzt um die Ecke sperrt zu.

Szekeres: Der sperrt zu, das ist ein Faktum.

Pilz: Wir sind, was die Ärztedichte pro Kopf betrifft, auf dem zweiten Platz bei den Niedergelassenen - 4,7 Ärzte auf 1000 Einwohner. Das ist viel. Wir haben viel Geld, wir haben viele Ärzte, und trotzdem sind wir mit unserer Gesundheit nicht im Spitzenbereich. Daher muss außer Streit gestellt werden, dass wir umschichten müssen: weg von der kurativen Medizin und hin zur Prävention, zur Gesundheitskompetenz.

Szekeres: Ich fürchte, dass sich an der Struktur nicht wirklich etwas ändert, dass das Geld zurückgefahren wird, und dann wird das zur Rationierung.

Pilz: Damit man etwas verändert, müssen alle aus den Gräben herauskommen. Ich kann verstehen, dass die Sozialversicherungen nicht mehr Kassenstellen wollen. Vielleicht brauchen wir in Wien weniger Parallelstruktur zwischen Spitälern und Fachärzten - oder etwa weniger Stellen im neunten Bezirk und mehr im 22. Durch Aufdoppelung können wir nichts gewinnen. Im Zuviel gibt es aber auch Mangel, allem voran an Kinderpsychiatern.

Szekeres: Aber wir wissen, dass Präventionsmaßnahmen unmittelbar keine Wirkung haben. Zu sagen, ich gebe weniger Geld aus und das System wird besser - das ist naiv, das wird nicht gehen. Wir müssen uns endlich zu einer langfristigen und vorausschauenden Gesundheitspolitik aufraffen. Alles andere ist lediglich Stückwerk. (Andrea Heigel, DER STANDARD, 8./9.9.2012)