Rainer Stach, "Ist das Kafka? 99 Fundstücke". Herausgeber. 19 Euro / 334 Seiten. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2012

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Astrid Dehe, Achim Engstler, "Kafkas komische Seiten" 29,80 Euro / 328 Seiten. Göttingen, Steidl 2011

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"Ich kann auch lachen, Felice, zweifle nicht daran", beteuerte Franz Kafka Anfang 1913 Felice Bauer. Zum Beweis berichtete der Prager Dichter seiner Brief-Geliebten, wie er bei seiner Beförderung durch den Präsidenten der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt, einer gottähnlichen Autorität, einen höchst peinlichen Lachanfall bekommen hatte. Seitdem sei er unter seinen Kollegen "als großer Lacher bekannt".

Das ist er inzwischen auch bei der neueren Kafka-Forschung. Zuletzt hat Peter-André Alt die einst von Klaus Wagenbach begonnene Neuentdeckung Kafkas fortgesetzt, in deren Verlauf der Prager Dichter ein immer menschlicheres Antlitz erhielt - seine Kinopassion, SM-Fantasien und Bordellbesuche inklusive - und durch die gerade auch die humoristischen Qualitäten seiner Prosa endlich in den Blick gekommen sind.

Beim Publikum dürften dagegen noch immer die stereotypen Bilder vom asketischen, neurotischen, introvertierten Dichter vorherrschen, von albtraumhaften bürokratischen Institutionen und ihnen hilflos ausgelieferten Individuen. Als ob nicht selbst "Der Process" slapstickhafte, hochkomische Szenen enthielte, die Kafka dem Stummfilm abschaute. Wie die Szene von den Advokaten, die sich von einem Gerichtsbeamten ein ums andere Mal tapfer die Treppe hinunterwerfen lassen, um ihn so zu ermüden und endlich an ihm vorbei zum Gericht vordringen zu können. Nicht ohne Grund soll es, wenn Kafka seinen Freunden aus seinen Werke vorlas, zu kollektiven Heiterkeitsausbrüchen gekommen sein.

"Slapstick im Gericht" ist nur eines von 99 Fundstücken, die der Kafka-Biograf Reiner Stach gesammelt hat, um den sich hartnäckig haltenden Klischees "Gegenbilder" entge gen zusetzen. Das können wenig bekannte Texte sein wie ein Prosastück über den erbitterten Kampf zwischen seinen Händen, biografische Splitter wie jener Abend, an dem er mit Max Brod in Luzern beim Roulette die Reisekasse verzockte, oder aber Äußerungen wie jene, in denen der späte Kafka vom Biertrinken schwärmt ("Schandgeruch, wenn man den Deckel öffnet"). Sie alle zeigen den Autor "in ungewohnten Kontexten, in ungewohnter Beleuchtung".

Die Fundstücke zeigen in der Tat, dass Kafkas Komik "keineswegs bloß abgründig" ist, so Stach, sondern "ebenso naiv, slapstickhaft, erfüllt von der Freude an Wortwitz und Pointe, am Hantieren mit Motiven, Perspektivwechseln und szenischen Einfällen". Manche der Fundstücke wirken allerdings, als hätte Stach unbedingt auf die Zahl 99 kommen wollen: Oder was hat Max Brods fahrlässiger Umgang mit den Handschriften seines Freundes mit Kafka-Klischees zu tun? Stachs größeres Problem ist freilich, dass kurz vor seinem Buch im Steidl-Verlag ein Band von Astrid Dehe und Achim Engstler erschienen ist, der sich ebenfalls Kafkas "komischen Seiten" widmet.

Der "komische Kafka" stellt für dieses Autorenduo "nur eine Facette" dar: "Mag Kafka komisch sein und komisch sein wollen, bleibt er doch Kafka, ein ruheloser, immer aufs neue und fast zwanghaft scheiternder Mensch, ein Schriftsteller, zu dessen Kosmos Folter- und Suizidphantasien gehören, Parabeln unabschließbarer Suche und Maschinen, die durch Schrift töten. Lachen befreit, Kafka nicht." Etliche von Stachs Fundstücken finden sich auch bei Dehe und Engstler. Mit einem Unterschied: Der renommierte Kafka-Biograf Stach begnügt sich damit, seine Funde knapp zu erläutern, um dem Leser ihre Einordnung zu ermöglichen.

Dehe und Engstler dagegen nehmen Textstellen wie das "Advokatenwerfen" im "Process" zum Aufhänger für scharfsinnige Kommentare, überraschende, in sich abgeschlossene, aber miteinander vernetzte Essays, die Kontexte erhellen, Beziehungen zu anderen Kafka-Texten herstellen und gleichermaßen unterhaltsam wie sprachlich brillant einzelne Themenkomplexe erschließen, in diesem Fall Kafkas Verhältnis zur Welt der Beamten in seinem Werk.

Kafkas Lachanfall vor seinem Chef etwa wird ihnen zum Ausgangs- wie Endpunkt einer exzellenten psychologischen Skizze über das Verhältnis des Dichters zu seinen außerliterarischen Erfolgen, ein rätselhafter Tagebucheintrag wie "Meine Ohrmuschel fühlte sich frisch rauh kühl saftig an wie ein Blatt" zur luziden Reflexion über Kafkas problematisches Verhältnis zu seinem Körper. Damit ist dem Autorenduo mehr als nur eine Studie über "Kafkas komische Seiten" gelungen - nämlich die schönste und originellste Kafka-Einführung seit Robert Crumbs Sachcomic "Kafka kurz und knapp". (Oliver Pfohlmann, Album, DER STANDARD, 8./9.9.2012)