"Hotel Window" (1955)

Foto: STANDARD / Cremer

Jüngst publizierten Experten des Whitney Museum mit Zeichnungen und Notaten versehene Rechnungsbücher, die zeigen, dass Edward Hopper (1882-1967) vor dem schöpferischen Akt des Malens mit Bleistift, Feder und Tusche Skizzen der Gemälde anfertigte - gemäß seiner subjektiven Vorstellungswelt, seinen speziellen Perspektiven in Proportion und Komposition. Formal streng vermerkten er oder seine Gemahlin, die Malerin Josephine "Jo" Nivison Hopper (1883-1968), handschriftlich sein Schaffen. Was auf den ersten Blick (als illustrierte Inventarliste) eigenartig anmutet, ist bei näherer Betrachtung eine konsequente Fortführung des künstlerischen Weges. 1924 legte das Ehepaar Hopper erstmals vorsätzlich ein Buch an, um alle vollendeten Werke penibel zu katalogisieren. De facto handelte es sich um Rechnungsbücher der Firma Ledger, explizit für die Buchhaltung gefertigt; mit Spalten, Linien, Tabellen.

Kaum ein anderer Künstler ist in der kollektiven Vorstellungswelt der USA stärker verankert als Edward Hopper. Sein OEuvre darf zu Recht als Destillat des American Way of Life apostrophiert werden. Mittels minimalistischer Ökonomie an Details regen die Szenarien, zum großen Teil statische Sequenzen aus dem Alltagsleben abbildend, des Betrachters Fantasie an. Karge, archaische Gemälde von existenzieller Dramatik, Melancholie, Endlosigkeit und Sehnsucht. Eine atmosphärische Bildsprache, die wiederholt in cineastischen Werken von Hitchcock, Ridley Scott, Jim Jarmusch, Wim Wenders etc. paraphrasiert wurde.

Die minutiös geführten Bücher gewähren aufschlussreich luzide Anhaltspunkte zum Selbstverständnis und zur klar strukturierten Arbeitsweise des zeitlebens wortkargen Exponenten des Realismus. Fertigte Hopper anfangs in den Ledger Books Skizzen bereits vollendeter Gemälde als Werkverzeichnis an, wechselte diese Vorgangsweise rasch ins Gegenteil. Hopper machte vor Ort Skizzen, vermerkte Farben des Gezeichneten, machte Notizen über Atmosphäre, Stimmungen, Spiegelungen. Anhand der Zeichnungen, Variationen, Aussparungen, Weglassungen schuf er final Gemälde.

Im Endeffekt lassen sich die Ledger Books auch als psychologisches Porträt, als interaktives Kompendium des "geteilten Lebens des Paares" interpretieren. Sind Hoppers Skizzen präzise, sparsam und sachlich, sind die Notizen seiner Frau anekdotisch, eloquent, narrativ, farbenfroh. Neben puren Fakten (Titel, Format, Datum, Material, Hersteller, Preis, Käufer) besticht der Stakkato-artige, deskriptive literarische Akt: " Wände in elektrisch-blass grünlichem Gelb. Grünliche Schatten. Frau, Haar in Wellen gelegt. Kleid aus Alizarin-Krapplack (...). Was auch immer die hinausblickende Frau interessieren mag, muss außerhalb sein (. ..). Bild heißt definitiv nicht 'Allein in der Stadt bei Nacht'. Aber warum eigentlich nicht?", lautet etwa das Notat zu Hotel Window. Philosophische Gedankengeplänkel, partiell als Zitate des Künstlers gekennzeichnet.

Die Ledger Books werden erstmals im Zuge einer Retrospektive - ergänzend sowie kontrastierend mit den Gemälden -, akkordiert von einem fantastischen Bildband, öffentlich präsentiert. Phänomenal!    (Gregor Auenhammer, Album, DER STANDARD, 8./9.9.2012)