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Obamas Haupt. Von hinten.

Foto: AP/Neibergall

First Lady Michelle legte los, Bill Clinton legte nach, Joe Biden legte zu, die Foo Fighters heizten ein, Scarlett Johansson redete mit. Dann sprach Barack Obama. Seine rund 40-minütige Rede zum Abschluss der dreitägigen Democratic National Convention wird nicht als seine beste in die Geschichte eingehen. Aber sie war eine, die eines US-Präsidenten würdig war. Und sie war vor allem eine, die ihn und seine Anhänger in der Realität ankommen ließ.

"Four more years" riefen die 20.000 Zuschauer in Charlotte, die gleich zu Beginn von Obamas Rede das Ziel klar definierten. Es sollten 70.000 sein, doch das Wetter spielte nicht mit, statt in einem Sportstadion trat Obama in einer wesentlich kleineren Halle vor das Mikrofon. Die Stimmung war gedämpft und blieb es lange, die gewohnte Euphorie wollte nicht aufkommen. Dafür war die Rede zu nüchtern, von "hope", "change" und "Yes, we can" gab es anfangs nicht einmal Anzeichen. Das hätte zu einem amtierenden Präsidenten aber auch nicht gepasst. Nicht nach diesen vier Jahren.

Obama analysierte seine erste Amtszeit realistisch. Natürlich erwähnte er seine Erfolge, Stichwort Gesundheitsreform, Stichwort Bin Laden. Aber er gab auch die bestehenden Probleme zu: "Ich werde nicht so tun, als ob mein Weg einfach oder schnell sein werde. Das habe ich nie. Sie haben mich gewählt, damit ich die Wahrheit sage. Und die lautet, dass es mehr als ein paar Jahre brauchen wird, um die Probleme zu bewältigen, die sich über die letzten Jahrzehnte angesammelt haben." Demut hingegen passt zu einem amtierenden Präsidenten. Und sie kommt gut an. Nur Guantanamo erwähnte er nicht. Dieses Eisen war ihm wohl zu heiß.

Eine Schicksalswahl kündigte Obama an. Es sei eine Wahl zwischen zwei grundlegenden Visionen für die Zukunft, so Obama, und sprach damit indirekt den Rechtsruck der Republikaner an. Mitt Romney habe keine konkreten politischen Ziele, verfüge über keinerlei außenpolitische Erfahrung, so die Vorwürfe des Präsidenten. Die Informationspolitik der Republikaner auf ihrem Parteitag in Tampa kritisierte er ebenfalls: "Sie wollen eure Stimme, aber sie wollen nicht, dass ihr ihren Plan kennt". Doch damit hat es sich eigentlich auch schon mit den Attacken auf den politischen Gegner. Obama ließ die Samthandschuhe an.

"Aber du musst das wissen, Amerika: Unsere Probleme können gelöst werden. Unsere Herausforderungen können bewältigt werden. Der Weg, den wir bieten, mag ein steiniger sein, aber er führt zu einem besseren Ort. Und ich bitte euch, diese Zukunft zu wählen." Obama machte Hoffnung, aber er forderte sie auch von seinen Anhängern: "Ich habe nie größere Hoffnungen für Amerika gehabt. Nicht, weil ich glaube, dass ich alle Antworten habe. Ich bin hoffnungsvoll. Wegen euch."

Und dann wurde es doch noch laut

Zu diesem Zeitpunkt, die Rede war mittlerweile rund 36 Minuten alt, tauchte der Barack Obama des Jahres 2008 doch noch auf. "Wir kehren nicht um. Wir lassen niemanden zurück. Wie ziehen einander hoch" - Pathos pur, der Wirkung erzielte. Die Anwesenden erhoben sich von ihren Sitzen, es wurde gekreischt, es wurde gejubelt, und Obama schmetterte der Menge mit erhobener Stimme entgegen: "Wenn ihr an ein Land glaubt, in dem jeder Bürger eine faire Chance bekommt, dann gebt mir eure Stimme!" Denver grüßt.

Ansonsten aber kann Obamas berühmte Rede auf dem Parteitag 2008 in Denver nicht als Maßstab gelten, da sie vollkommen unrealistische Hoffnungen weckte. Ein US-Präsident muss sich gemäßigter äußern, Attacken sollten auf ein Mindestmaß zurückgefahren werden, schließlich gilt es, staatstragend zu wirken. Das ist Obama gelungen.

Ein vielumjubelter Satz Obamas in Charlotte lautete: "Ich bin nicht mehr länger ein Kandidat. Ich bin der Präsident." Aus dem Messias ist Realität geworden. (Kim Son Hoang, derStandard.at, 7.9.2012)