Andreas Zankl ist kein Masochist. Nicht um sich zu geißeln, ist der Klosterneuburger auf eigene Kosten nach London gereist, hat sich mit Mühe Karten besorgt und lässt sich jetzt in der imposanten North-Greenwich-Arena Tag für Tag, Abend für Abend vorspielen, wie weit Österreichs Rollstuhlbasketballer von der Musik weg sind. "Das sind Welten", sagt Zankl, zuständiger Fachwart im österreichischen Behindertensportverband, Coach des Nationalteams und Spielertrainer der Sitting Bulls, eines der sechs Vereine, die Österreichs Bundesliga bilden.
Das mit dem Spielertrainer ist nicht leicht fassbar, wenn man Zankl zusieht, wie er elastisch die Tribünenstufen hinaufspringt, um schnell zu telefonieren, während unten auf dem Feld im Viertelfinale die Australier das Spiel gegen Polen zum Entzücken tausender Zuseher erfolgreich einer Erledigung zuführen.
In nicht wenigen Ligen der Welt spielen nämlich auch Nichtbehinderte im Rollstuhl Basketball. Das ist nicht unfair, weil die Spieler nach dem Grad ihrer Behinderung mit Punkten von 1 bis 4,5 bewertet werden. Zankl ist als Nichtbehinderter mit 4,5 klassifiziert, ein 1er wäre ein Spieler mit hoher Querschnittlähmung. Die fünf jeweils eingesetzten Spieler dürfen gemeinsam maximal 14 Punkte aufweisen. Amputierte und Querschnittgelähmte dürften sich beim paralympischen Turnier, das am Samstag finalisiert wird, die Waage halten.
Perfektioniert
Österreich ist nicht dabei in London, und das ist sicher gut so, denn "unsere 4er hätten gegen die 1er, die hier spielen, keine Chance, die sind athletisch und im Umgang mit dem Rollstuhl perfekt ausgebildet", sagt Zankl, der hauptberuflich als Sportlehrer am Rehabilitationszentrum Weißer Hof in Klosterneuburg wirkt.
Die Hoffnungslosigkeit hat mehrere Gründe. Generell wird in jenen Ländern besonders eifrig und erfolgreich Rollstuhlbasketball gespielt, in denen auch Basketball der Nichtbehinderten floriert. Der Sport wurde von US-Versehrten des Zweiten Weltkriegs eingeführt, er ist seit den ersten offiziellen Spielen 1960 in Rom im Programm und deutlich besser entwickelt als die restlichen paralympischen Mannschaftssportarten.
Stigmatisierung behindert Erfolg
In den Topnationen wird unter den weitgehend identen Regeln wie im Basketball (ja, der Korb hängt ebenfalls in 3,05 Metern Höhe!) professionell gespielt. Könner wie der Australier Brad Ness sind nicht nur in der Szene Superstars. Freilich beklagt Zankl äußerst emotional ("Ich bin halt ein Viech"), dass die Bereitschaft, für den Sport alles zu geben, in Österreich nicht vorhanden ist. "Das ist zunächst auch keine Frage des Geldes." Ein tieferer Grund dafür, dass Österreichs Herren erst jüngst in die dritte europäische Leistungsstufe abgestiegen sind, ist aber der Unwille, sich ohne Zwang in den Rollstuhl zu setzen. "Rollstuhlfahrer sind bei uns stigmatisiert", sagt Zankl. "Amputierte wollen sich nicht einmal nur für das Training hineinsetzen, obwohl sie, hart gesagt, nie wieder so laufen werden, dass sie einen Sport wie Tennis oder Basketball voll ausüben können."
Zankls Vorschlag, den Rollstuhl einfach als Sportgerät wie Ski anzusehen, fruchtet selten. Dabei lassen sich mit den bis zu 6000 Euro teuren Spezialausführungen wunderbare, spektakuläre Sachen anstellen, die sich nicht nur Zankl Tag für Tag, Abend für Abend anschauen könnte. (Sigi Lützow, DER STANDARD, 7.9.2012)