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Der Mieterschutz in Österreich ist 90 Jahre alt - das wird heuer noch ein bisschen gefeiert werden.

"wohnrechtliche blätter" Juli/August 2012, Verlag Österreich

Cover: Verlag Österreich

Die Mietrechtsexpertinnen und -experten dieses Landes hätten heuer gleich zweimal Grund, ein Jubiläum zu begehen. Zum einen trat vor 30 Jahren, mit Beginn des Jahres 1982, das Mietrechtsgesetz (MRG) in Kraft.

Zum anderen ist die Mietengesetzgebung in Österreich natürlich wesentlich älter. Erste Mieterschutzbestimmungen wurden zwar schon 1917 getroffen, als eigentlicher Beginn des Mieterschutzes in Österreich gilt aber das Jahr 1922. Damals trat das Mietengesetz (MG) in Kraft, das beispielsweise mit Mietzinsbeschränkungen im Rahmen einer Vergleichsmiete zum Niveau vor Beginn des Weltkrieges die Grundlage für die "Friedenszinse" darstellte. Wie der Wiener Mieterschutzverband auf seiner Website ausführt, kam es damals aber auch erstmals zu einem weitreichenden gesetzlichen Kündigungsschutz, außerdem wurde es ermöglicht, eine Mietwohnung an Angehörige weiterzugeben.

Mit einigem Recht kann man heuer also auch "90 Jahre Mieterschutz" feiern, und so manche Organisation hat diesbezüglich auch schon Planungen laufen. Ein bisschen Zeit ist noch, der Tag des Beschlusses des "Bundesgesetzes über die Miete von Wohnungen und Geschäftsräumlichkeiten" war der 7. Dezember 1922.

Dass dieser Schritt damals ein großer Wurf war, ist unbestritten. Ebenso unbestritten ist aber auch, dass das Mietrechtsgesetz des Jahres 2012 wieder so einen großen Wurf nötig hätte. Denn der Ende 1981 erlassene Nachfolger des Mietengesetzes, das Mietrechtsgesetz, ist schwer in die Jahre gekommen.

Wie verworren die Situation ist, legen die Beiträge in den jüngsten "wohnrechtlichen blättern" (wobl), einer Fachzeitschrift aus dem "Verlag Österreich", dar. Und diese Situation sollte nach Ansicht des Wiener Zivilrechtsprofessors Andreas Vonkilch "weniger ein Anlass zum Feiern sein als vielmehr zum Anlass genommen werden, die Ärmel aufzukrempeln": Den "fundamentalen Rechtsprinzpien der Rechtssicherheit, des Gleichmaßgebotes und der Zweckmäßigkeit" müsse durch eine grundlegende Novellierung des MRG "zum Durchbruch verholfen" werden.

Bloß: Eine solche grundlegende Novellierung ist - obwohl seit Jahren von allen maßgeblichen "Playern" gefordert - auch weiterhin nicht in Sicht.

Johannes Stabentheiner, zuständiger Sektionschef im Justizministerium, zählt in seinem Beitrag in den "wohnrechtlichen blättern" zahlreiche Probleme auf, von denen hier nur die gravierendsten wiedergegeben werden sollen. Da wären einmal die "kaum überschaubaren Mammutparagraphen" mit "schwer verständlichen Formulierungen" auf der stilistischen Ebene. Das wahre Hauptübel sei aber die weit fortgeschrittene und "geradezu skurril anmutende Rechtszersplitterung", die dem Mietrechtsgesetz mittlerweile "den Ruf einer Geheimwissenschaft" eingetragen habe. Konkret nennt Stabentheiner die grundsätzliche Unterteilung in Voll- und Teilanwendungsbereich sowie Vollausnahmen des MRG.

Als "gewichtiger und extrem verkomplizierender Faktor" komme beim Mietrechtsgesetz die "Zeitebene" dazu, also die Problematik, dass sich Vertragsverhältnisse in diesem Bereich oft über Jahrzehnte strecken. So könne es "zu einer Vielzahl von zeitlichen Einzelsegmenten des Gesetzesrahmens" kommen - es muss also bei Streitfragen oft zunächst geklärt werden, welche gültige Fassung aus welchem Jahr denn eigentlich anzuwenden ist.

"Für den Praktiker erschließt sich das MRG in vielen Belangen längst nicht mehr durch das Studium des Gesetzes selbst, ohne sich gleichzeitig auch mit der umfangreichen Judikatur auseinanderzusetzen, dem Übergangsrecht, der Vorgängergesetze, Konsumentenschutzbestimmungen sowie allfälliger Förderungsrechtsmaterien", schreibt auch Udo Weinberger, Präsident des Österreichischen Verbands der Immobilientreuhänder (ÖVI), in seinem Beitrag. "Hat man diese Hürde erfolgreich genommen, setzt unmittelbar vernebelnde Betriebsblindheit ein, die vielen skurrilen Regelungen des MRG überhaupt noch als solche wahrzunehmen. Völliges Unverständnis und lächelndes Kopfschütteln erntet man, wenn man die hiesige Rechtslage ausländischen Mietern oder Vermietern zu erklären versucht."

Sektionschef Stabentheiner, der in wenigen Tagen auch am 39. Bundestag der Immobilientreuhänder in Kitzbühel über "Aktuelles zum Wohnrecht" referieren wird, ist skeptisch, was eine baldige Besserung der Lage betrifft. Es habe zwar seit 2006 mehrere Anläufe gegeben, entscheidende Verbesserungen zu erwirken, erklärt er im Gespräch mit derStandard.at. Aus verschiedenen Gründen sind diese aber allesamt gescheitert.

Selbst eine rein formale - stilistische - Verbesserung des Gesetzestextes wurde schon überlegt, auch dies scheiterte aber am "Hauptübel Rechtszersplitterung" einerseits. Andererseits werde sich "kein Politiker finden, der sich zu so einer Gesetzesänderung überreden lässt", glaubt Stabentheiner. "Denn nur aus ästhetischen Gründen wird man die Gesetzwerdungs-Maschinerie nicht in Gang setzen wollen."

Mittlerweile habe man sich mit der Situation auch "ein bisschen eingerichtet", so der Sektionschef etwas resignierend; "die kundige Mietvertragspraxis hat sich auf diese unklare Rechtssituation eingestellt".

In der laufenden Legislaturperiode ist der legistische Zug ohnehin schon abgefahren. Auch für die nächste Regierung - wie auch immer sie aussehen wird - dürfte das Mietrecht nur dann ein Thema werden, wenn es zuvor - etwa im Wahlkampf - zu einer breiten Diskussion über die sich verknappende Wohnungssituation und die steigenden Mietpreise in Österreich kommt.

Vorschläge für substanzielle Eingriffe gibt es zuhauf: "Ich habe diesbezüglich eine gefüllte Schublade", sagt Stabentheiner. Einiges davon - etwa die schrittweise Heranführung der niedrigen Altmietzinse an die Richtwertmieten - dürfte Mieterschützer nicht erfreuen. Andererseits wäre hier durchaus ein "Abtausch" von Rechten zwischen Vermieter- und Mietervertretern - wie etwa vor wenigen Wochen an dieser Stelle skizziert - denkbar. Allerdings: "Ohne politischen Grundkonsens sind alle diese Überlegungen vertane Liebesmüh'", weiß Stabentheiner aus Erfahrung. (Martin Putschögl, derStandard.at, 6.9.2012)