Ausgeizen nicht nötig, meint Erich Stekovics (... und die Erfahrung hat uns gelehrt, er hat recht. Im Topf kann man auf das Gießen allerdings nicht verzichten, beschreibt Stekovics in seinem Atlas der Paradeiser).

Foto: derStandard.at/ped

Wenn man einem Menschen sagt, er habe ein Radiogesicht, so will man ihm nichts Gutes. Nicht ganz so garstig, womöglich sogar wohlwollend gemeint, ist es, Mitmenschen ein Nachtschattengewächs zu nennen. So wurden dereinst jene Mädchen in der Schule bezeichnet, die nur bei Nacht und dann im Schatten ihre Schönheit entfalteten. Man musste also genauer hinsehen, um der Schönheit gewahr zu werden. Aber lieber versteckt schön als schön im Radio, werden sich die Girls gedacht haben.

Genauer hinsehen muss man auch bei jenen Nachtschattengewächsen, die unsereins, des Nahuatl Mächtige, Xitomatl nennen: Paradeiser. Um gleich vorweg die Diskussion abzuschließen: Tomaten kommen aus der Flasche, Paradeiser sind in Salaten, Suppen und Soßen heimisch.

Aus noch nicht ganz bekannten Gründen wurde das Ziehen eigener Paradeispflanzen zu einem anerkannten Ausgleichssport, und unsere Behörden überlegen bereits, die Zucht und Pflege von Solanum lycopersicum (wissenschaftl.: Paradeiser) zur Burnout-Prophylaxe einzusetzen. Unbestritten ist der sozial animierende Wert der Paradeiserpflege.

Getratsche über die richtige Pflegemethode 

Längst hat der Austausch über die richtige Pflegemethode das unselige Getratsche über das Wetter abgelöst, nur noch die Beagle-Erziehungsdebatte wird intensiver und kontroversieller geführt. Wer recht haben und reich ernten möchte, kauft sich einen Stapel populärer Sekundärliteratur, so zum Beispiel Pferdeapfel und Paradiesapfel - eine Ergänzung? vom Verlag der Niederösterreichischen Nachtschattenkammer.

Darin, wie auch in allen anderen Standardwerken, wird er die entscheidenden Tipps finden. Die Erde, steht dort, müsse intensiv gedüngt sein, denn die Tomate, die sei ein echter Zehrer. Am besten grabe man dazu eine Forelle beim Wurzelstock ein. Weiters müsse die Erde ständig gleichmäßig feucht sein, ein unregelmäßiges Gießverhalten würde zum Platzen der Früchte führen.

Staunässe, Obacht, gilt es zu vermeiden. Und ganz, ganz wichtig ist auch das Ausgeizen der neuen Triebe zwischen Stamm und Seitentrieben. Die gesamte Kraft der Pflanze soll ja schließlich in den bestehenden Trieb und dessen Blüten und Früchte geleitet werden. Und wem das an Pflegearbeit nicht genug ist, der baut der Tomatenpflanze ein Dacherl.

Mein Lieblingshinweis

Tomaten brauchen den ganzen Tag volle Sonne, aber es darf nicht zu heiß werden im windgeschützten Winkel. So steht es geschrieben, so soll es sein, so sagen das auch die Gärtner. Es gibt aber auch einen weiteren Auskenner im Land der Paradeisophilen, Herrn Stekovics. Er verdient sein Geld mit der Zucht und dem Einrexen von Paradeisern und diversen Paprikaderivaten. Das lässt ahnen, dass er nichts dem Zufall überlässt. Er hat drei Antworten auf Lager, sollte ihn jemand fragen, was man beim Paradeiserziehen so alles falsch machen kann.

Nummer eins: Düngen. Woher das Gerücht kommt, dass Paradeiser stark zehrend sind, weiß er nicht. Er düngt nicht.

Nummer zwei: Ständig feucht halten. Er gießt seine Paradeiser genau ein Mal, beim Umsetzen vom Anzuchttopf in die Erde.

Nummer drei: Ausgeizen. Stekovics geizt nicht aus.

Laut voneinander abschreibender Standardliteratur und sich perpetuierenden Kuchlweisheiten dürfte das Geschäftsmodell von Herrn Stekovics nicht funktionieren. Schön, wenn einer gegen den Main streamt, und dabei Erfolg hat. Probieren Sie es aus. (Gregor Fauma, Rondo, DER STANDARD, 7.9.2012)