Der Wiener Tierschutzverein verzeichnet einen starken Zuwachs an "Exoten". Die Tiere werden oft spontan gekauft, bald sind die Halter überfordert. So wie mit diesem zehn Kilo schweren Albino-Tigerpython.

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In den vergangenen Monaten wurden besonders viele Schildkröten abgeliefert. Die ausgesetzten Reptilien verdrängen teilweise heimische Arten.

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Eine Bartagame wurde im Hochsommer auf der Mariahilfer Straße gefunden.

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Stabheuschrecken sind ebenfalls im Kleintierhaus gestrandet.

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Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten dokumentierte verheerende Zustände auf der Terraristikbörse "Exotica" in St. Pölten Anfang September.

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Zahlreiche Tiere überlebten nicht. Schlangen, die bis zu 1,5 Meter lang werden können, gab es ab zehn Euro.

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Vier Pfoten fordert ein generelles Verbot der Haltung von exotischen Wildtieren - aus Tierschutzgründen, aber auch für die Sicherheit der Menschen.

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In den vergangenen Wochen sorgten ausgesetzte oder entkommene Reptilien für Schlagzeilen. Kein Zufall, zeigt ein Lokalaugenschein im Wiener Tierschutzverein. Die Zahl der abgegebenen, gefundenen oder beschlagnahmten Hunde und Katzen bleibt zwar mittlerweile das ganze Jahr über konstant hoch. Aber das Tierheim an der Triester Straße in Vösendorf verzeichnet einen Boom bei Reptilien und Spinnentieren – den sogenannten Exoten. "In diesem Sommer wurden dreimal so viele Reptilien wie üblich aufgenommen", sagt Sprecherin Eva Hercsuth.

Das Kleintierhaus war noch vor einigen Jahren hauptsächlich für Nagetiere und Vögel zuständig. Allein bis zum Stichtag 1. August gab es heuer aber schon 34 Echsen, 27 Schlangen sowie 34 Wasser- und zehn Landschildkröten. Mittlerweile wird der Platz knapp. "Im Sommer setzen besonders viele Leute ihre Reptilien aus. Aber sobald der Winter kommt, haben die Tiere meist keine Chance zu überleben", berichtet eine Reptilienpflegerin.

Schildkröten werden massenhaft ausgesetzt

Die Tiergruppe, bei der es in den vergangenen Monaten den größten Zuwachs gab, sind Schildkröten. Im Vorjahr wurden sogar 111 Landschildkröten aufgenommen. Außerdem wurden an einem einzigen Tag 80 Wasserschildkröten abgeliefert. Der Grund: Bei einem Hobbyzüchter in der Wohnhausanlage Schöpfwerk im 12. Wiener Gemeindebezirk wurde der Strom abgestellt, die Hälfte der Reptilien war bereits vor der Zwangsbeschlagnahmung verendet.

Die Tierschutzverein-Sprecherin vermutet, dass die Dunkelziffer der ausgesetzten Schildkröten sogar noch viel höher ist. Das sorgt für Probleme bei heimischen, sogenannten autochthonen Arten. Die beliebte Rotwangen-Schmuckschildkröte ist dafür ein Beispiel. Ursprünglich war sie in Nordamerika beheimatet, wurde aber in großen Mengen nach Europa eingeführt.

Oft werden sie sehr jung gekauft, wachsen aber auf bis zu 30 Zentimeter heran. Einige Halter sind dann überfordert und setzen ihre Haustiere einfach aus. Auf heimische Sumpfschildkröten können diese gebietsfremden, allochthonen Arten Krankheiten übertragen. Die Sumpfschildkröte gilt nach den Kategorien der "Roten Liste der gefährdeten Tiere Österreichs" mittlerweile als vom Aussterben bedroht.

Albino-Boa aus Mödling

Doch auch Bartagamen, Kornnattern, Skorpione und Stabheuschrecken zählen zu den neuesten Bewohnern. Die Tiere kommen aus unterschiedlichen Gründen in das Tierheim. Manche werden in den Mistkübel oder einfach aus dem Fenster geworfen. Eine Bartagame wurde direkt auf der Mariahilfer Straße von aufmerksamen Passanten aufgesammelt. Eine zehn Kilo schwere Albino-Boa kommt aus Mödling. Sie wurde dem Besitzer abgenommen, da er keine artgerechte Haltung mehr gewährleisten konnte. "Wir versuchen in den meisten Fällen, die Tiere an private Pflegestellen zu vermitteln. Spezialisten führen dort vorab Platzkontrollen durch", berichtet Reptilienpflegerin Karin Rossegger.

Viele Tiere kommen meist nach behördlichen Abnahmen in das Tierheim. "Hauptlieferanten" seien Halter aus dem 10. und 11. Wiener Gemeindebezirk, berichtet Sprecherin Eva Hercsuth. Besonders Schlangen sind meist in schlechtem Zustand und müssen erst gesund gepflegt werden. Sie sind oft von Milben befallen und abgemagert. "Eine hungrige Schlange ist aggressiver", betont Rossegger.

Billige Spontankäufe bei Terraristikbörse "Exotica"

Ein großes Problem sind die Spontankäufe ohne Wissen über anspruchsvolle Haltungsbedingungen. Erst Anfang September fand wieder die Terraristikbörse "Exotica" in St. Pölten statt. Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten prangert an, dass viele Besucher exotische Tiere erworben hätten, von deren Haltung sie aufgrund unzureichender Informationen vor Ort viel zu wenig Ahnung hätten. Mitarbeiterin Nikola Furtenbach war vor Ort und berichtet, dass die Bedingungen, unter denen die Tiere ausgestellt wurden, ebenfalls katastrophal gewesen seien.

"Die Tiere waren, wie auch schon in den Jahren zuvor, in winzige Boxen gepfercht, die absolut keine Bewegungsfreiheit erlaubten", so Furtenbach. Als zusätzlicher Stressfaktor werden die Tiere auf solchen Börsen immer wieder angefasst oder aus ihren Behältnissen herausgenommen. Sie sind einem enormen Geräuschpegel ausgesetzt und haben in der Regel stundenlange Transporte vor und hinter sich.

Jeder Laie könne sich exotische Wildtiere anschaffen, viele Arten würden nur ein Taschengeld kosten, berichtet die Tierschützerin. Ein Beispiel: Eine junge Schlange, die ausgewachsen bis zu 1,50 Meter lang wird, wurde um zehn Euro angeboten. Folgekosten und komplizierte Haltungsanforderungen werden bei Spontankäufen jedoch nur unzureichend einkalkuliert.

Initiativantrag an Stöger

Die Tierschutzorganisation unterstützt auch den bereits im Vorjahr an den zuständigen Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) gerichteten parlamentarischen Initiativantrag der Oppositionsparteien: Dem zufolge soll der Kauf exotischer Tiere durch Private stark eingeschränkt werden und außerdem ein Sachkunde-Nachweis potenzieller Käufer verpflichtend werden. Tierbörsen wie die "Exotica" sollen durch solche Änderungen der Gesetzesbasis dann bald Geschichte sein. (Julia Schilly, derStandard.at, 5.9.2012)