GNOME-Gründer Miguel de Icaza (links) und Linux-"Erfinder" Linus Torvalds.

Montag: derStandard.at

Dass der Linux-Desktop über die Jahre nicht jenen Erfolg erzielt hat, den man sich noch rund um das Jahr 2000 erhofft hatte, darauf einigen sich schnell alle in der Community aktiven Personen. Geht es darum, die entscheidenden Faktoren für dieses Misslingen auszumachen, hört es sich mit der Einigkeit allerdings schnell wieder auf, wie sich nun an einer aktuellen Debatte wieder einmal verdeutlicht.

Blog

Auslöser ist ein Blog-Eintrag von GNOME- und Mono-Gründer Miguel de Icaza, den er vor wenigen Tagen als Präzisierung zu einem aktuellen Bericht des Magazins Wired verfasst hat. Darin gab er seiner Überzeugung Ausdruck, dass nicht die Frage wie die Desktops gestaltet sind, das entscheidende Hindernis für den Erfolg waren, sondern die mangelnde API/ABI-Stabilität.

Probleme

Man habe viel zu oft Dinge geändert, um bessere Lösungen zu implementieren, es damit aber externen EntwicklerInnen de fakto unmöglich gemacht, langfristig funktionierende Anwendungen für Linux zu entwickeln. Dazu komme noch, dass es bis heute zahlreiche Inkompatibilitäten zwischen unterschiedlichen Distributionen gebe, wodurch es nicht einfach "ein" Linux gebe, das Dritthersteller anvisieren können.

Blame Game

Soweit die Kernaussage des Blog-Eintrags, der vielleicht nicht alle zustimmen würden, die aber wohl kaum für einen Flamewar geeignet gewesen wäre. Wirklichen Ärger verursachte schlussendlich aber eine Randbemerkung von de Icaza: Diese "Entwicklerkultur", in der man sich zu wenig um Kompatibilität gekümmert hat, schreibt er nämlich LInux-"Erfinder" Linus Torvalds zu. Konkret spielt er dabei auf die Weigerung der Kernel-Entwickler an, stabile Schnittstellen für Binärtreiber - etwa die Grafiktreiber von Nvidia oder ATI - anzubieten. Dies sei zwar nicht notwendigerweise eine falsche Entscheidung gewesen, aber die dahinter stehende Attitüde habe sich auch auf andere Projekte übertragen.

Reaktion

Die Aufmerksamkeit Torvalds erlangte der Blog-Eintrag dann nachdem Intel- und GNOME-Entwickler Sriram Ramkrishna diesen auf Google+ gepostet hatte: In den Kommentaren meldete sich auch der langjährige Kernel-Maintainer selbst zu Wort - und das wie es von ihm bekannt ist, in unmissverständlicher Weise.

Attacke!

Dass ausgerechnet GNOME-Leute behaupten würden, dass er diese Attitüde verursacht habe, sei geradezu lächerlich. Es sei von Anfang an einer der Grundgedanken von Linux gewesen, dass man nie externe Schnittstellen breche. Das sei genau das Gegenteil der GNOME-"Wir wissen es besser"-Attitüde, die über die zahlreiche Technologien (wie Corba oder .Net) und Desktop-Änderungen den Leuten "in den Rachen gestopft" habe, und die bei jeder Kritik mit der Standard-Antwort "Du bist gegen Veränderungen" reagiere.

Verlauf

Auf diesen Anwurf reagiert de Icaza wiederum mit dem Hinweis, dass er schon seit Jahren nicht mehr in die aktuelle GNOME-Entwicklung involviert sei - wohl wissend, dass Torvalds eine wohl artikulierte Abneigung gegen GNOME3 hegt. Was CORBA anbelangt gebe er Torvalds aber im nachhinein recht, sowohl KDE als auch GNOME haben zu einem gewissen Zeitpunkt geglaubt, dass man dieses benötige, um kommende Herausforderungen zu lösen - was sich allerdings als falsch herausgestellt habe.

Empfehlung

Wer die nötige Zeit aufbringen kann, an der Diskussion interessiert ist und am besten noch eine Tüte Popcorn / Chips bei der Hand hat, dem sei der Orginal-Thread nahegelegt. Stimmen doch im Verlauf des Threads noch zahlreiche andere Größen der Linux-Welt in die Diskussion ein, darunter etwa Linux-Urgestein Alan Cox und Enlightenment / EFL-Entwickler Carsten Haitzler. (apo, derStandard.at, 03.09.12)