Istanbul - Bei einem zeitgleich an vier verschiedenen Stelle vorgetragenen Angriff haben kurdische PKK-Rebellen den türkischen Sicherheitskräften die schwersten Verluste seit Monaten beigebracht. Zehn Soldaten und 20 PKK-Angreifer starben nach Behördenangaben am Sonntagabend bei der Angriffswelle im südostanatolischen Beytüssebap, rund 30 Kilometer nördlich der irakischen Grenze. Die Rebellen beschossen ein Verwaltungsgebäude, eine lokale Befehlszentrale der Armee, ein Wohnheim für Offiziere und deren Familien sowie einen Außenposten der Polizei mit Gewehren und Panzerabwehrraketen.

Die Angriffe waren Teil einer PKK-Offensive, die teilweise auf ein Erstarken der Rebellen in Syrien basiert. Einige Beobachter vermuten, dass auch neue Geheimverhandlungen zwischen türkischem Staat und PKK einer der Gründe für die Gewaltwelle sein könnten.

Drohung

Die PKK hatte in den vergangenen Wochen so häufig in Südostanatolien angegriffen wie lange nicht mehr. Die Rebellen entführten vorübergehend einen Parlamentsabgeordneten, errichteten Straßensperren und starteten einen Versuch, einen ganzen Landkreis unter ihre Kontrolle zu bringen - die Armee brauchte Wochen, um die Kurdenkämpfer wieder zu vertreiben. Die legale Kurdenpartei BDP, die bei türkischen Nationalisten als verlängerter Arm der PKK gilt, berichtete vergangene Woche, die Rebellen hätten weite Teile der rund 400 Kilometer langen Grenze zwischen der Türkei und dem Irak unter Kontrolle; das Hauptquartier der Kurdenrebellen liegt im Norden des Irak.

Auch ein Bombenanschlag in der Stadt Gaziantep nahe der syrischen Grenze, bei dem neun Menschen starben, wurde von der Regierung der PKK zugeschrieben. Im Norden des Bürgerkriegslandes Syrien haben die Kurdenrebellen die Kontrolle über mehrere Gebiet übernommen, was ihren Bewegungsspielraum für Gewaltaktionen in der Türkei stark erweitert hat. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan droht deshalb mit Militärschlägen gegen die PKK in Syrien. Auch in der Türkei werde die Regierung unnachgiebig gegen die Kurdenrebellen vorgehen, sagte der Premier.

Geheime Verhandlungen

Erdogans Regierung beschränkt sich aber nicht auf militärische Mittel. Bis zum vergangenen Jahr hatte der türkische Geheimdienst auf Erdogans Geheiß geheime Verhandlungen mit der PKK geführt. Trotz einer Annäherung in einigen Punkten scheiterte damals der Versuch einer abschließenden Einigung auf ein Ende des Konflikts, der seit 1984 mehr als 40.000 Menschen das Leben gekostet hat.

Der für die Kurdenpolitik zuständige Vizepremier Besir Atalay berichtete kürzlich aber von erneuten Gesprächen über eine freiwillige Entwaffnung der PKK. Demnach versucht die Regierung der kurdischen Autonomiezone im Nordirak, die PKK zu einem Gewaltverzicht zu bewegen. Nach Medienberichten sprach Atalay zudem mit dem Chef der legalen Kurdenpartei BDP, Selahattin Demirtas, über politische Zugeständnisse an die rund zwölf Millionen Kurden in der Türkei. Auf diesem Gespräch basiere die kürzliche Ankündigung der Regierung, Kurdisch als Wahlfach in staatlichen Schulen der Türkei zuzulassen.

Hardliner

Emre Uslu, Kolumnist der unabhängigen türkischen Tageszeitung "Taraf" und einer der angesehensten PKK-Experten des Landes, sieht einen Zusammenhang zwischen Atalays Bemühungen und der Eskalation der Gewalt in Südostanatolien. Uslu zufolge könnte es sein, dass Hardliner innerhalb der PKK versuchen, die neuen Annäherungsversuche sabotieren wollen. Denkbar sei auch, dass die Rebellen mit einer Demonstration ihrer Stärke auf dem Schlachtfeld in eine möglichst starke Verhandlungsposition bringen wollten. Sicher scheint, dass dem türkischen Kurdengebiet ein heißer Herbst bevorsteht. (APA, 3.9.2012)