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Die Detailliebe der Impulsivität: Der lettische Dirigent Mariss Jansons im Großen Festspielhaus.

Foto: REUTERS/Lisi Niesner

Mariss Jansons dirigierte Gustav Mahler, Daniel Barenboim das Verdi-Requiem.

Salzburg - Auf die Kompetenz der Salzburger Besucher ist Verlass. Er: "Wer dirigiert da eigentlich?" Sie: "Daniel Barenboim." Er: "Ah, der kann das!" Sollte es am Samstag für das kundige Pärchen nach dem hochkarätig besetzten wie packenden Konzert Richtung (erstmals stattfindendem) Festspielball gegangen sein, werden sich in die Tanzvorfreude allerdings auch Gedanken über die letzten Todesdinge eingeschlichen haben.

Mit der Programmierung des Verdi-Requiems unter Daniel Barenboim scheint Intendant Alexander Pereira ja gleichsam auch eine späte Coda zur (das Festival profund einleitenden) Ouverture spirituelle anberaumt zu haben. Wobei: So man Pereira für das Finale, das (wie die Ouverture) eine Verlängerung der Festspiele darstellt, ironiefrei eine Konzept philosophie unterstellen will, dann nur jene, die mit einer stimmigen Starzusammenführung für Auslastungsabsicherung sorgt. Elina Garancas vor allem in Höhe magisch und satt klingender Mezzo (etwa bei "Lux aeterna") und ihre delikate Glissandokunst waren ebenso frappant wie Anja Har teros' ansatzlose Pianissimotöne (bei "Domine Jesu") und die markanten, an Callas erinnernden So prantiefen (eine unerhebliche kleine Tonverrutschung gab es).

Strahlende Höhen

Und zweifellos ist Jonas Kaufmann auch in diesem Werk befähigt, seine strahlenden Höhen einzubringen, während man Rene Papes Bassarbeit als gediegen bezeichnen kann. Daneben: Barenboim moderierte zwischen Sänger und dem Mailänder Scala-Orchester spontan und engagiert. Er nutze die Gelegenheiten, zwischen (an der Stille entlangtönender) Geigenintimität und der eruptiven Kraft etwa des Dies irae (mit einen langen, zweimal beharrlich zu tiefen Trompetenton) starke Kontraste zu erzeugen. Das dröhnte bisweilen infernalisch, hatte jedoch hohe Unmittelbarkeit. Zu solch expressiven Momenten kam es am Freitag unter Mariss Jansons erst im Finale der 1. Symphonie von Gustav Mahler. Als so detailkundiger wie behutsamer Maestro legte Jansons den 1. Satz filigran schwebend und meisterhaft ausbalanciert an. Im 2. Satz hätte man sich vielleicht etwas mehr Direktheit gewünscht und im 3. Satz verstärkt melancholische Nonchalance bei der Phrasierung.

Der große Bogen stimmte; nur im Detail war einiges überbehutsam umgesetzt. Ist aber wohl Ansichtssache. In Summe war das eine erhellende Betrachtung von Mahlers symphonischem Einstand, dem ein wunderbar "bipolares" Werk vorausging. Bartóks zweites Violinkonzert kennt die Sehnsucht nach tonaler Idylle und gleichzeitig erwächst aus ihm bedrohlich düstere Modernität.

Geiger Leonidas Kavakos wählt einen so präsenten wie kühl packenden Ton, um die Werkbotschaft zu vermittlen. Mit beeindruckender Klarheit (und profund begleitet vom Concertgebouw Orchester) nahm er alle ruppigen und kantablen Hürden mit Leichtigkeit. Besonders stark, wie er im 2. Satz Linien als quasi einsame Schlafwandler über dem Orchester schweben ließ. Phänomenale Geigenarbeit - an einem verregneten Abend, der den Eindruck provozierte, Pereira hätte die Salzburger Festspiele bis in den Herbst hinein verlängert. (Ljubiša Tošic, DER STANDARD, 3.9.2012)