Ab kommender Woche hocken viele Kinder wieder stundenlang in der Schule.

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Immer wenn der kleine Bruder davon erzählt, dass er in der Pause wieder Mädchenfangen im Schulgarten gespielt hat, wird der große blass vor Neid. In seinen ersten vier Schuljahren, als er dieselbe Volksschule besucht hat, "bin ich kein einziges Mal draußen gewesen", jammert er. Es sei sich eben nie ausgegangen.

Jausnen, anziehen und dann noch vom zweiten Stockwerk hin unter in den Schulhof gehen, dafür seien 15 Minuten einfach zu kurz, hieß es stets von der ersten bis zur vierten Klasse. "Stimmt", pflichtet der kleine Bruder bei, deswegen dauere seine große Pause jetzt auch nicht mehr nur 15, sondern 30 Minuten.

"Bewegte Pause" nennt sich das Projekt, in das die Volksschule genau in dem Jahr eingestiegen ist, als der kleine Bruder in und der große Bruder aus jener Schule kam. Vor mehr als zehn Jahren hat ein engagierter Volksschuldirektor in Oberösterreich dieses Bewegungsprogramm entwickelt. So werden in den Pausen gezielt Bewegungsspiele angeboten. "Balancieren, jonglieren", erklärt Bezirksschulinspektor Franz Payrhuber. Die Rückmeldungen von den Lehrern seien durchwegs positiv, danach funktioniere "das kognitive Erfassen bei den Kindern" deutlich besser.

Dann können die Schüler auch wieder still sitzen, meint Bernhard Rathmayr, Erziehungswissenschafter an der Uni Innsbruck. Auch wenn es sich um ein Bewegungsprojekt handle, breche dies nicht mit der historischen Tradition: "Die Schule ist eine Einrichtung des Sitzens." Daran habe sich in seinen 30 Jahren im Lehrberuf nichts geändert, resümiert Rathmayr.

Schule sei "kognitiv orientiert" und nicht "wie nach Wilhelm von Humboldt körperlich und geistig ausgerichtet". Die Vorstellung "mens sana in corpore sano" (ein gesunder Geist in einem gesunden Körper) existiere im österreichischen Schulsystem nicht. Oder, wie es Rathmayr formuliert: "Kinder kommen nur mit dem Kopf in die Schule", an den Rest des Körpers werde aber nicht gedacht. Dies zeige sich auch daran, dass etwa die Turnstunden nichts anders seien als die "Disziplinierung von Bewegung". So werde gelehrt, wie man "richtig hüpft oder klettert".

Generell werde auch heute noch Bewegung als Freizeitbeschäftigung gesehen - "das Design der Schule ist Sitzen". Bewegung in der Schule hieße nämlich "Grenzen sprengen und Ordnungen aufheben". Dafür sei die Schulpolitik nicht bereit. Dann führe laut dem Erziehungswissenschafter kein Weg an der Ganztagsschule vorbei, mit entsprechender Zeit für kognitives Lernen, für freies Spiel und Bewegung. Dafür lasse der starre Stundenplan derzeit keine Zeit. So hänge es vom "Goodwill" einzelner Lehrer ab, das System zu modifizieren, um mehr Bewegung in den Schulalltag zu bringen.

"Aufsichtsproblem" Schulhof

Warum Schüler in der Pause im Klassenzimmer bleiben müssen und nicht in den Pausenhof dürfen, werde häufig als "Aufsichtsproblem wahrgenommen". Für das Klassenzimmer benötige es keine Aufsicht, im Schulgarten schon. Außerdem ist Rathmayr überzeugt, dass vielen Lehrern die Kompetenz fehle, mit "der Turbulenz vieler Kinder" zurechtzukommen. "In der Ausbildung lernen die angehenden Pädagogen dies nämlich nicht."

Und so heißt es nicht nur weiterhin "auf dem Gang wird nicht gelaufen", in vielen heimischen Klassenzimmern dürfen Kinder auch weiterhin während es Unterrichts nichts trinken, obwohl Studien belegen, dass Flüssigkeitsmangel rasch einen Leistungsabfall bei den Kindern hervorruft.

Noch dazu kommt knapp die Hälfte aller Sechs- bis 14-Jährigen ohne Frühstück in die Schule. Im Schulbuffet wird in der Pause der Heißhunger dann mit Wurstsemmeln, Pizzaschnitten und Süßigkeiten gestillt - ein Viertel ist übergewichtig. Doch wie können Kinder und Jugendliche dazu gebracht werden, nicht nur von Junkfood zu leben? "Man darf prinzipiell nichts verbieten", sagt Manuel Schätzer von der Initiative "Unser Schulbuffet", die von der Bundesgesundheitagentur finanziert wird. Fünf Coaches beraten in ganz Österreich kostenlos Betreiber von Schulbuffets bei der Umstellung auf ein gesünderes Angebot.

Greifen Kinder also eher zu Karotten, wenn diese wie Pommes geschnitten sind? "Die Verpackung muss stimmen", sagt Schätzer. Wraps und Joghurt mit frischen Früchten seien ein Renner. Und bei den Burschen, die sonst eher die klassischen Leberkäse-Konsumenten sind, würden die Ofenkartoffeln besonders gut ankommen. (Bettina Fernsebner-Kokert und Kerstin Scheller, DER STANDARD, 1.9.2012)