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Einer der gefundenen Zähne des Denisova-Menschen.

Foto: AP/dapd/Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie

Leipzig - Es muss eine Art Luxuswohnung gewesen sein, damals vor rund 50.000 Jahren. Die Denisova-Höhle liegt geradezu idyllisch eingerahmt von den Wäldern des südsibirischen Altai-Gebirges. Wer hier lebte, hatte Blick auf den Fluss Anui und reichlich jagdbares Wild direkt vor der Haustür. Kein Wunder also, dass die geräumige Grotte immer wieder gerne von Urmenschen bewohnt wurde.

Unbekannte Hominiden-Art

2008 gruben Archäologen in der Höhle einen kleinen Fingerknochen aus, später kamen noch zwei Backenzähne dazu. Erste genetische Untersuchungen des im Knochen enthaltenen Erbguts zeigten: Das Fossil entstammt einer bis dahin unbekannten Hominiden-Art, dem Denisova-Menschen. Die Zähne sind in ihrem Bau einzigartig. Sie gleichen weder denen von Neandertalern noch denen des modernen Homo sapiens.

Bemerkenswert gute Konservierung

Besagter Fingerknochen ist noch in einer anderen Hinsicht außergewöhnlich: Er enthält, trotz seines hohen Alters, noch etwa 70 Prozent eigene DNA. Bei vergleichbar datierten Neandertaler-Überresten beträgt dieser Anteil meist weniger als ein Prozent. Wie die bemerkenswert gute Konservierung zustande kam, ließ sich noch nicht klären. "Das ist ein großes Rätsel", sagt der Paläogenetiker Svante Pääbo im Gespräch mit dem Standard.

Genom komplett entschlüsselt

Pääbo, der als Forscher am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig tätig ist, leitete bereits die ersten genetischen Analysen des Denisova-Knochens (vgl. u. a. Nature: Bd. 468, S. 1053). Jetzt hat er zusammen mit einem internationalen Expertenteam das Genom des mysteriösen Urmenschen, eines Mädchens, praktisch komplett entschlüsselt. Bis in kleinste Details.

Die Wissenschafter hatten allerdings nur eine winzige Menge Knochenmaterial zur Verfügung. "40 Milligramm, und nur zehn Milligramm davon gingen in die Genom-Fraktion," erklärt Pääbo. Um mit dieser minimalen Probe auszukommen, erdachten die Experten einen Trick. Sie spalteten die prähistorischen DNA-Doppelstränge biochemisch auf und nutzten die so entstandenen Einzelstränge als Vorlage für die Bildung künstlicher, ergänzender DNA-Sequenzen. Das Erbgut wurde dadurch praktisch verdoppelt.

Denisova-Erbe am stärksten auf Papua-Neuguinea

Die Ergebnisse der neuen genetischen Untersuchungen, welche heuer von "Science Express" veröffentlicht wurden, offenbaren mehrere faszinierende Aspekte. So bestätigte unter anderem ein Vergleich mit dem Genom von elf unterschiedlichen modernen Menschen aus aller Welt frühere Forschungsergebnisse, wonach die Denisova, ähnlich wie Neandertaler, einen gewissen Beitrag zum Erbgut des heutigen Homo sapiens geliefert haben. Es muss zu Kreuzungen gekommen sein. Das Denisova-Erbe lässt sich am stärksten bei Ureinwohnern von Papua-Neuguinea nachweisen. Dort beträgt es zwischen drei und sechs Prozent. Auch bei Melanesiern und australischen Aborigines finden sich Anteile.

Nur wenig genetische Vielfalt

"Es kann sein, dass die Denisova in Südostasien lebten und nur für ein paar tausend Jahre in Sibirien auftraten", erklärt Svante Pääbo. Dafür spräche auch ein weiteres Studienergebnis: Anscheinend gab es bei diesen Hominiden nur wenig genetische Vielfalt. Das wiederum, meint Pääbo, könnte auf eine schnell wachsende und expandierende Population hinweisen. (deswa, DER STANDARD, 31.8.2012)