London - Seine Haltung, sagt Emil Brix, habe sich durch die Erkrankung nicht geändert. Wohl aber sehe er die Probleme von Menschen mit Behinderung jetzt aus größerer Nähe. Österreichs Botschafter in London leidet seit langem an den Folgen einer Rückenmarksentzündung. Den Rollstuhl braucht der 55-jährige Diplomat und Historiker aus Wien dank täglichen Trainings inzwischen nicht mehr, wohl aber Krücken, um die Räumlichkeiten einer Vertretung zu durchmessen, in der ab 1866 schon die Gesandten der k. u. k. Monarchie residierten.
Das Gebäude 18, Belgrave Square, in dessen prächtigem Entree unübersehbar ein Rehabilitationsbarren steht, ist übrigens die einzige Botschaft, die Österreich aus dieser Zeit erhalten geblieben ist. Der 1948 erneuerte Pachtvertrag läuft 2034 aus, und Brix hofft für diese Zeit auf einen "sehr klugen Außenminister".
Am Abend vor der Eröffnung der Paralympics begrüßte Brix das österreichische Team, und der Botschafter legte Wert auf die Feststellung, dass die Olympiamannschaft ein paar Wochen davor von ihm nicht empfangen wurde. "Man soll Symbole setzen. Das olympische Team hat ohnehin viel mehr Möglichkeiten, um sich zu präsentieren. Wo kann man gesellschaftliches Engagement besser zeigen?"
Brix' Anmerkung, dass dieses Engagement in Großbritannien unabhängig von den Paralympics "derzeit noch ein wenig stärker" als in Österreich ausgeprägt sei, entrang den Behindertensportlern beifälliges Gemurmel.
Rund elf Millionen Menschen mit Behinderung leben im Vereinigten Königreich. Deren Anliegen und Bedürfnisse, sagte Brix dem Standard, seien ganz selbstverständlich ein Thema der öffentlichen Diskussion. "Bewusstseinsbildung steht für die Briten im Vordergrund." Wöchentliche Kolumnen von Menschen mit Behinderungen in großen Tageszeitungen sind für den Botschafter ebenso ein Beleg dafür wie eine Comedy-Sendung zum Thema, die die BBC während der Paralympics täglich ausstrahlt.
Im Ringen um die TV-Rechte an den Spielen für Menschen mit Behinderung ist die BBC dem Sender Channel 4 unterlegen, der für die Paralympics unter Konzentration auf die britische Mannschaft derart trommelt ("Meet the Superhumans"), dass Kommentatoren schon davor warnen, die Fans könnten nicht nur den Blick für das eigentliche Anliegen der Bewerbe verlieren, sondern gleich durch patriotische Blindheit geschlagen werden.
Brix, der für das magere Paralympics-Programm des ORF (nur Eröffnungs- und Abschlussfeier live) einerseits Verständnis zeigt ("Man hat Angst wegen der Quoten"), andererseits aber den öffentlichen Auftrag anführt, der gerade hier zu erfüllen wäre, setzt auf die Fairness der Briten, die bei allem Überschwang schon während der Olympischen Spiele für großartige Atmosphäre gesorgt hätten. "Ich kenne selbst viele Menschen, die sich um Tickets für die Paralympics angestellt haben", sagte Brix, den es nach dem Erfolg von Olympia nicht überrascht, dass der Event als ausverkauft gilt. Selbst will der Botschafter im Radstadion und bei den Schwimmern vorbeischauen. Und er wartet schon leicht ungeduldig auf eine Medaille für Österreich. (Sigi Lützow, DER STANDARD, 30.8.2012)