Wien - Ein ehemaliger Wiener HTL-Lehrer, der seine eigene Tochter jahrelang sexuell missbraucht hat, ist dem Gefängnis entgangen. Statt den unbedingten Teil der über ihn verhängten Strafe in Haft zu verbüßen, befindet sich der 55-Jährige seit Donnerstag im elektronisch überwachten Hausarrest. Er war im November 2010 vom Wiener Straflandesgericht zu drei Jahren Haft, davon sechs Monate unbedingt, verurteilt worden.

Die Gewährung der Fußfessel ist insofern erstaunlich, als die zuständige Justizanstalt diese explizit abgelehnt hatte. Die Leiterin der Justizanstalt Wien-Simmering führte als Grund dafür die "absolut fehlende Deliktseinsicht" sowie die "fehlende Therapiewilligkeit" des Pädagogen an, was hinsichtlich des beantragten Hausarrests keine "positive Prognose" zulasse.

Evaluationsstelle: "Risiko neuerlicher Gewalt gegeben"

Auch die Stellungnahme der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt-und Sexualstraftäter (BEST) fiel "in Anbetracht früherer Gewaltanwendungen, sexueller Übergriffigkeiten und des Eindrucks eines ganz allgemein als patriarchalisch zu beschreibenden Verhaltens" skeptisch aus.

Einer Kriminalprognose zufolge sei der Mann zwar einer Tätergruppe zuzuordnen, aus der nur zwei bis zehn Prozent innerhalb von fünf Jahren einschlägig rückfällig werden. Aufgrund der nicht vorhandenen Bereitschaft des Mannes, seine "Persönlichkeitseigenschaften" aufzuarbeiten, sah die BEST dennoch "jedenfalls das Risiko neuerlicher Gewalt im häuslichen Kontext" gegeben.

Oberlandesgericht genehmigte Fußfessel

Trotz der ablehnenden Haltung der zuständigen Justizanstalt und der Skepsis der Begutachtungs- und Evaluationsstelle leistete die am Wiener Oberlandesgericht (OLG) eingerichtete Vollzugskammer einer Beschwerde des Mannes Folge und genehmigte diesem den elektronisch überwachten Hausarrest. Begründung: Aus der Stellungnahme der BEST ergebe sich "ein geringes Rückfallrisiko".

Die Vollzugskammer verweist in ihrem der APA vorliegenden Beschluss darauf, dass der Mann keinen Kontakt zum Opfer mehr habe und sich seit 1995 nichts mehr zuschulden habe kommen lassen. Gegenüber seiner nunmehrigen Ehefrau - die Mutter der missbrauchten Tochter hatte sich scheiden lassen, nachdem sie von den Übergriffen erfahren hatte - und deren Sohn habe der 55-Jährige außerdem keinerlei aktenkundige Gewalttätigkeiten gesetzt.

OLG: "Risiko verschwindend"

Das OLG kommt daher zum Schluss, das "Risiko auf Missbrauch der begehrten Vollzugsform" sei "derart verschwindend, dass es der bekanntermaßen einen äußerst strengen Maßstab bei der Risikoprognose anlegenden Vollzugskammer vertretbar erscheint, dem Beschwerdeführer die Vollzugsform des elektronisch überwachten Hausarrests nicht zu verweigern".

Der HTL-Lehrer hatte laut rechtskräftigem Urteil seine im Juni 1981 geborene Tochter von 1989 bis 1995 regelmäßig sexuell missbraucht. Die Tochter vertraute sich erstmals während der Matura einer Mitschülerin an. 2002 erzählte sie davon der Mutter, die daraufhin die Scheidung einreichte. Nachdem sie eine Ausbildung zur Ärztin abgeschlossen hatte, erstattete die Tochter knapp vor jenem Zeitpunkt Anzeige, an dem die Verjährung der Delikte eingetreten wäre.

"Absolut deliktsuneinsichtig"

Der Vater hatte vor Gericht und auch nach seiner rechtskräftigen Verurteilung vehement bestritten, sich an seiner heute 31 Jahre alten Tochter vergangen zu haben. Er habe diese streng erzogen und mitunter geohrfeigt, wofür sie sich mit ihren Behauptungen offenbar rächen wolle, lautete seine Verteidigung in seinem Strafverfahren.

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Ein Sozialarbeiter, der im Zuge des Fußfessel-Antrags mit dem 55-Jährigen zu tun hatte, hielt fest, dieser sei "absolut deliktsuneinsichtig" und lehne jede Therapie ab. Zumindest seinen Beruf darf der HTL-Lehrer nicht mehr ausüben: Nach Bekanntwerden der Vorwürfe war er mit 1. September 2010 karenziert worden. Mittlerweile befindet er sich in Pension.

Großer Bewegungsspielraum

Die Vollzugskammer des Wiener Oberlandesgerichts hat die Fußfessel mit Auflagen verbunden, die dem Mann einen recht freizügigen Bewegungsspielraum lassen. So darf er weiter seiner nebenberuflichen Tätigkeit bei einem auf Personalmanagement-Unternehmen nachgehen und Vorträge an einer Segelschule halten.

Nur die Wochenenden muss er ganztägig in seinem Haus verbringen, während er dieses montags bis freitags zwischen 16 und 18 Uhr für "persönliche Erledigungen" verlassen darf. Der Mann muss auch nicht die gesamten Kosten für die Fußfessel tragen, die üblicherweise 22 Euro pro Tag ausmachen. Bei ihm wurde ein Betrag von 13 Euro festgesetzt.

Justizministerin bedauert Entscheidung

Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) erklärte, sie akzeptiere zwar grundsätzlich jede Entscheidung der unabhängigen Justiz, habe jedoch gegen den Beschluss der Vollzugskammer Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH) eingelegt. Dieser sei der Beschwerde auf aufschiebende Wirkung aber nicht nachgekommen, sagte Karl am Mittwochnachmittag.

"Ich bedaure die Entscheidung des VwGH, gegen unseren Antrag auf aufschiebende Wirkung entschieden zu haben, und hoffe, dass der VwGH nun rasch in der Sache selbst entscheidet", meinte Karl. Sie sei in diesem Fall aufgrund der negativen Entscheidung der Anstaltsleitung und des skeptischen Gutachtens der BEST am 20. Juli an den Verwaltungsgerichtshof herangetreten: "Die endgültige Entscheidung über Fußfessel oder Haft in einer Justizanstalt liegt nun beim VwGH."

"Dieser Fall zeigt wieder auf, dass Reformbedarf bei der Vergabe von Fußfesseln an Sexualstraftäter besteht", betonte Karl, die in der Vorwoche im Zuge einer derzeit laufenden Evaluierung eine ergänzende Prüfung auf mögliche Verschärfungen bei der Vergabe von Fußfesseln an Sexualstraftäter in Auftrag gegeben hatte. Ihre diesbezüglichen Vorschläge will die Justizministerin im Herbst dem Nationalrat zur Diskussion vorlegen.

Opfer über Hausarrest nicht informiert

Die mittlerweile 31 Jahre alte Tochter des Mannes ist von der Justiz nicht darüber informiert worden, dass ihr Vater die Fußfessel beantragt und letztlich auch genehmigt bekommen hat. Das erklärte ihr Wiener Anwalt am Mittwochnachmittag. Seine Mandantin und er hätten erst durch Medienberichte erfahren, dass sich der 55-Jährige seit vergangenem Donnerstag in Hausarrest befindet. Es sei in solchen Fällen durchaus üblich, dass Opfer bzw. deren Anwälte nicht über eine Haftänderung informiert werden.

Der Jurist schloss aus, dass sich die Tochter zu den Vorgängen öffentlich äußern wolle: "Sie ist froh, dass das alles erledigt ist." (APA, 29.8.2012)