Bild nicht mehr verfügbar.

Konsolidierte Verhältnisse auch in Klingsohrs Garten: Susan Mac lean (Kundry) und Burkhard Fritz (Parsifal) in Aktion.

Foto: epa/Nawrath

Bild nicht mehr verfügbar.

Wagner-Schwestern am Werk: Katharina (li.) und Eva.

Foto: Reuters

Während man sich behutsam an die Aufarbeitung der eigenen Geschichte macht, zeigen Regisseure, Dirigenten und Sänger, dass höchsten Ansprüchen teilweise Genüge getan werden kann.

Beinahe wären die 101. Festspiele ein Jahrgang zum Durchatmen geworden. Für die Wagner-Schwestern Eva und Katharina und für die Zuschauer. Dann sorgten aber die Nazi-Tattoos Jewgeni Nikitins und der Abgang dieses (beinahe) ersten russischen Holländers kurz vor der Premiere doch noch dafür, dass jeder daran erinnert wurde, dass die Vergangenheit gerade in Bayreuth eben nicht zur Gänze vergangen ist.

Ganz explizit erinnert die Ausstellung "Verstummte Stimmen", die der Historiker Hannes Heer vor dem Festspielhaus um die Wagnerbüste von Arno Breker herum platziert hat, an das Schicksal jüdischer Künstler auf dem lange antisemitischen und dann ziemlich braunen Hügel. Die Ausstellung erntet viel Lob - keine Frage. Da ist man schon perplex, wenn sich jemand vor einer Ausstellungstafel über die Hakenkreuzfahnen vor Wahnfried im zweiten Aufzug von Stefan Herheims "Parsifal" aufregt: mit der Begründung, dass es so etwas bei Winifred auf der Bühne nicht gegeben hätte. Wozu auch - da flatterten die Hakenkreuze vor dem Festspielhaus.

Bilderwut und Geschichte

Überhaupt war wohl Stefan Herheims so vielschichtige wie bilderwütige Geschichtsstunde die wichtigste Produktion dieses Jahrgangs. Er schließt die Festspiele 2012 auch ab. Das war es dann für das faszinierende Trümmerlandschafts- und Bundestags-Bühnenbild von Heike Scheele und das Ensemble, das sich um den standfesten Gurnemanz von Kwangschul Youn und den konditionsstarken Parsifal von Burkhard Fritz zu einer respektablen vokalen Gralsgesellschaft entwickelt hat. Das einst für Bayreuth reservierte Bühnenweihfestspiel wurde darüber hinaus am 11. August zu einem erstmals in über 100 Kinos übertragenen Event für jedermann.

Heuer waren die sechs Reprisen aber auch der Bayreuth-Einstieg für den designierten Chef der Wiener Symphoniker Philippe Jordan. Der hat sich bereits mit seinem (eher von der deutschsprachigen als der französischen Kritik) gelobten "Ring" an der Bastille, wo er bis 2018 als Orchesterchef in Amt und Würden ist, sozusagen wagnerfit gemacht. Er meinte bei einem Gespräch am Vorabend seiner vorletzten Vorstellung, dass er froh ist, sein Bayreuth-Debüt mit einer gut eingespielten Wiederaufnahme absolviert zu haben. Mit seinem mittleren Tempo (knapp Eindreiviertelstunden für den ersten Aufzug), mit Gespür für innere Spannung und ohne ein erkennbares Problem mit den Tücken des verdeckten Grabens wurde er dafür vom Publikum gefeiert.

Ob er sich damit einen Platz neben dem musikalischen Mit regenten der Festspiele Christian Thielemann (der neben dem "Holländer" auch noch den letztjährigen "Tannhäuser" zusätzlich übernahm), Andris Nelsons (der neben dem vokalen Superstar dieser Festspiele, Klaus Florian Vogt, der zweite Held in Hans Neuenfels' Ratten-"Lohengrin" ist) und dem "Ring"-Dirigenten des nächsten Jahres, Kirill Petrenko, gesichert hat, will er (noch) nicht sagen. Aber die Spatzen pfeifen längst etwas von den nächsten Meistersingern vom Dach des Festspielhauses.

Doch werden für Jordan Paris und Wien die Schwerpunkte seiner Arbeit bleiben. Da will er sein künftiges Orchester nicht zu zweiten Philharmonikern, sondern zu ersten Symphonikern machen. Bregenz und Bayreuth liegen da ja irgendwie am Wege.

Auf dem Grünen Hügel war zwar nicht alles so pures stimmliches Gralsgold wie der aktuelle Schwanenritter. Auch Bayreuth kann sich nur aus dem Pool des Wagnerpersonals bedienen, wie es nun einmal ist. Da hat nicht nur Annette Dasch mit ihrer Elsa deutlich gewonnen. Anders als für Susan Maclean, die mit Kundry besser zurechtkam als mit Ortrud, war es für Michelle Breedt offenbar keine Hürde, neben ihrer Brangäne auch die Venus zu übernehmen und gemeinsam mit dem neuen Tannhäuser Torsten Kerl für eine spürbare Verbesserung des vokalen Niveaus des nach wie vor umstrittenen Sängerkriegs von Sebastian Baumgarten zu sorgen. Wenn man dann hört, dass Catherine Foster als Brünnhilde und Lance Ryan als Siegfried für die heikelsten "Ring"-Positionen engagiert sind, dann ist der Eindruck einer gewissen Konsolidierung vielleicht kein Zufallseindruck. (Joachim Lange, DER STANDARD, 29.8.2012)