Polizei beginnt in Ganzi urplötzlich mit der Absperrung der Straßen.

Foto: an yan

In jedem kleinen Ort gibt es eine Polizeistation, die absolute Mehrheit der Beamten sind Han-Chinesen, die hierher versetzt wurden.

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Selten habe ich so einen ausgeprägten Rassismus gespürt wie im Westen Sichuans. Die Fronten zwischen den Han-chinesischen Autoritäten und den tibetischen Bewohnern sind extrem verhärtet.

"Tibeter sind alle Verbrecher!"

Aus einer Provinz kommend, in der es viele Minoritäten gibt, war ich es gewöhnt, Alltagsrassismus à la "Das sind halt bisschen zurückgebliebene Bergleute" zu hören. Ich war allerdings vollkommen schockiert, als mich in Sichuan sogleich ein Soldat eindringlich davor warnte, alleine in der Region herumzureisen: "Hier ist es nicht sicher für dich, hier sind so viele Tibeter. Pass nur auf die Tibeter auf, sie sind alles Verbrecher und Diebe und Räuber, wirklich. Sie überfallen Leute in den Bergen und stehlen alles, was sie können. Sie sind Barbaren, ein zurückgebliebenes Volk. Sieh sie dir doch an, mit ihren langen Haaren und vollgehängt mit Schmuck, trinken den ganzen Tag diesen grauslichen Buttertee und essen Brei - kein Wunder, dass sie so unterentwickelt sind. Sie können ja nicht mal Chinesisch! Aber wir sind ja jetzt da, bauen für sie Straßen und Flughäfen, irgendwann wird es schon werden. Aber bis dahin solltest du wirklich auf dich aufpassen, hier ist es nicht sicher." Er war so überzeugt von seiner Einschätzung der Lage, dass er einen Umweg von 30 Kilometern in Kauf nahm, um mich in der vermeintlichen Sicherheit einer Stadt abzusetzen.

Auch Polizisten sind nicht viel offener: Als ich auf einer Polizeistation mit einem Beamten sprach, warnte er mich eindringlich vor den gefährlichen Tibetern, die anscheinend nichts anderes im Sinn haben, als mich auszurauben. Der Mann wurde aus der Umgebung von Chengdu in einen kleinen Ort nahe der Grenze zur Autonomen Region Tibet versetzt, was er als einen schweren Schicksalsschlag versteht. Seine Frau, die mit dem gemeinsamen Kind jedes Jahr für einige Monate auf der Polizeistation ihren Mann besucht, erzählt mir, dass sie es hier kaum aushält und dass "es nicht gut für das Kind ist, hier zu wohnen. Es wird ganz wild und redet plötzlich seltsam. Ich kann es kaum erwarten, wieder nach Hause zu fahren." Auf die Idee, dem Kind Tibetisch beizubringen, weil der Vater doch noch mindestens 20 Jahre hier leben wird, kommt sie nicht, vielmehr weigern sie sich selbst, diese Sprache zu lernen.

Schlagstöcke statt Erklärungen

Wie einschüchternd die Polizeipräsenz auf die Anwohner wirkt, durfte ich am eigenen Leib erfahren. Als in der Präfektur-Hauptstadt Ganzi der Staatsbesuch eines Politikers anstand, tauchten urplötzlich zahlreiche mit Panzerglasschilden, Schlagstöcken und Maschinengewehren bewaffnete Polizisten auf. Der komplette Straßenverkehr wurde mit einschüchternden Schreien urplötzlich umgeleitet und gestoppt, und bis heute weiß ich nicht genau, was an dem Tag eigentlich passiert ist, genauso wenig wie die Einwohner. Auf Fragen, was passieren solle, wann der Verkehr wieder freigegeben wird, in wie vielen Tagen wieder Busse verkehren könnten, gab es den nicht gerade höflichen Hinweis, ich solle mich gefälligst hier wegscheren.

Später konnten meine tibetischen Freunde nicht glauben, dass ich so leichtsinnig gewesen war und mich selbst an die Polizei gewandt hatte - viele meinten, dass ich ein Heidenglück gehabt hätte, nicht für unbestimmte Zeit im Gefängnis zu landen. Gerade in unangenehmen Situationen würden die Behörden hier alles andere als rumschnüffelnde Ausländer vor Ort haben wollen. Die hier lebenden Tibeter sind anscheinend wehrlos der Willkür der nicht gerade zimperlichen Autoritäten ausgeliefert. Mönche erzählten mir, dass viele Bekannte und Freunde ohne Warnung verschwunden und oft nicht mehr aufgetaucht seien.

Tief sitzende Vorurteile

Die oben zitieren Beamten, mit denen ich länger sprach, waren alle keine Unmenschen; sie hatten die besten Absichten und waren tatsächlich davon überzeugt, mir mit ihren Warnungen das Leben zu retten. Ich weiß nicht, woher dieser tief sitzende Rassismus kommt, doch es ist durchaus möglich, dass er Teil der Ausbildung ist, die die Beamten erhalten, bevor sie in die tibetischen Gebiete kommen. Besonders die Präfektur Ganzi in Sichuan, die als Unruheherd Chinas gilt, hat einen so schlechten Ruf, dass nur besonders schlecht qualifizierte Polizeibeamte hierher versetzt werden, und diese verstehen es dann auch als Strafe.

Die meisten Selbstverbrennungen von Mönchen und Demonstrationen geschehen hier, da in der hoch kontrollierten Autonomen Region kaum Widerstand möglich ist. Hier hängt in jedem Tempel trotz aller Verbote ein Bild des Dalai Lama, und die Leute gelten als aufständisch und barbarisch. Dass die lokalen Sitten sich so stark von den Han-Gebräuchen unterscheiden wie nur möglich, erleichtert die Völkerverständigung nicht gerade. Selbst relativ neutral sprechende Han-Chinesen wundern sich, dass ich mich nicht über die langen Haare der Männer und das "schreckliche" Essen aufrege. Ich erzähle ihnen lieber nicht, dass ich mich hier sogar ausgesprochen wohlfühle. (An Yan, daStandard.at, 27.8.2012)