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Ein unverstellter Blick aus dem Flugzeugfenster: Mitt Romney und sein Assistent Garrett Jackson ohne Wahlkampfinszenierung.

Foto: AP/Vucci
Grafik: STANDARD

Ron Demers hat Mitt Romney kennengelernt, da war noch nicht daran zu denken, dass der "Moneyman" einmal fürs Weiße Haus kandidieren würde. Demers wechselte eine Glühlampe aus in der schmucklosen Kapelle der Mormonen auf Belmont Hill. Romney kam herbeigeeilt, um die Leiter zu halten, auf welcher der Hobbyhausmeister stand. Eine nebensächliche Episode, doch zusammen mit anderen hat sie Rons Bild von dem hageren Ordnungsfanatiker geprägt, der damals Laienbischof war und mit der Investmentfirma Bain Capital marode Firmen aufkaufte, weshalb sie ihn den "Moneyman" nannten. Das war einer, der gern alles unter Kontrolle hatte, kein Volksredner, ohne Charisma, eher ein praktischer Typ. Romney, erinnert sich Demers, war sich auch nie zu schade, in Freiwilligenarbeit Fenster zu putzen im Gotteshaus.

Ruf des Machers

Später legte er diplomatisches Geschick an den Tag, um den Tempel durchzusetzen, ein imposantes Gebäude aus hellem Granit von der Insel Sardinien, gebaut auf einem Felsen oberhalb der älteren Kapelle. Es gab Ärger wegen der Höhe der Spitze, auf der blattgolden glänzend der Engel Moroni eine Trompete an seine Lippen setzt. Mancher empfand es als zu triumphal, das weithin sichtbare Symbol mormonischen Erfolgs. Anrainer protestierten, der Fall kam vor Gericht. Irgendwann lud der Republikaner Romney seinen demokratischen Erzrivalen, den altgedienten Senator Edward Kennedy, zu einer privaten Tour auf den Hügel ein. "Wenn andere Kirchen hohe Spitzen haben dürfen, dann darf diese es auch", sagte Kennedy hinterher. Es war, vor zwölf Jahren, der Durchbruch im Tempelstreit. Romney hatte sich endgültig den Ruf eines Machers erworben, der knifflige Probleme ideenreich löst, "a man who gets it done", wie Amerikaner sagen.

Er selber spricht so gut wie nie über seine Arbeit für die Church of Jesus Christ of Latter-day Saints (LDS). Dabei hat sie sein Leben geprägt, zumal er aus einer der prominentesten Familien der Konfession stammt. Deren mormonische Wurzeln gehen zurück bis ins Jahr 1837, als Ururgroßvater Miles dem Ruf des Propheten Joseph Smith folgte und aus dem Nordwesten Englands nach Amerika übersiedelte. 1981 wurde Romney Bischof, von 1986 bis 1994 war er Pfahlpräsident, das Oberhaupt der LDS im Großraum Boston. Er war zuständig für eine relativ kleine, verschworene Gemeinschaft, deren Mitgliedern lange Zeit akutes Misstrauen entgegenschlug. Vielleicht erklärt dies, warum er heute auf Wahlkampfbühnen die Vorsicht eines Perfektionisten an den Tag legt, dass er bisweilen wirkt wie ein Roboter - nie spontan, scheinbar angespannt darauf bedacht, nur ja keinen Fehler zu machen.

Fürsorglich und hart

Peggie Hayes, alleinerziehende Mutter einer dreijährigen Tochter, hat den Laiengeistlichen von seiner unnachsichtigen Seite erlebt. Sie war zum zweiten Mal schwanger, als er von ihr verlangte, das Baby zur Adoption freizugeben. Die Kirche rate dazu, Kinder müssten in stabilen Familien aufwachsen. Hayes' Einwand, sie komme sicher auch allein zurecht, stieß auf taube Ohren. Falls sie sich nicht füge, könne sie nicht Mormonin bleiben, soll Romney gedroht haben. "Seine Haltung war: Ich weiß, was richtig ist", fasste es Judy Dushku, Herausgeberin eines feministischen Mormonen-Magazins, neulich im TV-Interview zusammen. "Und wenn du glaubst, mir widersprechen zu müssen, dann irrst du dich."

Seit 1971 leben die Romneys, Mitt und Ann, in Belmont, wo sie fünf Söhne großgezogen haben. Fantasievolle Spielplätze, eine gut sortierte Stadtbibliothek, grüne Alleen: nichts Spektakuläres, dafür hohe Lebensqualität. Bei Wahlen gewinnen in Belmont zumeist die Demokraten, und wenn sich Mike Del Rose vorstellt, ein bekennender Republikaner, betont er gleich, dass er zwar fiskalisch konservativ ist, sonst aber sehr liberal.

Für Leistungsträger

Morgens um sieben lädt sich Del Rose im Souterrain der Bibliothek Schinken und Rührei auf den Teller, man trifft sich zum wöchentlichen Frühstück der Rotarier, die sich als Netzwerk der Leistungsträger Belmonts verstehen. Zwei in der Sechserrunde, die Bankerin Kusum Jain und der Arzt Subbiah Doraiswami, stammen aus Indien. Del Rose, ein junger Immobilienmakler, schildert die Odyssee von Großeltern, die aus Griechenland beziehungsweise Italien über den Großen Teich kamen und ihre Brötchen als Schuhmacher und Eisblockverkäufer verdienten.

Ein Rotschopf namens Daniel Ellard, von Beruf Programmierer, erinnert an die irische Kartoffelpest, die seine Vorfahren über den Atlantik nach Neuengland trieb. "Fremd ist hier keiner, oder wir sind es alle", bringt er die Toleranz Belmonts auf den Punkt. Nach Belmont, fügt er hinzu, ziehe man wegen der Schulen für den Nachwuchs. Daher ist die Grundsteuer höher als anderswo, sonst wären die guten Schulen kaum zu finanzieren - wozu auch Del Rose, der junge Republikaner, zustimmend nickt. Es klingt alles viel differenzierter, als man es aus dem Parteienclinch Washingtons kennt. In Belmont, sagt Ellard, lebst du mit Kompromissen. Auf Mitt Romney habe das logischerweise abfärben müssen.

Der hat natürlich auch im Rotary Club eine Rede gehalten, 1994, als er dem Platzhirsch Edward Kennedy den Senatssitz abnehmen wollte. Vernünftig klang er, so ausgewogen, wie es sich für Belmont gehört. Später, als Gouverneur von Massachusetts, verabschiedete er eine lokale Gesundheitsreform, mit der er heute nicht mehr wirbt, weil er Obamas (nahezu identische) landesweite Reform rückgängig zu machen verspricht. Ein Mann ohne Kanten, extrem anpassungsfähig, aber auch ohne Profil, so skizzieren die Rotarier ihren berühmt gewordenen Mitbürger. Steif und schwammig zugleich.

"Mal sehen", meint Ellard gnädig, "vielleicht hat er inzwischen dazugelernt." (Frank Herrmann/DER STANDARD Printausgabe, 28.8.2012)