Wenn die ersten Symptome einer Pilzvergiftung erst nach sechs oder mehr Stunden, manchmal sogar einen Tag später, eintreten, sind die Ärzte alarmiert. In solchen Fällen hat der Patient womöglich vom Grünen Knollenblätterpilz gegessen, sagt der Wiener Notfallmediziner Wolfgang Schreiber. Diese Pilzspezies enthält Amatoxine.

Sie werden leicht von der Darmschleimhaut aufgenommen und greifen anschließend die Leber an. Die Giftwirkung der Amatoxine beruht auf einem fatalen Eingriff in den zellulären Stoffwechsel. Amatoxin-Moleküle binden an das Enzym RNA-Polymerase II und blockieren so dessen Funktionsfähigkeit. Die DNA der Leberzelle kann dadurch nicht mehr transkribiert werden, die Produktion lebenswichtiger Substanzen kommt zum Erliegen. Die letale Dosis beträgt 0,1 Milligramm Amatoxin pro Kilo Körpergewicht. Die Amatoxin-Konzentration von Grünen Knollenblätterpilzen liegt bei 1,4 bis 8,8 Milligramm pro Gramm Trockenmasse. Das heißt: Bereits ein einziger Pilz kann einen Menschen ins Jenseits befördern.

Die Behandlung einer Amatoxin-Vergiftung erfolgt zunächst medikamentös. Eine zentrale Rolle spielt dabei oft das Präparat Silibinin. Es wird aus Samen der Milchdistel Silybum marianum gewonnen und verhindert zumindest zum Teil die Aufnahme von Amatoxin durch die Leberzellen. Häufig jedoch kommt der Einsatz der Medikamente zu spät. Die Leberfunktion bricht zusammen, das Organ beginnt zu zerfallen. "Dann muss so schnell wie möglich eine Lebertransplantation durchgeführt werden", erklärt Wolfgang Schreiber.

Bevor die Leber ausfällt

Besonders wichtig ist, dass ein solcher Eingriff möglichst vor dem totalen Ausfall der Leber stattfindet. Sonst drohen auch andere Organe wie die Nieren zu versagen. Lebertransplantationen kann man in Österreich in der Regel innerhalb von 24 Stunden durchführen, so Schreiber. Dennoch verlaufen etwa 20 Prozent der Amatoxin-Vergiftungen tödlich.

Eine neue, vielversprechende Therapiemethode haben Ärzte der Universitätsklinik Frankfurt am Main getestet. Die Experten behandelten neun akut mit Amatoxin vergiftete Patienten nicht nur medikamentös, sondern unterzogen sie auch einer besonderen Form der Dialyse.

Mit einem Spezialgerät versuchten die Ärzte, gezielt die giftigen Proteine aus dem Blutplasma der Kranken zu extrahieren. Das funktionierte. Die Amatoxin-Blutwerte sanken infolge der Behandlung von durchschnittlich 42,5 auf 1,2 Nanogramm pro Milliliter. Alle Patienten überlebten. Ihr Verbleib im Spital dauerte im Schnitt gut sieben Tage. Zum Vergleich: Bei zehn weiteren Amatoxin-Vergifteten, die in Frankfurt erfolgreich nach der klassischen Methode therapiert wurden, dauerte der Krankenhausaufenthalt durchschnittlich 11,7 Tage. Ein detaillierter Studienbericht erschien kürzlich in der Fachzeitschrift Journal of Gastrointestinal and Liver Diseases (Bd. 21, S. 171).

Die gezielte Plasma-Entgiftung ermöglicht die rasche Eliminierung von Amatoxinen aus der Blutbahn, resümieren die Frankfurter Ärzte. Die Methode habe das Potenzial, die Notwendigkeit von Lebertransplantationen zukünftig zu verringern. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 27.8.2012)