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Satirischer Vorschlag für einen neuen Wiener Straßennamen: Juso-Protest gegen den inzwischen zum "Universitätsring" umbenannten "Dr.-Karl-Lueger-Ring".

Foto: apa/Schneider

Dass es darum gegangen wäre, Juden als österreichische Mitbürger zu begreifen und anzuerkennen, wurde nicht begriffen. Stattdessen wurden die Ereignisse aus ihrem Kontext gerissen.

Von Heinz-Christian Strache, Obmann der FPÖ, kam diese Woche eine klärende Stellungnahme: "Ich lehne jeden Antisemitismus vehement und grundsätzlich ab." Er sah sich zu diesem Satz veranlasst, nachdem er auf Facebook eine Karikatur gepostet hatte, in der ein fetter Bankier zu sehen ist, der von einem Vertreter der Regierung gefüttert wird, während ein auch am Tisch sitzender Mann aus dem Volk als Schmalhans leer ausgeht. Das Bild kursiert in verschiedenen Versionen, wobei diejenige, die Strache wählte, charakteristische Eigenheiten aufweist, die sich als antisemitisch begreifen lassen, wenn man die nötige Sensibilität aufbringt. Straches Ablehnung des Antisemitismus hingegen ist "vehement und grundsätzlich", also gerade nicht an den Nuancen interessiert, in denen sich das Vorurteil meldet.

Tendenziell gehört die Karikatur in den Bereich des "ökonomischen Antisemitismus", von dem Maximilian Gottschlich in seinem aktuellen Buch Die große Abneigung schreibt, dass "die weltweite ökonomische Krise eine massive antisemitische Versuchung" darstellt. Viele Menschen suchen nach Schuldigen für die Probleme in den weltweiten Finanzsystemen, und wem " die Banken" zu allgemein ist, der vermutet vielleicht dahinter "die Juden" - und ist damit schon auf dem Terrain klassischer antisemitischer Verschwörungstheorien. Dass diese auch empirischen und nicht nur gefühlten Befunden zufolge in Österreich immer noch viele Anhänger haben, war einer der Gründe, aus denen Gottschlich das Buch schrieb.

Wie antisemitisch ist Österreich? Kritische Befunde zu einer sozialen Krankheit lautet der Untertitel, und wie es bei einem Professor der Publizistik zu erwarten ist, hat es seine größten Vorzüge in der Analyse und Rekonstruktion der veröffentlichten Meinung. Es gibt in Österreich einen "Medienantisemitismus", der in den Siebziger- und Achtzigerjahren besonders schlimme Ausprägungen erlebte, während Gottschlich in der jüngeren Zeit eher eine charakteristische "Ambivalenz" und einen " David-Goliath-Komplex" in der Berichterstattung über die Politik Israels diagnostiziert. Israel wäre in diesem Bild der Goliath, die Palästinenser der David.

Mit der Gründung eines Staats, der als "Lebensversicherung für die Juden, wo auch immer sie leben mögen" (Gottschlich) begriffen wird, hat sich die Situation nach 1945 noch einmal vollständig verändert, und Israel wurde - vor allem nach 1967 - zu einem beständigen "Reizthema", auf das Gottschlich ausführlich im dritten Teil seines Buches eingeht, das den Übergängen zwischen einem "alten" und einem "neuen" Antisemitismus gewidmet ist. Zuvor aber widmet er sich jenen Kapiteln der österreichischen Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg, in denen er die Ursachen für die "ausgeprägte Immunschwäche gegen den Antisemitismus" sieht, die seinem Befund nach für Österreich charakteristisch ist.

Die Verspätungen der Vergangenheitsbewältigung, die mit dem "Opfermythos" Österreichs zu tun haben, überprüft Gottschlich für die unmittelbaren Nachkriegsjahre an drei Themen. Sowohl bei Fragen der Wiedergutmachung (Restitution) wie bei der Berichterstattung über die Staatsgründung Israels 1948 und der Überführung der sterblichen Überreste Theodor Herzls nach Israel im Jahr 1949 sieht Gottschlich "versäumte Gelegenheiten" in der Nachkriegspublizistik.

Dass es in allen drei Fällen auch darum gegangen wäre, Juden als österreichische Mitbürger zu begreifen und anzuerkennen, wurde nicht begriffen; stattdessen wurden die Ereignisse aus ihrem Kontext gerissen und der ersehnten neuen österreichischen Normalität gegenübergestellt. " Die Leitidee der journalistischen Bewertung dieser drei Ereignisse hätte der Holocaust sein müssen", schreibt Gottschlich. Doch dieser wurde ausgeblendet. Auch den Konflikt zwischen Bundeskanzler Bruno Kreisky und Simon Wiesenthal zu Beginn der Siebzigerjahre und die Affäre um den FPÖ-Politiker Friedrich Peter 1975 werden als "versäumte Gelegenheiten" beschrieben, das Land "aus der verordneten kollektiven Amnesie zu befreien". Die Juden wurden vorwiegend außerhalb der "ersehnten Normalität" gesehen.

Der zweite Teil des Buchs ist der Waldheim-Affäre gewidmet, die hier als " Affäre Österreich" gedeutet wird und vor allem aufgrund der intensiven Auswertung der Berichterstattung hier noch einmal in konzentrierter Form gut nachzulesen ist. Der Populismus der Medien, die sich gegen Einmischung von der Ostküste und vor allem gegen Vertreter des Jüdischen Weltkongresses verwahrten, nahm immer wieder eindeutig antisemitische Züge an.

Zugleich erlebte Österreichs Medienlandschaft in dieser Zeit aber auch einen Modernisierungsschub. Gottschlich spricht von " Immunisierungsversuchen", und dass sein Buch in dem Verlag erscheinen konnte, den Hubertus Czernin, journalistische Leitfigur der Recherche und Vergangenheitsbewältigung in der Causa Waldheim, gegründet hat, hat so eine pointierte Logik.

Worin zeigt sich nun aber jener "neue" Antisemitismus, den Gottschlich im dritten Teil zu analysieren versucht? Hier vor allem tauchen jene begrifflichen Differenzierungen auf, die bei diesem Thema insgesamt immer wieder angebracht sind und die schon in der Einleitung eine große Rolle spielen. Denn der (nicht selten: "eliminatorische") rassistische Antisemitismus ist deutlich zu unterscheiden von einem politischen Antizionismus, und doch ist es gerade auch in diesem Zusammenhang eine Frage der Nuancen. Denn das eine wird nicht selten zum Alibi des anderen.

"Eine Israel-Kritik, die sich im Kontext des Nahostkonflikts - mit oder ohne Absicht - einer islamistischen, antiisraelischen und antizionistischen Semantik bedient, läuft Gefahr, unter dem Deckmantel demokratischer Meinungsfreiheit und legitimer Israel-Kritik antijüdische Ressentiments und Einstellungen zu schüren und zu verstärken."

In diesem Kapitel zeigt sich auch eine latente Schwäche des Buches, die allerdings mit dessen auf Österreich konzentrierter Themenstellung zu tun hat. Denn der Antisemitismus hat sich gerade in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg und durch den Aufstieg des muslimischen Fundamentalismus noch einmal markant verändert und globalisiert, und es ist gerade die globalisierungskritische Linke, die sich hier mehrfach aufgrund ihrer binären (häufig postkolonialen) Logiken plötzlich in einer Gegnerschaft zu Israel (bzw. Zionismus) sah. Österreich spielte unter Kreisky eine wichtige und kontroverse Rolle in diesem Zusammenhang, ein Aspekt, den Gottschlich zugunsten der Machtpragmatik unterrepräsentiert. Er behandelt diese Themen strikt österreichisch und übersieht ein wenig den internationalistischen Zusammenhang, der sich damals zu erkennen gab.

Eine Kehrseite dieses Zusammenhangs ist allerdings jene spezifische Variante der Opferkonkurrenz, in der Formen der Entrechtung miteinander verrechnet werden. Der entsprechende Topos, dass Israel sich inzwischen gegenüber den Palästinensern so verhält wie früher die Nazis gegenüber den Juden, ist die komplexeste Figur einer Entsorgung von geschichtlicher Erfahrung, hinter der Gottschlich Anzeichen "einer Relativierung der Shoah und der damit einhergehenden indirekten Rehabilitierung der Tätergesellschaften" erkennt. Das führt direkt an den Beginn seines Buches zurück, das nämlich mit einem staunenden Erschrecken beginnt: "Dass es den Antisemitismus immer noch gibt, ist das eigentlich Bestürzende. So als hätte die Menschheitskatastrophe der Shoah nie stattgefunden."

Kurz darauf verleiht Gottschlich seiner Verwunderung darüber Ausdruck, dass selbst Auschwitz "kein ausreichender Grund für eine kollektive und nachhaltige Immunisierung gegen die antisemitische Versuchung ist". Und hier zeigt sich, dass ein vornehmlich publizistisch interessiertes Buch, auch wenn darin auf hohem Niveau auch die allgemeineren Debatten eingearbeitet sind, eben doch methodisch blinde Flecken hat. Denn auch in der von Gottschlich erhofften "anamnetischen Kultur" des Leidensgedenkens wird eine "Lektion der Finsternis" (Gérald Messadié über die Shoa) immer auf (psychischen) Widerstand stoßen.

Der Antisemitismus ist wohl nicht so sehr eine Versuchung als ein Symptom, und eine Immunisierung dagegen funktioniert allenfalls auf der manifesten Ebene der Sprachregelungen und Konventionen. Dass man offen antisemitisch nicht sprechen darf, weiß auch Karl-Heinz Strache. Dass er " vehement und grundsätzlich" jeden Antisemitismus ablehnt, ist eine klassische Immunisierung. Dahinter aber arbeitet die Vorstellungskraft weiter, die Banken und Juden, Nasen und Identitäten, Opfer und Täter durcheinanderbringt. (Bert Rebhandl, Album/DER STANDARD, 25.8.2012)