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"Copenhagenize it!" Dänemarks Hauptstadt leistet weltweit Entwicklungshilfe beim Aufbau funktionierender Fahrradwegnetze.

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Allmorgendlich arbeitet Kopenhagen am Erhalt eines Europarekords: Nirgendwo sonst sind so viele Radfahrer unterwegs wie auf der Nørrebrogade, die als eine der Haupteinfallstraßen von den Vororten ins Stadtzentrum führt.

Die Zählstation auf der Dronning Louises Bro in der City registriert Tag für Tag an die 30.000 Fahrräder. Extrabreite Radwege beherrschen das Bild; der Autoverkehr hat Platz abtreten müssen, mit nur einer Spur in jeder Fahrtrichtung ist er in die Straßenmitte verlagert worden. Keine parkenden Autos am Straßenrand, keine Autotür, die sich plötzlich öffnen und zur Gefahr für den Radler werden kann. An der Ampel ein Schild: "Hallo Radfahrer, hier kannst du die Füße abstützen." Dank der Fußstützen und Haltestangen an den Seiten kann man bei Rot bequem im Sattel sitzen bleiben.

Die Liste der Annehmlichkeiten für Kopenhagens Radfahrer ist lang und befindet sich in ständiger Erweiterung. Im April erst wurde der erste dänische "Super-Fahrradweg" eröffnet, der über insgesamt 17 Kilometer vom Vorort Albertslund in die City führt. Mit Attributen wie hervorragender Ausschilderung, grüner Welle für eine Radlergeschwindigkeit von 20 km/h, teilweiser oder gänzlicher Trennung vom Autoverkehr und bevorzugter Schneeräumung sollen in den kommenden Jahren über zwanzig dieser Super-Fahrradwege zwischen Vororten und Innenstadt entstehen. Mit dem Riesenprojekt, einem Gemeinschaftswerk zwischen der Stadt und umliegenden Kommunen, sollen noch mehr Menschen zum Umsteigen auf das Rad ermuntert werden.

"Noch nicht gut genug"

Schon jetzt hat das Fahrrad im Stadtverkehr einen Anteil von 33 Prozent; zwei von drei Kopenhagenern radeln mindestens einmal pro Woche. 50 Prozent der Hauptstädter und 35 Prozent der Vorortpendler wählen für den Weg zu Ausbildung und Arbeit das Rad. Fast alle Hauptstraßen haben Radwege, die mit bis zu fünf Metern als die breitesten sowie als die ebensten in Europa gelten; an mehr als 100 Stellen in der Stadt kann man ein Rad per Münzeinwurf so einfach leihen wie einen Einkaufswagen im Supermarkt.

Grüne Wellen für Radfahrer gibt es seit 2006. Sie führen geschmeidiger durch die Stadt und machen das Rasen und Drängeln weniger attraktiv. Doch den Stadtplanern reicht das nicht. "Von gut zur Weltspitze" lautet das Motto der Kopenhagener "Fahrradstrategie 2011-2025". Radfahrer sollen ihren Weg künftig noch schneller, bequemer und sicherer zurück legen können, erklärt Andreas Røhl, Lei- ter des städtischen "Fahrradsekretariats", dessen rund zehn Mitarbeiter ausschließlich mit der Planung und Auswertung von Fahrrad projekten beschäftigt sind. "Es geht um kurze, direkte Strecken, die die Tour so kurz wie möglich machen und Platz bieten, sodass jeder die ihm genehme Geschwindigkeit finden kann", so Røhl.

Im Blick habe man vor allem die noch wenig routinierten Radler und die Pendler, von denen immerhin schon Mitte der 1990er-Jahre knapp 30 Prozent zu Arbeit und Ausbildung radelten; seit knapp zehn Jahren schwankt der Anteil um die 35-Prozent-Marke, ohne den erhofften Sprung nach vorn zu machen. Die Zielvorgabe von 50 Prozent bis 2015 sieht man mittlerweile denn auch eher als politische Vision. Um ihr näher zu kommen, schließt man laut Røhl Maßnahmen wie die Einführung einer Citymaut nicht aus.

"Copenhagenize"

Im Zuge wachsenden Klimabewusstseins ist das Fahrradmekka Kopenhagen immer stärker in den Blickpunkt geraten; der Begriff "copenhagenize" - "kopenhagenisieren" - steht für die Beratung, die dänische Experten weltweit leisten. Zauberformeln ziehen sie aber nicht aus dem Ärmel - auch in Kopenhagen geschah die Entwicklung zur Fahrradstadt nicht von allein. "Man hat viele Jahre lang systematisch auf das Fahrrad gesetzt", betont Andreas Røhl. "Der politische Wille ist das A und O - nicht zuletzt die Bereitschaft, auch unpopuläre Beschlüsse zu fassen, beispielsweise zur Einschränkung des Autoverkehrs."

So war die Umgestaltung der Nørrebrogade zugunsten der Radfahrer keineswegs unumstritten - trotz heftiger Proteste blieb die Stadt bei ihrem Plan. Als entscheidend bezeichnet Andreas Røhl darüber hinaus gute urbane Voraussetzungen wie eine "dichte" Stadt, fahrradfreundliche Klimabedingungen sowie eine lange Fahrradtradition: Die ersten Radwege entstanden schon Ende des 19. Jahrhunderts.

Bewusste Wegwahl

Zwei Zäsuren sind in der Entwicklung zum Fahrradmekka dennoch sichtbar. Die erste datiert vom Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre. Damals wählte Kopenhagen, das sich im vorhergehenden Jahrzehnt immer mehr zu einer herkömmlichen "Autostadt" mit drögen Blechkolonnen entwickelt hatte, vor dem Hintergrund der Ölkrise und des wachsenden Unmuts der Bevölkerung bewusst einen eigenen Weg.

Statt nur die Autowege auszuweiten, investierte man massiv in den Aufbau eines feinmaschigen Radwegenetzes. Die Statistik über die täglichen Fahrradreisen innerhalb der Stadt zwischen sechs und 18 Uhr zeigt den Erfolg dieser Strategie: Von 60.000 Reisen 1975 stieg die Kurve auf knapp über 100.000 zehn Jahre später und auf 125.000 1995. Seit man dann in einem zweiten großen Schritt um die Jahrtausendwende beschloss, das Projekt Fahrradstadt "generalstabsmäßig" anzugehen - mit jährlichen Fahrradstrategien, stetig erhöhten Investitionen und mehr Augenmerk auf Komfort -, setzte sich der Anstieg fort, auf mittlerweile mehr als 190.000 Reisen täglich.

Schnellste Alternative

Wird die Radelbegeisterung der Kopenhagener mit den Super-Fahrradwegen auch stärker auf die Pendler übergreifen? Noch ist es laut Røhl zu früh für verlässliche Statistik, doch die erste Route werde offenbar besser angenommen als erwartet.

Umfragen deuten darauf hin, dass man mit den Super-Wegen auf dem richtigen Weg ist: Die meisten Kopenhagener bevorzugen das Rad, weil es die schnellste Alternative darstellt, erst nach Gesundheits- und Kostengründen folgt die Rücksicht auf die Umwelt. "Wir arbeiten ständig daran, Radfahren komfortabler zu machen und gute Voraussetzungen für Radfahrer - und für Fußgänger - in die städtische Gesamtentwicklung einzubinden", so Røhl. "Nur, wenn es komfortabel ist, werden sich die Leute für das Rad entscheiden. Radfahren ist kein Selbstzweck, sondern Teil des Konzepts von einer Stadt, in der man gut leben kann."(Anne Rentzsch, DER STANDARD, Schwerpunktausgabe "Die Zukunft der Mobilität", 25.8.2012)