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Die Gamescom ist ein unvorstellbares Ereignis. 275.000 Menschen zwängen sich in Schlangenlinien durch Hallen, die vollgestopft sind mit Spielstationen und fleischgewordenen Gaming-Helden, nur um eine Brise frischer Unterhaltungsluft zu schnuppern. Teenager wie Eltern nehmen fünf Stunden Wartezeit in Kauf, um 15 Minuten an eine Konsole zu gelangen, die mit einem Spiel gefüttert wurde, das in wenigen Wochen sowieso als Demo oder Free2Play-Titel kostenlos verfügbar ist oder vielleicht sogar unter dem Weihnachtsbaum landet. Fünf Stunden. Das ist Leidenschaft. Wirklich unvorstellbar.

Branchentreff und Demokarussell

Aber was soll man als Angefixter anderes sagen, als das man es gerne macht. Wir Spieleredakteure unterscheiden uns lediglich darin von den unerschütterlichen Konsumenten, dass wir einfach keine Zeit haben, um uns für Schreibstoff lange anzustellen. Tatsächlich ist die Gamescom für die meisten Fachbesucher nichts anderes, als ein Terminmarathon, bei dem es darum geht, die "wichtigen Inhalte" zu sehen und die "richtigen Leute" zu treffen. Ein riesiger Branchentreff, ein gewaltiges Demokarussell abseits des Gewusels in einer abgegrenzten "Business Area".

Der Messealltag für den Online-Journalisten ist nichts als eine eine Aneinanderreihung von Wiederholungen. Ca. 7:30 Uhr aufstehen, Emails checken, News lesen, hinfahren, WLAN checken, Termin, Emails checken, Termin, Schreiben, News lesen, Emails checken, Termin, Emails checken, schreiben, Termin, Emails checken, heimfahren, Emails checken, News lesen, Abendveranstaltung besuchen oder schlafen gehen. Sollte man noch irgendwelche sozialen Kontakte dazwischen pflegen und etwas essen wollen, muss man das auch noch irgendwie dazwischenschieben.

Aufmerksamkeitsdefizit

Man steht also ziemlich unter Spannung und fühlt sich durch jede Verzögerung furchtbar gestresst. Schließlich steht man alle 30 Minuten namentlich, nach Land und Medium kategorisiert, auf einer anderen Liste eines Pressebetreuers und hofft, gerade die Präsentationen bisher unangekündigter Werke nicht zu verpassen. Die Dauerbeschallung lässt die Nervenstränge jedenfalls in bedenklich spitzen Amplituden ausschlagen. Ruhe kehrt erst ein, wenn man bereits im angenehm klimatisierten Schauraum sitzt, ein farbenfroher Trailer von einem überdimensionierten Bildschirm die Netzhaut berieselt und der Surround-Sound von allen Ecken des Raumes aus zum Frontalangriff aufs Trommelfell ansetzt.

Inspirierend

Nach all den "awesomes" und "fantastics" und sonstigen Superlativen der Marketingwelt, mit denen das Medium in Zuckerguss gepackt und in die virtuellen Schaufenster gestellt wird, sind die teils sehr persönlichen Demonstrationen und Worte der Schöpfer der wahre Grund, weshalb man jeden Messestress in Kauf nimmt. Wenn Gavin Moore über seine jüngstes Werk "Puppeteer" spricht, scheint die Inspiration aus jeder seiner Poren zu sprudeln. Auf der Packung und in den Schlagzeilen ist nichts von den Herausforderungen, Freundschaften, Streitereien und Sorgen zu lesen, die die mehrjährige Entwicklung eines Videospiels mit sich bringen. Doch in den blau unterlaufenen, aber strahlenden Augen der Kreativen ist all dies in komprimierter Form zu sehen. Fast ist es, als würde man einen Wissenschaftler über eine neue Entdeckung reden hören.

Powerpoint lebt

Und in anderen Fällen, ist es, als würde man einem Fanatiker beim Vortragen einer Powerpoint-Präsentation lauschen. Activision hielt es beispielsweise für eine gute Idee, die Multiplayer-Features des kommenden Blockbusters "Call of Duty: Black Ops 2" mündlich vorzutragen. 30 Minuten lang. Bei einem Videospiel. Video und Spiel. Nach den ersten zehn Minuten dachte ich noch immer eine zu lang geratene Einleitung mitzuerleben, bis ich nach 20 Minuten das zwanzigste Slide und die zerronnenen Gesichter meiner fünfzehn Branchenkollegen observierte. Wie von einer Biene gestochen hörte der zugegebener Maßen überaus eloquente Designer nicht auf zu sprechen und uns das eigentliche Spiel vor zu enthalten.

Off the record

Nun, und dann gibt es jene Verabredungen rund um die Messe, von denen Pressevertreter kleinerer Länder wie Österreich zumeist nur träumen können. Während sich der "Pöbel" um 15-Minuten-Slots mit Designern und Executives streiten muss, erhalten führende Branchenseiten und international bedeutende Medien exklusive Einblicke. Beispielsweise dann, wenn sich ein britischer Kollege in einer Hotel-Lobby auf Kaffee und Kuchen mit dem Creative Director des kommenden Blockbusters "Assassin's Creed 3" trifft. Weshalb ich das weiß? Weil ich zufällig eine Stunde auf die Freigabe meines Zimmers warten musste und so Zeuge dieser lockeren Unterhaltung über Spiel und die Welt wurde. Die spannendste Erkenntnis aus dem Gespräch: "Off the record: AC3 hat keinen Link zu Watch Dogs." Okay, doch nicht so viel verpasst. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 26.8.2012)

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