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Breivik bei der Urteilsverkündung im Gerichtssaal in Oslo.

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Richterin Wenche Elizabeth Arntzen bei der Bekanntgabe des Urteils.

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Oslo - Überlebende und Angehörige von Opfern haben am Freitag erleichtert auf die Entscheidung des Gerichts in Oslo reagiert, den Massenmörder Anders Behring Breivik zur norwegischen Höchststrafe von 21 Jahren Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung zu verurteilen. Die zwei Berufsrichter und drei Schöffen befanden Breivik, der am 22. Juli 2011 in Oslo und auf Utöya insgesamt 77 Menschen getötet hatte, der Ausführung von Terrorakten für schuldig.

Das Urteil fiel einstimmig und war insofern ein deutlicher Affront gegen die Staatsanwaltschaft, die Breivik als nicht zurechnungs- und also nicht straffähig eingestuft hatte. Die Verteidigung hatte hingegen auf ausdrücklichen Wunsch Breiviks für dessen Straffähigkeit plädiert. Die Staatsanwälte Inga Bejer Engh und Svein Holden erklärten am Abend, man halte zwar an der eigenen Einschätzung fest, akzeptiere jedoch das Urteil und werde es nicht anfechten.

Zuvor hatte Breivik in einer Abschlusserklärung im Gerichtssaal erklärt, er werde nicht in Berufung gehen, da er das Gericht ohnehin nicht anerkenne. Somit kann das Urteil in Kürze rechtskräftig werden. Staatsanwalt Holden ging gegenüber der Presse von einer formalen Frist von 14 Tagen aus, da Breivik auf die Frage der Richterin nach eventueller Bedenkzeit keine klare Antwort gegeben hatte. Seine Anwälte bestätigten unterdessen, man wolle den Richterspruch nicht anfechten.

Als Kernfrage des Prozesses hatte die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit des geständigen Attentäters gegolten. Zwei Psychiaterteams hatten dem Gericht dazu Gutachten mit gegensätzlichen Schlussfolgerungen vorgelegt. In den vergangenen Monaten hatte der Fall für hitzige Diskussionen unter Norwegens Psychiatern gesorgt. Mehrfach war dabei die Existenzberechtigung der Gerichtspsychiatrie grundsätzlich infrage gestellt worden. Die überwiegende Mehrheit der Norweger hält Breivik laut Umfragen für hinreichend gesund, um seine Taten im Gefängnis sühnen zu können.

Die Anwältin der Hinterbliebenen, Mette Yvonne Larsen, sprach im Norwegischen Rundfunk von einem "mutigen und selbstständigen Beschluss" des Gerichts. Das Urteil vermittle "Vertrauen ins norwegische Rechtswesen - und vielleicht sogar in die Gerichtspsychiatrie". Trine Aamondt, die ihren Sohn Diderik beim Massaker auf Utöya verloren hatte, zeigte sich gegenüber der Zeitung Verdens Gang zufrieden: "Ich freue mich, dass man ihn einstimmig als zurechnungsfähig beurteilt. Es wäre furchtbar, wenn er und die gesamte Gesellschaft die Verantwortung einfach mit dem Argument abwälzen könnten, hier geht es um eine Krankheit."

Der Attentäter selbst hatte den Urteilsspruch am Vormittag mit offenkundiger Befriedigung entgegengenommen. Während der mehrstündigen Begründung des Richterspruchs gingen die Richter Wenche Elizabeth Arntzen und Arne Lyng nochmals auf jeden einzelnen der von Breivik verübten Morde ein. Mehrere Zuhörer weinten während des Vortrags.

Drei Zellen für einen Häftling

Die kommenden Jahrzehnte wird Breivik nun im Hochsicherheitsgefängnis Ila bei Oslo in einem eigens für ihn neugebauten Trakt mit drei Zellen zum Schlafen, Arbeiten sowie zum Fitnesstraining verbringen. Gesellschaft werden dem in Isolationshaft gehaltenen Gefangenen dabei Mitarbeiter des Strafvollzugs leisten.

Auch als verurteiltem Massenmörder steht Breivik im Rahmen gesetzlich verbriefter Meinungsfreiheit das Recht beispielsweise auf Briefverkehr zu. Solange diese Briefe keine strafbaren Handlungen wie etwa Aufrufe zu Gewalttaten enthalten, wird er seine Korrespondenz mit Gleichgesinnten in aller Welt ebenso fortsetzen können wie die Arbeit an gegenwärtig drei geplanten Büchern.

Er sei froh, dass im Fall Breivik nun eine Art "Schlusspunkt" gesetzt worden sei, sagte der Utöya-Überlebende Ali Esbati. Nach dem Urteil im größten norwegischen Prozess der Nachkriegszeit blickt das Land nach vorn. So wird das Parlament Anfang September in einer Sondersitzung die Frage behandeln, inwieweit führende Politiker wie der sozialdemokratische Ministerpräsident Jens Stoltenberg Verantwortung für die teilweise massiven Versäumnisse von Polizei und Sicherheitskräften am Tag der Attentate tragen.

Viele junge Sozialdemokraten verfolgten die Urteilsverkündung in Reisebussen auf dem Weg nach Trondheim, wo Mitglieder der Jugendorganisation AUF zum Wochenende zu einer landesweiten Tagung zusammenkommen. "Dies ist das erste zentrale Treffen nach allem, was geschehen ist", so die Jugendpolitikerin Kristine Sverdrup im Norwegischen Rundfunk. "Gewiss werden starke Gefühle im Spiel sein - aber wir werden uns vor allem auf Politik konzentrieren."

 (Anne Rentzsch , DER STANDARD, 25.8.2012)