Beim Hausrenovieren selbst Hand anlegen, auch wenn's laut wird: "Ab in die Ruine" auf Vox zeigt, wie das geht.

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Wien - Ein Blick auf das Herbstprogramm deutschsprachiger Privatsender sollte zuversichtlich stimmen: Helfen, Retten, Beraten, Zusammenhalten, so weit das Auge reicht. Kein Tag vergeht, an dem sich in Dokusoaps und Realityserien nicht ganze Scharen von Hilfesuchenden und in Not Geratenen an eine unumstrittene Instanz wenden und daraus tatkräftige und - sehr wichtig! - leistbare Unterstützung ziehen. Noch nie zuvor war das Fernsehen derart von Heilsbringern und Helfern durchsetzt, noch nie gab es so lebhaft demonstrierte menschliche Wärme: Das Fernsehen entdeckt die Solidarität.

Sparprogramm

Auf der Suche nach Identifikationsmöglichkeiten sind findige Programmmacher beim momentanen Zeitgefühl angelangt, und das heißt: Sparen und Selbermachen. Wer sich etwas leisten will, möbelt auf, macht aus Altem Neues. Die Bereitschaft zum Hilfsprogramm kann als Ausdruck der Krisenstimmung interpretiert werden: Weil institutionell verankerte Sicherheitsinstanzen nicht mehr als ausreichend verlässlich betrachtet werden, wird das Fern sehen zum greifbaren Ratgeber.

Anke Schäferkordt, Chefin der RTL-Group, sieht das naturgemäß anders. Krise? Nicht in Deutschland und schon gar nicht bei RTL: "Die wirtschaftlichen Kennziffern sind sehr stabil. Zuletzt haben die Indizes zwar nach unten gezeigt, aber Deutschland ist bis jetzt eine Insel. Das zeigen auch die Konsumzahlen der letzten Monate. Das Gefühl der Krise ist hier so stark noch nicht angekommen." Und laut Werbestatistik ist das Fernsehen schon überhaupt nicht in der Krise, sondern gehöre neben Online "zu den Gewinnern" im ersten Halbjahr.

Bei Themen um soziale Gerechtigkeit verzeichnete Schäferkordt einen erfreulichen Rücklauf und pumpt entsprechend mehr davon ins Programm: "Es gibt mehr davon, weil wir bemerkt haben, dass es relevant ist."

Gab es die Helfer bisher hauptsächlich im Hauptabend, so verrichten sie neuerdings zunehmend ihre Dienste im Nachmittags- und Vorabendprogramm, das sich damit seit Gründung des Privatfernsehens in Deutschland in die dritte Phase bewegt: Zu Beginn, 1985, unterhielten Krawalltalker wie Hans Meiser, Ilona Christen und Andreas Türk, rund 15 Jahre später übernahmen Gerichtsshows und Brülldokusoaps von "Richterin Barbara Salesch" bis "Familien im Brennpunkt" die Nachmittage. Die sind inzwischen in Pension oder bereit dafür. Künftig geht es weniger um Beziehungs- und Erziehungsfragen, sondern um praktische Anleitungen materiellen Überlebens. Reichhaltig ist die Masse an Orientierungshilfen für:

  • Modernisierungsverlierer Vorbei sind die Zeiten, als Glamour, Reichtum und Schönheit glorifiziert wurden. Eben verkürzt Pro Sieben eine Staffel der Castingshow "Popstars" wegen mauer Quoten. Jetzt stehen die Überlebensstrategien der sozial Schwachen im Mittelpunkt des Interesses: "Unsere Platte" zeigt alltägliche Herausforderungen in der größten Wohnsiedlung Deutschlands auf RTL 2. Ebendort bringt ein Inkassoteam in "Die Autoeintreiber" unbezahlte Fahrzeuge zurück zum Eigentümer. Rat erhalten Familien in Geldnot bei RTL. Der Kölner Privatsender demonstriert Solidarität mit einem Thementag über soziales Engagement, "Armes Deutschland, reiches Deutschland". Nachrichtenchef Peter Kloeppel ist "unterwegs in einer sozial gespaltenen Republik", verspricht der Pressetext.
  • Ambitionierte Bastler Bedienungsanleitungen für den praktischen Verstand: Nicht mehr Körper und Psyche stehen im Mittelpunkt des Interesses, sondern Gegenstände zum täglichen Leben: "Die Bauretter" (RTL 2 greift Familien beim Pfusch am Bau unter die Arme). In "Mein neuer Alter" auf RTL 2 gibt ein Autoexperte Tipps für lebensverlängernde Maßnahmen für den fahrbaren Untersatz. Günstig muss es sein, ist die Devise bei "Unser Traum vom Haus" und "Ab in die Ruine" auf Vox.
  • Hilfesuchende Konsumenten Anwälte stehen Schwachen und Betrogenen zur Seite: Sternekoch Christian Rach kümmert sich in "Rach deckt auf - Was wird uns hier aufgetischt?" um Verbraucherschutz. Um Fehler im OP geht es in "Ärztepfusch? Dr. Gardain klärt auf". Ein Millionär tarnt sich in "Secret Millionaire", um sich ein Bild von der Lage sozial Benachteiligter zu machen und sie zu unterstützen. Gleich 50 Berater stehen einem Problemfall zur Seite in "Die Zuschauer", alles auf RTL.

"Einser Team" im ORF

In Österreich nimmt sich demnächst der ORF des Themas an. Armin Assinger hilft in "Das Einser Team" aus der Patsche. Natürlich weitaus seriöser als im Privatfernsehen, wie Fernsehchefin Kathrin Zechner auf STANDARD-Anfrage betont: "Mit 'Das Einser Team' wollen wir unsere qualitätsvolle ORF-Tradition fortführen und um eine weitere Facette ergänzen. Auf der anderen Seite des Spektrums stehen Trashformate, die Lebenshilfe vorgaukeln, in Wahrheit aber nur Voyeurismus betreiben und Menschen vorführen. Das ist nicht der Stil des ORF." (Doris Priesching, DER STANDARD, 24.8.2012)