Gewisse Lobbys haben ein Interesse, die These von der "Klimalüge" zu verbreiten, sagt Global-2000-Klimasprecher Johannes Wahlmüller.

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Noch versuchen Bewohner des Inselstaats Tuvalu, ihr Land mit Sandsäcken vor dem Ansteigen des Meeresspiegels zu schützen. Auf politischer Ebene wird bereits an einem Auswanderungsabkommen mit Neuseeland verhandelt.

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Wie die Erderwärmung Menschen zu Flüchtlingen macht und warum gleichzeitig geringere Regenmengen und stärkere Unwetter die österreichische Landwirtschaft beeinträchtigen werden, erklärt Johannes Wahlmüller, Klimasprecher der Umweltschutzorganisation Global 2000, im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: US-Ökonom Jeremy Rifkin bezeichnete beim Forum Alpbach kürzlich den Klimawandel als größte Herausforderung der Menschheit. Unterschreiben Sie das?

Wahlmüller: Es gibt sicher mehrere Herausforderungen, aber der Klimawandel ist die fundamentalste Änderung, mit der wir konfrontiert sind. Im nächsten Jahrhundert erwartet uns eine Erderwärmung von bis zu sechs Grad.

derStandard.at: Sechs Grad Unterschied klingen nicht so dramatisch.

Wahlmüller: Es klingt nicht dramatisch, weil uns das im Wetterbericht oft auch von einen Tag auf den nächsten prognostiziert wird. Im globalen Mittel ist es aber problematisch. Zum Höhepunkt der jüngsten Eiszeit vor 20.000 Jahren lag die Durchschnittstemperatur auch nur fünf Grad unter den heutigen Werten - und damals reichten die arktischen Eismassen bis nach Mitteleuropa.

derStandard.at: Seither schmelzen sie dahin?

Wahlmüller: 2012 wird wieder ein Jahr der Rekordschmelze. Schätzungen gehen bis zum Ende des Jahrhunderts von einem Anstieg des Meeresspiegels von 75 bis 85 cm gegenüber dem Niveau vom Jahr 2000 aus - wenn es gelingt die globale Erwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen. Inselstaaten wie Tuvalu oder die Malediven haben bereits Abwanderungsprogramme abgeschlossen. Es gibt heute schon viele Landstriche, die nicht mehr bewohnbar sind und zu ökologisch bedingten Migrationsflüssen führen. In diesem Jahrhundert könnten hunderte Millionen Menschen zu Umweltflüchtlingen werden.

derStandard.at: Woran kann man die globale Erwärmung noch ablesen?

Wahlmüller: Am klarsten ersichtlich wird sie durch Dürren und Waldbrände. Von 1950 bis 1980 war laut NASA-Zahlen immer durchschnittlich ein Prozent der Erdoberfläche von Hitzeextremen betroffen, in den vergangenen dreißig Jahren waren es schon zehn Prozent.

derStandard.at: Mit welchen Auswirkungen haben wir in Österreich zu rechnen?

Wahlmüller: Laut Modellrechnungen wird es insgesamt weniger Niederschläge in den landwirtschaftlichen Zentren Ostösterreichs geben. Paradoxerweise wird, wenn es aber regnet, in einer solcher Stärke mit Niederschlägen zu rechnen sein, dass es häufiger zu intensiven Unwettern kommen wird. Stark betroffen wird die Forstwirtschaft sein, weil die Fichte als wirtschaftlich am stärksten genutzte Baumart als erste unter hitzebedingter Trockenheit leidet. Wenn sich die Schneefallgrenze weiter nach oben verschiebt, könnte auch der Wintertourismus einbrechen.

derStandard.at: US-Ökonom Rifkin gegenüber stand in Alpbach der polnische Ex-Finanzminister Leszek Balcerowicz. Er bezweifelte, dass Emissionen zur globalen Erwärmung beitragen. Fachleute, die das ebenso bezweifeln, würden laut Balcerowicz in der "Tyrannei der Mehrheit" untergehen.

Wahlmüller: Ich würde das als Nonsens bezeichnen. In der seriösen Wissenschaft herrscht Einigkeit, dass Treibhausgase zur globalen Erwärmung beitragen. Das ist klimageschichtlich und physikalisch belegt und ebenso messbar wie die Menge der von Menschen produzierten Ausstöße. Allein für die CO2-Emissionen ist ein Anteil von zwei bis drei Grad an der Erwärmung nachweisbar.

derStandard.at: Wer hat ein Motiv, die "Klimalüge" zu verbreiten?

Wahlmüller: Darüber können wir nur mutmaßen. Vor allem in den USA gibt es Hinweise, dass gewisse Lobbys gezielt Arbeit in diese Richtung betreiben, weil sie wirtschaftlich vom "alten" System abhängig sind und Zweifel nähren, um wirksame politische Maßnahmen zu verhindern.

derStandard.at: Auch in unseren Foren gibt es immer wieder von Skeptikern befeuerte Debatten über den Klimawandel. Wird die Verschwörungstheorie in der Bevölkerung angenommen?

Wahlmüller: Ich glaube, das sind Ausnahmen. Das grundsätzliche Bewusstsein, dass etwas gemacht werden muss, ist in der Gesamtbevölkerung mittlerweile recht hoch. Laut der letzten Eurobarometer-Studie vom Herbst nehmen die Menschen den Klimawandel sogar wichtiger als die Wirtschaftskrise. Die öffentliche Wahrnehmung hängt natürlich auch davon ab, wie viel Medienberichterstattung es gibt. Mit dem letzten Bericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) im Jahr 2007 ist das Thema sicher weiter in den Vordergrund gerückt als davor.

derStandard.at: Wie kann in der Folge die Politik zum Handeln bewegt werden?

Wahlmüller: Wir versuchen, das durch den direkten Kontakt und öffentliche Kampagnen zu erreichen. Anstelle des derzeitigen Flickwerks in der Umweltpolitik sind sicher umfassendere Strategien nötig. Österreich hat 530 Millionen Euro ausgegeben, um sich von den verfehlten Klimazielen für 2012 freizukaufen. Zuletzt sind 160 Millionen dazugekommen, weil wir die Ziele noch deutlicher verfehlt haben als ursprünglich angenommen. Mit dem jetzigen Klimaschutzgesetz könnten sinnvolle Maßnahmen auf den Weg gebracht werden.

derStandard.at: Von welchen Maßnahmen sprechen wir hier?

Wahlmüller: Ein Ziel ist die bessere Energieeffizienz bei Gebäudesanierung und Neubauprojekten, vor allem ist hier eine bessere Koordination zwischen Bund und Ländern nötig. Der öffentliche Verkehr sollte gegenüber dem individuellen stärker gefördert werden. Außerdem muss in der Bevölkerung das Bewusstsein zum Energiesparen gestärkt werden. Und die Politik sollte durch eine umfassende ökologische Steuerreform Anreize und Rahmenbedingungen für erneuerbare Ressourcen in den nächsten zehn, zwanzig, dreißig Jahren schaffen und nicht weiterhin den Kohle- oder Ölverbrauch subventionieren.

derStandard.at: Das sind alles auf Österreich bezogene Lösungen. Sind es nicht vergebene Mühen, wenn die restliche Welt nicht mitspielt? Schließlich machen Emissionen an Staatsgrenzen nicht halt.

Wahlmüller: Andere Länder haben natürlich auch ihre Hausaufgaben zu machen. China und Indien etwa haben zwar hohe Ausstoßmengen, unternehmen aber auch viel dagegen. Sie sehen das als wirtschaftliche Chance, Taktgeber der kommenden Energierevolution zu sein. Davon könnten wir auch in Österreich profitieren. Der Umbau in Richtung nachhaltiger, erneuerbarer Energieversorgung bietet eine riesige Chance für die Wirtschaft, für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Es gibt nicht immer und überall Win-Win-Situationen, aber wenn sie so offensichtlich sind, sollte man sie auch nutzen.

derStandard.at: Ist Geo-Engineering - also großräumige Eingriffe mit technologischen Mitteln in die geo- oder biochemischen Kreisläufe der Erde - ein gangbarer Weg gegen die Erderwärmung?

Wahlmüller: Geo-Engineering wird höchstens dann virulent, wenn alle anderen Strategien scheitern und man Katastrophen nur mehr mit einer Notbremse hinzukriegen glaubt. Manche Ansätze, wie Sonnenspiegel in der Umlaufbahn oder Schwefel in der Atmosphäre, sind eher Science Fiction und ihre Folgen nicht abzusehen.

derStandard.at: Es gibt Studien, die die Kapazitäten der Erde in Folge einer Überbevölkerung schon heute als erschöpft betrachten. Sind wir zu viele?

Wahlmüller: Dazu gibt es unterschiedliche Ansichten. Falls ja, stellt sich die philosophische Frage: Wer ist zu viel? Wenn man objektiv den ökologischen Fußabdruck misst, tue ich mir schwer, afrikanischen Ländern mit geringem CO2-Ausstoß ihr großes Bevölkerungswachstum vorzuwerfen, wenn wir in Europa bei geringem Wachstum massiv Treibhausgase ausstoßen. (Michael Matzenberger, derStandard.at, 28.8.2012)