Ein paar türkische Wörter auf einem Arbeitsblatt nimmt die FPÖ diesmal zum Anlass, um zu betonen, dass in Österreich Deutsch gesprochen wird. Ja, aber eben nicht nur. Österreich ist mehrsprachig. Nach Deutsch kommt die sogenannte BKS-Sprachengruppe (Bosnisch, Kroatisch, Serbisch), danach Türkisch als die am dritthäufigsten gesprochene Sprache. Der Anteil der Schülerinnen mit nichtdeutscher Umgangssprache betrug an Wiener Volksschulen im Schuljahr 2010/2011 ganze 52,9 Prozent. Die Zukunft gehört also jenen Menschen, die neben Deutsch in ihrem Alltag auch noch andere Sprachen verwenden.

Diese Realität ist auf den Straßen Wiens hörbar und sichtbar, unser Bildungssystem passt sich ihr allerdings nur schleppend an. Und dann gibt es auch noch hartnäckige Realitätsverweigerer wie den FPÖ-Bildungssprecher Walter Rosenkranz. In Form einer parlamentarischen Anfrage und in einem FPÖ-nahen Blog wird gegen die Verwendung eines Arbeitsblattes an einer Volksschule in Niederösterreich gewettert. Hier wird nämlich der Umlautbuchstabe Ü nicht mit deutschen, sondern mit türkischen Wörtern vorgestellt. Es geht dabei nicht einmal darum, die türkischen Vokabeln zu lernen, sondern lediglich um das optische Erkennen des Buchstabens. Schade eigentlich.

Kinder nehmen Mehrsprachigkeit vollkommen natürlich und begeistert an. Das kann man in mehrsprachigen Familien beobachten oder auch im Zuge einiger innovativer Projekte, etwa jenem der multilingualen Alphabetisierung. Mit Neugier und Begeisterung erzählen sich zum Beispiel die SchülerInnen der Wiener Volksschule Brüßlgasse 18 beim Buchstabenlernen gegenseitig, wie einzelne Wörter und Sätze in der jeweiligen Muttersprache lauten. Genauso wie bei den oben erwähnten Arbeitsblättern geht es dabei mitnichten darum, Kinder dazu anzuleiten oder gar zu zwingen, (andere) Migrantensprachen zu erlernen, wie es von FPÖ-Seite heißt. Es geht darum, mit der mehrsprachigen Realität an unseren Schulen konstruktiv und zukunftsorientiert umzugehen.

Mehr gut ausgebildete Muttersprachenlehrer für den türkischen und den BKS-Sprachunterricht. Mehr innovative Arbeitsunterlagen, die die Mehrsprachigkeit der einzelnen Kinder unterstützen. Bessere Ausbildung für angehende VolkschullehrerInnen, die sie auf die mehrsprachige Realität in den Schulklassen vorbereitet. Nur so werden wir verhindern, dass aus Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache im schlimmsten Fall Bildungsverlierer werden. Im besten Fall kommen dann aus österreichischen Pflichtschulen mehrsprachige, aufgeschlossene Menschen heraus, die sich unabhängig von ihrer Muttersprache in einer multikulturellen Gesellschaft gut zurechtfinden - keine Ü-Tüpferl-Reiter eben. (Olivera Stajić, daStandard.at, 23.8.2012)