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Sojaernte in Argentinien: Der Agrarrohstoff ist so teuer wie noch nie. Argentinien macht damit gute Geschäfte.

Foto: Reuters/Maracanian

Buenos Aires - Wo früher Rinderherden in der Gegend standen, Gemüse und Getreide angebaut wurden oder Bäume wuchsen, sieht man in Argentinien immer öfter Soja. Die Bohnen sind heute das wichtigste Agrarprodukt des Landes - und ein Exportschlager. Fast die gesamte Sojaernte wird in Form von Bohnen, Mehl, Öl oder auch als Biosprit exportiert. 

Der anderswo hauptsächlich aus Getreide, Mais, Raps, Zuckerrüben und Zuckerrohr gewonnene - hierzulande höchst umstrittene - Treibstoff wird dort zu 99 Prozent aus Sojaöl erzeugt. Ein gutes Geschäft, denn die Ausfuhrsteuer für Biodiesel liegt zwölf Prozentpunkte niedriger als die für Sojaöl.

Im Jahr 1996 genehmigte die argentinische Regierung den Anbau von genmanipuliertem Soja. Heute bedecken die langstieligen Pflanzen mit den kleinen weißen Blüten eine Fläche so groß wie halb Deutschland. Der Staat half bei der Entscheidung für das Gen-Soja mit den niedrigen Steuern nach. Die Ernte wird in der Europäischen Union und in China zu Biosprit und Viehfutter verarbeitet. 

Goldgräberstimmung in der Industrie

Biodiesel sei umweltfreundlich, schwefelfrei und schaffe Arbeitsplätze im Land, argumentieren die Befürworter. Goldgräberstimmung herrscht in der Industrie: Sie scheffelt hohe Gewinne und erwartet noch höhere. Die Produktion boomt: Über zwanzig Anlagen erzeugten im Jahr 2010 landesweit über 1,9 Millionen Tonnen Biodiesel, 51 Prozent mehr als 2009. Durch den Einsatz neuer Anlagen soll die Produktion weiter steigen.

Der Sojaboom hat etwa Rosario, die drittgrößte Stadt Argentiniens, seit Ende der 90er Jahre in eine Metropole verwandelt. 80 Prozent der rund 50 Millionen Tonnen ölhaltiger Bohnen, die Argentinien pro Jahr erzeugt, werden von hier aus per Schiff in aller Herren Länder geliefert. 25 Milliarden Euro wurden damit allein im Jahr 2011 umgesetzt. Doch neben den Profiteuren des Sojabooms gibt es auch Verlierer, der Preis, den sie zahlen, ist ihre Gesundheit. Deutschlandradio hat einige für eine jüngst ausgestrahlte Reportage besucht.

Giftiger Cocktail mit Folgen

Beim Sojaanbau werden Chemikalien auf den Feldern versprüht, die die Sprüher und Anwohner schwer krank machen. Die Felder werden von Flugzeugen oder Traktoren aus mit einem Cocktail aus Unkraut- und Insektenvernichtungsmitteln besprüht, gegen den die Sojapflanzen dank genetischer Veränderungen resistent sind.

Das am weitesten verbreitete Unkrautbekämpfungsmittel, das im Sojaanbau verwendet wird, ist Glyphosat. Dieses vom US-Konzern Monsanto in den 70er Jahren entwickelte Entlaubungsmittel tötet alles außer gentechnisch verändertes Saatgut. Studien renommierter argentinischer und französischer Molekularbiologen ergaben laut Deutschlandradio, dass Glyphosat zum Absterben von Zellen bei menschlichen Embryos führt oder die embryonale Struktur von Amphibien verändert.

Über die Auswirkungen der Chemikalien gehen naturgemäß die Meinungen auseinander. Das private Zentrum für Toxikologie (TAS) in Rosario (die Unabhängigkeit des Instituts wird von Umweltaktivisten und Geschädigten angezweifelt, da es von der Unternehmerkammer mitfinanziert wird) schenkt diesen Studien keinen Glauben. "Es gibt keine Studien, die beweisen, dass Glyphosat bei normaler Anwendung des Produktes als Ursache genetische Missbildungen verursacht", sagt Geschäftsführer und Toxikologe Francisco Aphalo.

Roberto Ríos indes war in einer Agrarfirma über Jahre damit beschäftigt, die im Sojaanbau üblichen Agrochemikalien zu sprühen, bis er aufgrund von körperlichen Problemen die Arbeit aufgeben musste: Er wurde an Speiseröhre, Leber und Nieren operiert. Weder sein Unternehmen noch die Versicherung übernahmen die Kosten, die Anerkennung, dass es sich um Vergiftungsfolgen der Chemikalien handelte, blieb ihm versagt.

Das ist kein Einzelfall, glaubt man Professor Damián Verzeñassi von der Universität Rosario - ganz im Gegenteil. Seit der Einführung von Gensoja untersucht er Krankheits- und Todesursachen in der Region: "Wir registrieren in den letzten Jahren eine Zunahme von Lymphdrüsenkrebs, Leukämie und genetischen Missbildungen, das heißt Anenzephalie, Myelomeningozele, Wasserkopf, Hasenscharten, Sirenomelie, also wenn Kinder nicht mit Beinen und Füßen, sondern einer Art Kaulquappenschwanz auf die Welt kommen. Das sind Dinge, die wir bisher nur aus pathologischen Lehrbüchern kannten, weil so etwas hier in der Region nicht vorkam. Und jetzt sehen wir es."

Futter für Österreichs Schweine

Angesichts des exzessiven Sojaanbaus schlagen auch Umweltschützer in Argentinien schon seit geraumer Zeit Alarm. 2009 setzte die argentinische Präsidentin Cristina Kirchner zur Beruhigung der öffentlichen Kritik am Gensojaanbau eine Kommission von Wissenschaftlern und Fachleuten ein. Sie sollte dessen Folgen für die 19 Millionen Hektar des betroffenen argentinischen Bodens untersuchen. Drei Jahre später gibt es noch immer keine Ergebnisse der Kommission. Dennoch kündigte Kirchner im vergangenen Jahr in ihrem landwirtschaftlichen Entwicklungsplan an, die Anbaufläche für Soja und Getreide erweitern zu wollen.

Argentinien exportiert 1,3 der insgesamt 1,9 Millionen Tonnen Biosprit - vor allem in die Europäische Union. Die restlichen 600.000 Tonnen sind für den Heimatmarkt bestimmt, um den staatlich festgelegten Mindestanteil von sieben Prozent Biokraftstoff im Diesel zu erreichen. In den heimischen Biodiesel-Kreislauf kommt der argentinische Biosprit nicht. 800.000 Tonnen Soja importiert Österreich. Verwendet wird es vor allem als Futtermittel. Allerdings - so Herwig Schuster von Greenpeace Österreich - haben inzwischen fast die komplette heimische Milchwirtschaft sowie die Eier- und Geflügelproduzenten auf gentechnikfreie Ware umgestellt. Nur die heimischen Schweine fressen noch argentinisches Soja. (rb, derStandard.at, 22.8.2012)