Amir Kassaei, weltweiter Kreativchef des Werbenetworks DDB, und DDFG-Boss Marco de Felice beim Sommergespräch auf Ibiza.


"Es is ja ewig schod um mi!"

Donnerstag, 9.August, Santa Eulalia del Rio. Zwei Österreicher auf Ibiza, der eine hat sich hier eine schöne alte Finca zugelegt, der andere ist sein Gast. Der eine heißt Kassei Amir (in Österreich sagt man den Familiennamen gern zuerst) und lebt sonst eher in New York und Shanghai, der andere de Felice Marco und lebt sonst eher in Wien.

Heute geht's um Österreich und um die Werbung ebendort. Passt grad gut. Olympia ist fast vorbei und unsere Medaillenbilanz ist der von Cannes 2012 nicht unähnlich. Dort heißen sie zwar Löwen, aber kriegen tun sie auch die anderen.

(Marco de Felices Prolog zum Sommergespräch)

Foto: eveline malek

 

O-Töne

Foto: eveline malek

Ibiza/Wien - Donnerstagabend präsentiert die ORF-Vermarkterin Enterprise in Wien die Cannes-Rolle mit der angeblich besten Werbung des Jahres. 2011 kamen Österreichs Agenturen ganz ohne Preise zurück von der Côte d'Azur, heuer schaffte DDB Wien den einzigen Bronzelöwen. Unter die besten Werbefilme, die als Königsdisziplin gelten, schafften es Österreichs Werber erst einmal - 1985.

Marco de Felice müsste Österreichs Abschneiden egal sein. Seine Agentur reicht seit Jahren nicht mehr ein. Sah sich DDFG etwa beim Creativ Club Austria (CCA) unter dem Wert geschlagen? Nein, beim CCA habe man Jahre ohne Erfolg "nach Reformen geschrien". Die Inflation an Preisen lasse DDFG von Bewerben absehen. Und dass viele Arbeiten ohne realen Bezug eigens für Bewerbe produziert würden. 

DDB muss sich Bewerben stellen, sagt Amir Kassaei, weltweiter Kreativchef von DDB, der in Österreich in der Werbung begonnen hat: „Wir müssen mitmachen, weil wir Teil einer Finanzholding sind, die an der Börse notiert ist. Weil Analysten auch kreative Anerkennungen erwarten." Da gebe es nur Werbepreise und Kreativrankings. Zu Kassaeis Grant: „Es geht nicht mehr um ehrliche Arbeit. Nur mehr darum, wer besser abschneidet. Da ist jedes Mittel recht."

Zombiekreationen und Parallelwelt

"Zombiekreationen" nennt er den Großteil der prämierten Arbeiten: Die Werbebranche produziere "immer weniger substanzielle, real relevante Arbeit, die auszeichnungswürdig ist. Wir haben eine Parellelwelt geschaffen, in der Sachen gemacht werden für Juryräume, die toll aussehen, tolle Ideen haben, die Preise gewinnen. Die haben aber nie in der realen Welt eine Relevanz gefunden." Preise zu gewinnen "beweist nur eines", sagt er: "dass du gut bist im Preisegewinnen. Sonst nichts."

In Cannes sorgte Kassaei heuer mit dem Vorwurf für Aufsehen, Juroren des weltgrößten Werbenetworks WPP stimmten strategisch für Arbeiten von WPP-Agenturen, dazu zählen etwa Mediacom, Young & Rubicam, Grey. DDB gehört zur Holding Omnicom, wie BBDO. Deren Österreich-Boss Fred Koblinger saß heuer in einer der gewichtigsten Jurys. Und reagierte im STANDARD harsch auf Kassaeis Beschwerde: "In jedem Sportklub, in jedem Verein sind eben zehn Prozent Arschlöcher." Österreichs Abschneiden in Cannes führte Koblinger nicht zuletzt darauf zurück, dass es den Kunden in der Werbung an Anspruch mangle. 

Kassaei: "Du kannst nicht den Kunden verteufeln wie Menschen in der österreichischen Werbebranche, die ganz leicht das Wort Arschloch in den Mund nehmen: Der Kunde kauft seit Bestehen der Werbung nur das, was die Agentur zu ihm hinträgt. Niemand zwingt eine Agentur dazu, Scheiße zum Kunden zu tragen. Zu sagen, der Kunde ist schuld, ist billig, menschenunwürdig und unprofessionell."

Goldideen und Scheißwerbung

"Wir müssen ändern, was wir den Jungen vorleben", sagt Kassaei: "In vielen Agenturen herrscht das Zweiersystem: 'Scheiß auf die Briefings der normalen Kunden, die werkeln wir ab, da sagen wir auch nie Nein. Und dann hast du noch deine Spielwiese für Zombiekreationen, die du dann einreichen kannst, damit du Preise gewinnst.‘" Dieses Bewusstsein junger Menschen bereite etwa DDFG ein echtes Nachwuchsproblem, sorgt sich de Felice. Sie stellten sich mit Mappen vor, in denen sie vorn nie erschienene "Goldideen" präsentierten, im zweiten Teil reale Arbeiten, die sie als "Scheißwerbung" vorstellten.

Ausbildung würden sich die beiden Kreativen auch anders vorstellen. De Felice: "Bei uns lehren Menschen, die im Job keinen Platz haben, aber Zeit dafür. Anderswo unterstützt die Wirtschaft tolle Universitäten und Ausbildungsstätten, damit sie die tollsten Professoren bekommen. Das haben wir in Österreich nicht. Hier gibt es viele Fachhochschulen mit namenlosen Unterrichtenden."

Kassaei hat vorerst keine Zeit. Die Wiener Universität für angewandte Kunst bot ihm den frühere Lehrstuhl Walter Lürzers an. "Das wäre etwas, das ich irgendwann gerne machen würde. Es gibt ja ein Leben nach der Werbung. Und dann etwas aufzubauen, das keine Werbekacke-Theorie ist, sondern jungen Leuten Substanz beibringt." Andererseits findet Kassaei die "ganzen Schulen und Fachhochschulen und Werbeakademien und Meisterklassen nicht das richtige System", besser eine Zusatzausbildung, gemeinsam organisiert von der Branchenverbänden wie CCA und IAA, jedenfalls mit den "Besten der Branche".

Gieriger, härter, bösartiger

"Man müsste sich ein System überlegen, dass auch gestandene Werbeleute enthusiastisch mittun", sagt de Felice: "Damit der Werbenachwuchs gieriger, härter, bösartiger wird und wir das Gefühl hätten, die wollen unsere Sessel. Momentan habe ich nicht das Gefühl, dass ein Junger unterwegs ist, der meinen Chefsessel will."

"Leistungs- und Eliteprinzip" wünscht sich Kassaei. „Wird in unserem Sozialstaat sofort als Klassengesellschaft und pfui gesehen", warnt de Felice. Kassaei: "Elite im Sinne: Die Besten der Branche unterrichten die besten Talente im Sinne der Gemeinschaft. Das ist auch sozial."

Im Sinne der Gemeinschaft meint wohl vor allem im Sinne der Branche, Österreichs Werbebranche. Wie die in Cannes abschneidet, interessiert de Felice doch sehr. Und wie sie nach Jahrzehnten zu ihrem zweiten Löwen für Werbefilm kommen könnte.

Löwe als nationale Angelegenheit

Wenn ohnehin so viel Werbung für Bewerbe erdacht und produziert wird - warum nicht gleich "für zwei Wochen ein brasilianisches Team holen", denkt de Felice weiter. Oder Kolumbianer, Polen, Niederländer. "Kannst du machen", sagt Kassaei: "Aber viel cooler wäre zu sagen, ein Filmlöwe ist eine nationale Angelegenheit Österreichs. Wir tun alles gemeinschaftlich, um diesen Filmlöwen nächstes Jahr real zu machen." Am besten "mit einem Thema, das der Republik Österreich etwas bringt." "Gemeinschaftlich geht einmal gar nichts", bremst de Felice.

Mitten in dem langen Gespräch sagt Kassaei in anderem Zusammenhang einen schönen Schlusssatz: "Das Problem ist ja die österreichische Mentalität. Das Sich-selbst-Bejammern und Die-Schuld-bei-den-anderen-Suchen. Das, finde ich, sollte aufhören. Wenn wir das ernst nehmen, sollten wir bei uns anfangen."  (Redaktion: Astrid Ebenführer, Harald Fidler, DER STANDARD, 23.8.2012)

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de Felice: Es geht um die Lage der Nation. Einerseits im Sport, andererseits um die Werbegesellschaft und die österreichische Kreativität. Anscheinend spielen wir in der Welt keine Rolle mehr.
Wir als Agentur haben ja großen Abstand zu Werbefestivals, wir reichen seit Jahren nichts mehr ein. Wobei ich vor Cannes als Geldmaschine schon großen Respekt habe. Ständig neue Kategorien, das ist schon genial - für den Festivalbesitzer. So gesehen, liebe ich Werbepreise, ich hätte selber gerne einen. Mit ihrer Eitelkeit und Dummheit die Leute so zu verführen, dass sie Millionen hineinpumpen... Leider haben wir das nicht.

Kassaei: Warum reicht ihr nicht ein?

de Felice: Wir haben jahrelang beim CCA laut nach Reformen geschrien. Diese Reformen wurden abgeschmettert. Daraufhin wollten wir nicht mehr Mitglied sein. Aber es geht nicht nur um den CCA sondern generell um die inflationäre Misskultur von Wettbewerben. Das führt zu einem bizarren Kreativranking. Wir haben damals unsere Kunden gefragt, ob sie es vermissen würden, wenn wir nicht mehr einreichen. Und kein einziger Kunde hat das vermisst. Heute, sechs Jahre später war das für uns ein voller Erfolg.

Kassaei: Habt Ihr das Gefühl, dass eure Agentur darunter leidet, dass ihr da nicht mitmacht? Damit erklären Agenturen ja oft, dass sie es tun.

De Felice: Wir sind in den vergangenen Jahren gewachsen. Niemand hat uns nach Kreativrankings gefragt, sondern eher nach Kampagnen. Das war nie ein Thema. Warum ist es für Euch so wichtig, kreative Preise zu gewinnen?

Kassaei: Ursprünglich waren Kreativpreise anders positioniert. Da ging es um wirklich substanzielle Anerkennung von Fachleuten. Da ging es nicht darum, wer wieviele Preise gewinnt. Es ging um deine Arbeit, die du machst.

DDB ist Mitbegründer der kreativen Werbung. Ein Teil dieser Philosophie hat immer damit zu tun gehabt, dass man die Industrie und den Markt dominieren wollte. Dominanz hieß früher, dass man nicht nur im Bereich Kampagnen und im Neugeschäft erfolgreich und wegweisend ist, sondern auch, was die Anerkennung anbelangt. So fing das ganze vor 60 Jahren an. Damals gab es nur drei oder vier Wettbewerbe. Das Ziel war, auch bei Wettbewerben eine führende Rolle zu spielen. Das ist geblieben. Aber das System der Preise und Wettbewerbe hat sich verändert und pervertiert.

Es geht immer weniger darum, dass man substanzielle echte Arbeit auszeichnet, sondern Agenturen dazu übergehen, Sachen zu produzieren, die nur für Wettbewerbe und Juryräume gemacht sind. Gedoptes Zeug sozusagen, um Medaillen zu gewinnen, um die Analogie zu Olympia zu bringen, und das hat mit der realen Welt immer weniger zu tun. Das ist ein Riesenroblem. Wir machen da mit, müssen da mitmachen, weil wir Teil einer Finanzholding sind, die an der Börse notiert ist. Und die Analysten auch erwarten, dass man kreative Anerkennung vorweisen kann. Da es keine anderen Instrumentarien in unserer Branche gibt außer Kreativrankings und Wettbewerbspreise, machen wir da mit. 

de Felice: Jetzt verstehe ich das Mitmachen müssen. Wir sind da ja völlig unabhängig.

Kassaei: Aber der Herr Demner ist ja auch unabhängig. 

de Felice: Dessen Motiv ist mir klar. Der pumpt seit Jahrzehnten Geld nach Cannes, um den zweiten österreichischen Filmlöwen zu erreichen. Das finde ich pervers, weil es am Geschäft nichts ändert. Und die Verbissenheit, die offensichtlich so groß ist, haben wir heuer gesehen. Ich habe Interviews gelesen, dass du einem anderen Network vorgeworfen hast, die Jury zu beeinflussen. Es geht offensichtlich um viel.

Kassaei: Ja, es geht um viel. Leider haben alle Beteiligten das Maß und die Drehzahl so überzogen, dass es nicht mehr um die Sache geht. Es geht nicht mehr um die ehrliche Arbeit, sondern nur mehr darum, wer besser abschneidet. Und da ist jedes Mittel recht.

de Felice: Aber warum lässt man das zu? Das weiß ja jeder.

Kassaei: Wir haben unser eigenes System pervertiert, weil wir immer weniger substanzielle, real relevante Arbeit produzieren, die auszeichnungswürdig ist, sondern eine Parallelwelt geschaffen haben, eine Zombiewelt, in der Sachen gemacht werden für Juryräume, die toll aussehen, tolle Ideen haben, tolle Konzeptionen haben, die Preise gewinnen. Die aber nie in der realen Welt in irgendeiner Art und Weise eine Relevanz gefunden haben. Und damit schaufeln wir unser eigenes Grab. Weil wir dem Kunden damit signalisieren: Pass auf Alter, ich mach deinen Job mittelmäßig. Aber ich mache parallel - damit ich sozusagen den Anschein einer Kreativagentur wahren kann - mit ein paar bulgarischen Jungkreativen, deren einzige Interesse es ist, Preise zu gewinnen - Zombiekreationen, die dann eingereicht werden. Das ist kein österreichisches, das ist ein internationales Phänomen und hat mittlerweile so überhand genommen, dass die Verhältnismäßigkeit nicht mehr stimmt. 

Es gab immer Agenturen, die tolle Kampagnen gemacht haben und nebenbei den Kreativen die Möglichkeit gegeben haben, zu experimentieren. Und ich finde ja das Experimentieren wichtig, es zeigt ja, wo es hingehen kann. Nur: Wenn das Verhältnis Real- zu Experimentierarbeit nicht mehr 60:40 lautet, sondern 95 Prozent Experimentierarbeit und fünf Prozent reale Serienproduktion, dann darfst du dich nicht wundern, dass wir jegliche Glaubwürdigkeit verlieren.

Aber es gibt immer noch Agenturen, die mit realen Arbeiten nicht nur den Markt verändern, ihren Kunden helfen, sondern auch bei den internationalen renommiertesten Wettbewerben Preise gewinnen. Die gibt es auch, aber die kannst du an einer Hand abzählen.

de Felice: Wir sehen uns ja in Österreich ein bisschen als Opfer dieses perversen Systems. Wenn sich bei uns junge Leute vorstellen kommen, dann haben sie mittlerweile eine Mappe. Von dieser Mappe behaupten sie, der vordere Teil sind Goldideen. Die sind nie veröffentlicht worden.

Kassaei: Zombiekreationen also. Ich finde den Ausdruck Goldideen zu charmant.

de Felice: Man wird nie erfahren, ob dieser Mensch talentiert ist. Er kommentiert diese Arbeiten mit: nie erschienen, nie ein Kunde gesehen etc. Dann gibt es den zweiten Teil mit echter Werbung. Den kommenteren sie mit: Scheiße. Das ist jetzt Scheißwerbung. Und ich frage mich, warum Agenturen das zulassen. Diese jungen Menschen werden ja später Kreativdirektoren und das ist dann der Spiegel unserer Qualität. Und es gibt keinen Grund, zu sagen, dass es an den Kunden liegt. Wenn wir zulassen, dass diese jungen Menschen für eine Zombiewelt und eine reale Welt gezüchtet werden, dann dürfen wir uns nicht wundern, dass sie bei realen Pitches mit sehr, sehr seichter Werbung verlieren.

Kassaei: Oder gewinnen.

de Felice: Ja. Entweder sie gewinnen und die Kampagne wird auf etat.at oder anderen merkwürdigen Foren, wo sich die Menschen mit lustigen Namen verschanzen dürfen, aufs Bösartigste zerlegt. Oder es gibt jemanden, der sagt: Wir versuchen für reale Kunden mutige und interessante Werbung zu kreieren.

Kassaei: Dafür brauchst du Rückgrat.

de Felice: Haben die Österreicher zuwenig Rückgrat?

Kassaei: Erstens ist es immer einfach, den Kunden die Schuld in die Schuhe zu schieben. Das ist die billigste Ausrede. Das ist so, wie wenn man die Wettervorhersage dafür verantwortlich macht, wenn deine Ehe zugrunde geht. Als ich noch ADC-Präsident in Deutschland war, gab es den Versuch, ein System zu schaffen, das Agenturen nach substanziellen Kriterien beurteilt.

Wir wollten das Kreativranking abschaffen und einen Agenturindex einführen. Wo nach bestimmen Kriterien Agenturen von unabhängigen Fachleuten unter die Lupe genommen werden und ihre wahre Leistungsfähigkeit beurteilt wird. Das würde im Sinne der Agenturen sein, weil sie nach einem transparenten System beurteilt würden. Aber auch im Sinne der Industrie und des Marktes, weil die Kunden ein Instrumentarium an der Hand hätten. 

Das ist gescheitert, weil Agenturen und auch die Fachpresse dagegen Widerstand geleistet haben. Die Fachpresse lebt ja davon, dass sie diese Kreativrankings und die Bühne dafür aufstellen. Die verdienen damit Geld. Das bedeutet auch Macht, dadurch bauen sie auch Druck auf Agenturen auf. Es gibt zu wenige Agenturen, die das durchschauen und sagen, wir verabschieden uns von dem System. 

Das Kreativranking ist Gift, ich glaube, diese Bühne müsste man abschaffen. Ich meine damit gar nicht, dass man auf die Kreativpreise scheißt, nein. Das ist wichtig, ist aber nur eine Dimension. Es geht um ein System, das die Agenturen unabhängig und transparent beurteilt. Was sie können, was nicht.

de Felice: Aber das scheitert an der Institution, die das bewertet. Vor allem in Österreich, wo alles rasch politisch wird. Und wenn das Branchenfremde machen sollen, dann bekomme ich, jedenfalls in Österreich, die Gänsehaut. 

Kassaei: Vielleicht Kunden?

de Felice: Ich weiß nicht. Aber vielleicht hast du ja recht. Aber dazu wird es eh nicht kommen, solange der Neid und die Mieselsucht so ausgeprägt ist.

Kassaei: Erster Schritt wäre, die falsche Bühne wegzunehmen. Das Gewinnen von Preisen beweist nur eines: Dass du gut bist im Preise Gewinnen, sonst nichts.

de Felice: Aber das machen ja ein paar Agenturen bis zur Perfektion. Hut ab.

Kassaei: Aber zeigt das die wahre Leistungsfähigkeit einer Agentur? Ich bezweifle das. Das ist eine Dimension. Ich bezweifle nicht, dass es wichtig ist, herausragende, ausgezeichnete Werbung zu produzieren. Aber das ist nur eine und nicht die einzige Dimension. All diese großartigen Werber müssten ein Interesse haben, sich nach einem transparenten, nachvollziehbaren System messen zu lassen.

Ich werde ja nicht dafür bezahlt, wie viele Preise ich gewinne, nicht in erster Linie. Ich werde dafür bezahlt, dass ich eine vernünftige Firma aufbaue, die die Probleme meiner Kunden löst, einen bestimmten Umsatz, einen bestimmten Gewinn macht. Junge Leute heranzüchte, die irgendwann idealerweise ihren eigenen Weg gehen und die Branche prägen.

Daran werde ich gemessen und dann bin ich vielleicht ein Großer oder nicht. Ich werde nie ein Großer, wenn ich nur sagen kann: Ich habe 20 Jahre in dieser Branche gearbeitet und das einzige, was ich gekonnt habe, war, mit Zombiekreationen 350 Preise zu gewonnen. Davon kannst du dir nichts kaufen.

de Felice: Ich habe mir die Nominees eines Jahrgangs beim CCA angeschaut. Gefühlte 70 Prozent sind Social Kampagnen, also Kampagnen für Kunden, die sich nicht wehren. Selbst Herr Demner meinte einmal: Unsere Kunden werden immer mühsamer in Sachen Kreativität. Wir müssen uns den Baumchirurgen ums Eck oder den sozialen Verein nehmen, weil wir sonst keine Punkte sammeln können. Der erste Schritt müsste sein, dass die Punkte für Social Advertising halbiert werden, weil das verzerrt das Bild komplett.

Kassaei: Demner wäre in diesem neuen transparenten System immer noch unter den drei führenden Agenturen in Österreich. Kriterien wären Strategische Kompetenz, Kreativität, Reputation im Markt, Exekution, Beratungs-Know-How usw.

Ich glaube wirklich, wenn alle Agenturen sagen würden, wir verabschieden uns von den Zombiewettbewerben, wir stellen ein transparentes System auf, dass einige Agenturen, die jetzt vorne im Kreativranking sind und auch Agenturen, die dort gar nicht auftauchen, wie eure, die nicht mitmacht, dann ein neues Ranking ergeben würde. Das Ranking ist keine Liste, es geht nicht um eins, zwei oder drei. Es geht um einen Branchentrend. Es geht darum, zu sehen, wo steht die Werbung in Österreich. Wo müssen wir besser werden?

Du und ich sind mittlerweile für die Werbebranche im Rentenalter. Wir hatten das Riesenglück, in einer Zeit großzuwerden in der Werbebranche, wo es einfach war. 80er und 90er-Jahre und die letzte Dekade.

Unsere einzige Verantwortung, die wir noch haben, bevor wir dann endgültig hier auf Ibiza oder Mallorca oder Sardinien abtreten, ist, den Weg zu ebnen für die nächste Generation. Indem wir Vorbilder sind, indem wir Werte vermitteln und sagen, worum geht's wirklich in dem Geschäft. Damit unsere Industrie die nächsten 100, 200 Jahre nicht nur weiterbesteht, sondern idealerweise die nächste Entwicklungsstufe erreicht.

Was müssen wir also tun, dass diese jungen Leute die Ausbildung, die Erfahrung und Expertise bekommen, damit sie in einem Markt bestehen, der ganz anders ist, als wir ihn erlebt haben vor 20 Jahren. Das ist unsere einzige vordergründige Verantwortung.

Und du kannst nicht hergehen und - wie Menschen in der österreichischen Werbebranche, die ganz leicht das Wort Arschloch in den Mund nehmen - als allererstes den Kunden verteufeln. Der Kunde kauft grundsätzlich seit Bestehen der Werbung immer nur das, was eine Werbeagentur zu ihm hinträgt.

Und niemand zwingt eine Werbeagentur dazu, Scheiße zu einem Kunden zu tragen. Zu sagen, der Kunde ist schuld, ist billig, menschenunwürdig und unprofessionell. 

de Felice: Wenn wir Scheiß-Werbung produzieren, dann sagen unsere Kunden - weil sie durchwegs mutige, freche, lustige, aber immer relevante Arbeit gewohnt sind - das ist aber nicht gut.
Wir sagen zu neuen Leuten, die zu uns kommen, dass wir nicht die Ausrede des Kunden haben. Es gibt viele Kunden, die uns nicht aushalten würden. Die sagen, wir sind viel zu fordernd, zu unangenehm, weil wir Briefings hinterfragen usw.

Kassaei: Und auch da wieder: Jeder Kunde bekommt die Werbung, die er verdient.

de Felice: Ja. Es ist jedesmal das Gleiche. Diese jungen Leute sind verzweifelt, sie haben null Orientierung.

Kassaei: Ja, weil sie in einem falschen System groß werden, das wir leider geschaffen haben. Ich finde, wir definieren Kreativität in unserer Branche falsch. Kreativität ist mittlerweile verkommen zu: Du bist kreativ, wenn du mindestens drei Veneri oder zwei Löwen in Cannes gewonnen hast.

Kreativität in unserer Branche ist meiner Meinung nach nur eines: Die Gabe, das Talent, die Hartnäckigkeit und die Leidenschaft, ein reales Problem eines Kunden, auf intelligente Art und Weise zu lösen. Das ist Kreativität in unsere Branche. Da ist kein Platz dafür, dass ich drei goldene Nägel beim ADC gewonnen habe.

de Felice: Aber dann würde ein Agenturboss aus Österreich daherkommen und sagen: Na ja, es scheitert da ja schon an der Kreativität unserer Kunden. Leider gibt es in Österreich keine Steve Jobs.

In einem gesättigten Markt haben eben alle das gleiche Angebot. Umso kreativer muss die Werbung sein, um sich zu differenzieren. Selbst bei einer Bestpreisgarantie.

Kassaei: Auch österreichische Agenturen haben sich früher nicht als Dienstleister gesehen, sondern als ebenbürtige Partner. Das bedeutet, dass es in einem gesättigten Markt, wo du 14 ähnliche Produkte hast, dein Job als Werber ist, den Anstand zu haben und zu sagen: Diese Sonnenbrille kann nichts besser oder schlechter als alle anderen. Über den Preis werdet ihr nicht überleben. Also müsst ihr an diesem Produkt etwas tun, eine relevante Wahrheit kreieren.

de Felice: Aber Moment. Ich habe eine konkrete Frage. Du bist weltweiter Kreativchef von DDB, der Hauptkunde ist Volkswagen. Das ist ein Milliardenmarkt, hier geht es um so viele Arbeitsplätze, Wertschöpfung in so vielen Ländern. Im November kommt ein neuer Golf raus. Hier geht es um essenzielle Dinge. Wenn ein neuer Golf rauskommt, bedeutet das einen Meilenstein in der Geschichte der Mobilität. Wie geht ihr an so eine Sache heran? Und wo entsteht eine solche Kampagne?

Kassaei: Wenn der neue Golf eingeführt wird, und das ist das wichtigste Produkt des VW-Konzerns, dann schließt man sich eineinhalb Jahre vor Einführung mit dem Entwicklungsteam zusammen. Also mit den Designern, den Ingenieuren, den Produktmarketern zusammen.

de Felice: Wer ist man?

Kassaei: Die Agentur und das Team, die dafür verantwortlich sind. Das Kernteam sind sechs, sieben, acht Leute. Dann fängt man an, strategisch darüber nachzudenken, wie man ein Produkt konzeptionell produktseitig und auch marketingtechnisch positioniert, das ja eigentlich wie Luft und Wasser ist, eine Commodity. Den Golf gibt es seit 40 Jahren. Und wenn ein neuer Golf sieben rauskommt, ist das nicht gerade die größte Nachricht.

de Felice: Der Golf ist einfach da. Wie das Wasser aus der Wasserleitung.

Kassaei: Genau: Was muss man also mit diesem Produkt produktseitig und auch marketingtechnisch tun, damit dieses Produkt eine Relevanz bekommt im Kontext der Gesellschaft, im Kontext der Zielgruppe. Wir reden hier von einem Auto, das eigentlich eine ältere Zielgruppe hat. Bei jedem Modell will man grundsätzlich die Zielgruppe jünger machen.

Und im Kontext der wirtschaftlichen Situation und der Kultur. Und dann schließt man sich ein mit dem Kunden und denkt darüber nach, wie ich einem Produkt, das wie Wasser und Luft ist, etwas Relevantes mitgeben kann. Das im Kontext seiner Einführung funktioniert und für die Leue, die in einem wirtschaftlichen Umfeld leben wie Eurokrise usw. sich für ein neues Auto interessieren und wenn sie sich für ein neues Auto interessieren, dann für den neuen Golf. Das ist ein beinharter Knochenjob.

Die Einführungskampagne für den neuen Golf VII wird nie national oder international einen Preis gewinnen. Nie. Das war nie der Fall, und wird nie der Fall sein. Die Frage ist, hast du die Herausforderung geschafft, die der Kunde dir gestellt hat, nämlich, dieses Produkt so zu positionieren, dass es zum Erfolg wird.

Für die Einführungskampagne des Golf wird man nie einen Werbepreis gewinnen. Weil es nicht spitz ist oder innovativ im Sinne der Werbejuries und für den globalen Massenmarkt funktionieren muss. Aber wenn man es gut macht, hat man Kreativität meiner Meinung nach richtig eingesetzt. 

de Felice: Wir haben alle den kleinen Jungen noch in Erinnerung (Darth Vader für Passat, von der Agentur Deutsch aus Los Angeles, Anm.)

Kassaei: Aber das war ein Markenfilm für die SuperBowl. Das ist ja kein Film, der den Passat erklärt oder kommuniziert. Das ist ein Markenfilm. 

De Felice: Hast du nicht mit einem GTI-Film einen Löwen gewonnen?

Kassaei: Ja, aber ein GTI hat eine spitze Zielgruppe, bei einem Golf redest du von einem 18-Jährigen bis zu einem 90-Jährigen alle an. Und das ist, was man kreatives Handwerk in der Werbebranche nennen sollte. Hier wird teilweise Kreativität falsch dargestellt.

Indem man den jungen Leuten erklärt, du bist kreativ, wenn du ein paar Preise gewonnen hast. Und nicht, dass du über Jahre hinweg ein Handwerk in aller Perfektion beherrschen musst auf echten Problemen eines Kunden, trotz wenig Budget, trotz engen Timings.

Das muss man den jungen Leuten beibringen: Wenn du das kannst, wenn du fünf, sechs Kampagnen in deiner Mappe hast, die in Österreich eine Marke, ein Produkt oder ein Unternehmen nach vorne gebracht haben, dann bist du ein guter Kreativer.

de Felice: Aber wer soll ihnen das beibringen? Die Ausbildungsstätten oder die Agenturen? Wem könnte man diese Aufgabe zutrauen?

Kassaei: Beiden. Aber einerseits sind die Schulen, die Universitäten zu weit weg von der Praxis, von dem was tatsächlich passiert. Du erlernst zwar Grundlagen, aber die bringen dir im täglichen Agenturleben nur bedingt etwas. 

de Felice: Von den Jungen wollen viele zum Beispiel zur Miami Ad School. Aber bei uns, im Sozialstaat Österreich, ist es ja so, dass Bildung nichts kosten darf. Auswirkung: Bei uns lehren - vorsichtig ausgedrückt - Menschen, die im Job keinen Platz mehr haben, aber dafür Zeit.

Anderswo unterstützt die Industrie und Wirtschaft die besten Universitäten und Ausbildungsstätten, damit sie die tollsten Professoren bekommen und damit die besten Absolventen. Das haben wir in Österreich definitiv nicht. Hier gibt es viele Fachhochschulen mit namenlosen Unterrichtenden.

Kassaei: Ja, das ist ein Problem. Aber bei der Miami Ad School würde ich auch ein dickes Fragezeichen machen. Da bezweifle ich, dass den jungen Leuten das Richtige gelehrt wird. Ich glaube, man bringt denen bei, Zombiekreationen sehr schnell zu produzieren. Wenn du dir diese Miami Ad School-Absolventen ansiehst, die sind zwar im ersten und zweiten Jahr, was Preise anbelangt, erfolgreich, aber dann versagen sie bei realen Briefings. 

Das Problem Nachwuchs muss man anders angehen. Das muss nach einem Leistungs- und Eliteprinzip angelegt sein. Da müssen wir von der Branche uns darum kümmern.

de Felice: Elite ist in Österreich ein gefährliches Wort. In unserem Sozialstaat wird das sofort als Klassengesellschaft und pfui angesehen.

Kassaei: Elite meine ich in dem Sinne: Die Besten der Branche unterrichten die besten Talente im Sinne der Gemeinschaft. Das ist auch sozial.

De Felice: Im jetzigen System jammern nach Cannes Agenturchefs, die dort in Jurys sitzen, und Kreative, die sich hinter ihren Trottelnamen in Postings verstecken, und hauen gemeinsam auf unsere Branche hin. Das ist das perverse österreichische Modell.

Kassaei: Das ist der eine Teil. Der andere, gravierendste Teil ist: Wir sitzen in entscheidenden Positionen von Agenturen und machen nicht genug und nicht das Richtige für die Jugend. Viele leben nicht das Beispiel vor, sind nicht das Vorbild, damit junge Leute Orientierung und Perspektive haben, was es bedeutet, ein Kreativer zu sein.

Denn in vielen Agenturen herrscht das Zweiersystem: Scheiß auf die Briefings der normalen Kunden, die werkeln wir ab, da sagen wir auch nie nein, das machen wir genau so. Und dann hast du noch deine Spielwiese für Zombiekreationen, die du dann einreichen kannst, damit du Preise gewinnst. Und das leben wir den Jungen vor. Das müssen wir auch ändern. 

Ich glaube aber auch, dass wir die bestehenden Nachwuchsinstitutionen in Österreich - und nicht nur in Österreich - überdenken müssen.

Die gesamte Branche muss sich fragen: Wollen wir ernst genommen werden, wollen wir das, was wir machen, ernst nehmen? Weil, wenn wir das nicht tun, dann haben wir auch keine Reputation mehr bei Kunden.

Denn wie behandeln Kunden ihre Agenturen mittlerweile? Wie ein Stück Dreck, wie einen Fußabstreifer. Wir sind ja mittlerweile Dienstleister. Wenige Agenturen - ihr gehört da dazu - werden als Partner wahrgenommen. Alle anderen sind Arschlöcher und gehen hinten durch den Lieferanteneingang hinein und wieder hinaus. 

Das haben wir uns auch selbst zuzuschreiben. Ein Herr Koblinger rühmt sich, seit 30, 40 Jahren in Österreich zu der führenden Riege der Werbemanager zu gehören. Er ist in einer Titan-Jury in Cannes gesessen, und gibt nicht weiter, was essenziell ist. Er sagt: Wir kriegen es nicht hin, weil die Kunden zu blöd sind. Das finde ich fahrlässig und kriminell.

de Felice: Koblinger lebt offensichtlich das klassische internationale Teufelswerk. Er kann ja anscheinend nicht frei entscheiden, zu Kunden nein zu sagen. In Österreich verschwinden immer mehr internationale Agenturen, andere verlieren ihre Bedeutung. Als ich angefangen habe, wurden die großen internationalen Networks bewundert.

Österreichische Kunden schauen zurecht nur auf ihren Markt. Eine Kampagne wie "Weg mit dem Speck" oder der "Hausverstand" würde bei einem japanischen Juroren nie ein Häferl reißen, weil er den Wortwitz nicht versteht. Und schon wird das abgefiltert. Unsere Jungen werden trainiert drauf, dass sie möglichst Kreation erzeugen ...

Kassaei: ... die jeder versteht. Nein, anders und noch viel schlimmer. Stell dir vor, VW wäre ein Unternehmen, das den Ruf hätte: 99 Prozent aller Produkte kommen nie aus dem Stadium des Prototypen heraus. Und die Serienfahrzeuge sind im Vergleich dazu beschissen.

Was glaubst du, wie lange es VW geben würde? Das ist das Perverse, was unsere Branche, unsere jungen Leute zur Zeit machen.

de Felice: Deutschland bringt zu meiner Überraschung - laut Cannes - keine großen internationalen Kampagnen zustande. Das können Amerikaner und Engländer sehr gut, auch die Atmosphäre dieser Werbung. Sie ist immer sympathisch, sie rührt das Herz, sie ist freundlich. Allein die Sprache ist oft wie ein warmes Frotteehandtuch um den Hals. In Österreich glaubt man, gute Kreation ist zynisch, anprangernd und fast gemein. 

Kassaei: Das ist die österreichische Seele. Der Österreicher kompensiert seine Minderwertigkeit durch extrem ausgeprägten Zynismus. Das liegt in unserer Kultur. Und wäre nichts Schlechtes , wenn wir das richtig kanalisieren würden. Schau dir den schwarzen Humor der Engländer an. Die haben auch diesen doppelbödigen, zynischen Humor. Aber sie setzen ihn eben intelligent ein. 

de Felice: Die Engländer haben das göttlich Selbstironische. Wir haben das Raunzige, das Beißende, auch in der Werbung.  Würde man die Jungen dazu bekommen, dass sie jemanden charmant verführen müssen, würde auch diese Zombiewerbung anders aussehen. Zombiewerbung, die du meinst, ist teilweise einfach kindisch. Die ist nie warmherzig, nie sympathisch.

Um noch einmal zu Cannes zu kommen. Der Film Grand Prix für Chipotle ist 1.36 Minuten lang. Fragt sich dort jemand, ob das jemals in einem TV-Sender gelaufen ist? Das kann ich mir mediamäßig nicht vorstellen.

Kassaei: Cannes Grand Prix 2012: Wenn du mich fragst, welche Arbeit mich am meisten beeindruckt und begeistert hat, sind das keine klassischen Werbeideen. Die Small-Business-Day-Idee - so definiere ich Kreativität einer Werbeagentur.

Das zeigt, welche Kraft in unserem Talent steckt, wie wir Märkte und Länder im Guten bewegen können. Genau das tun wir zuwenig, weil wir im Kämmerchen sitzen und uns Gedanken über lustige Kalauer machen für Anzeigen für Getränke oder Produkte, die es nie gegeben hat für Juroren aus Japan, die dann sagen, he super, dafür bekommst du einen bronzenen Löwen. Das ist der Wahnsinn.

Aber versuchen wir es positiv und konstruktiv. Seit Jahrzehnten schreibt diese ominöse Machenschaft namens Österreich Werbung Etats aus und fährt dann Kampagnen, die weder mit Österreich noch mit dem Ziel zu tun haben. Wieso setzen sich nicht alle Agenturmanager in Österreich zusammen und sagen: Wir wollen uns als Branche des Themas Tourismus und der Marke Österreich ernsthaft annehmen und selbst organisieren.

Eine solche Initiative würde ihre Verantwortung ernst nehmen. Wir beweisen dem Land, der Wirtschaft, dem Tourismus, was wir können. Öffentliches Briefing, jedes junge Kreativteam aus Österreich darf daran teilnehmen. Echtes Briefing, echte Aufgabe: Was muss ich tun, damit Österreich als touristisches Land für die globale Zielgruppe attraktiver wird. Stattdessen sieht man Pinguine oder was auch immer.

Wenn alle Agenturen und alle Medienhäuser in Österreich zusammenkommen und das gemeinsam angehen: Wir zeigen, was geht. Das wäre eine geile Aktion, da geht es dann auch nicht um Neid oder Missgunst, dass DDFG, Demner, Koblinger oder Jung von Matt den Etat gewinnt, sondern das beste Team mit der besten Idee. Da könnte man zeigen: Was kommt heraus, wenn wir in einer perfekten Welt so könnten, wie wir wollten. Ohne ja, aber.

Aber das funktioniert nur, wenn wir alle unsere Neidgesellschaft und Eitelkeiten aufgeben: Und wenn wir gemeinschaftlich an einer guten Sache arbeiten wollen. Ich zweifle, ob alle Herrschaften Interesse hätten.

de Felice: Völlig richtig, dein Zweifel. Aber wo wir von Hoffnung und Zukunft reden: Bleiben wir bei der Jugend. Wir wurden auch von der Werbeakademie gefragt, ob wir nicht öfter dort unterrichten wollen. Warum nicht - nur schimpfen und stänkern ist ja zu wenig. Ich würde sofort, wenn das System passen würde. So passen, dass auch gestandene Werbeleute enthusiastisch mittun, damit der Werbenachwuchs gieriger, härter, bösartiger wird, und wir das Gefühl hätten, die wollen unsere Sessel. Momentan habe ich nicht das Gefühl, dass ein Junger unterwegs ist, der meinen Chefsessel will. 

Kassaei: Weil ihn das nicht interessiert und er will den Spaßteil. Also am besten gar nicht anstrengen, zweimal im Jahr mit einer Zombiekreation eine Venus gewinnen und dann bist du eh der gefeierte Star. Deine Freunde klopfen dir im Kaffeehaus auf die Schulter und sagen, du bist super. Dass das nichts bedeutet, hat man ihnen leider nicht erklärt.

De Felice: Das Schlimme ist, wenn das nicht funktioniert, bekommen sie sofort einen Erschöpfungszustand und gehen in eine Karenzform. 

Kassaei: Die junge Generation ist nicht mehr so besessen und leidenschaftlich, was diese Branche anbelangt. Sie beschäftigen sich nicht mehr so substanziell damit, wie es viele andere in unserer Generation gemacht haben.

de Felice: Würdest du noch einmal in die Werbung gehen, wenn du 20 bist?

Kassaei: Ja. Weil es noch immer eine der geilsten Branchen der Welt ist. Weil sie Menschen und die Gesellschaft zum Besseren verändern kann. Du kannst Gutes tun, wenn du es ernst nimmst. Welche Branche gibt es, wo du dein Talent einsetzen kannst und Gutes tun kannst?

Die Schulen und Fachhochschulen und Werbeakademien und Meisterklassen sind nicht das richtige System. CCA und IAA sollten ein Lehrprogramm erarbeiten und junge Leute aus Agenturen zwei-, dreimal im Jahr für jeweils eine Woche, eineinhalb Wochen, in Ausbildung schicken: Dort lehren die Besten der Branche. In von fünf oder sechs Blöcken hast du eine Zusatzausbildung machen - und, wichtig in Österreich, einen Titel!

Aber die Agenturchefs müssten diese richtige Definition von Kreativität auch mal vorleben. Den Leuten erklären: Cannes ist nicht alles. Wenn du in der Kategorie Print für Milchprodukte eine Anzeige in Brasilien machst, die kein Arsch kennt, weil sie nie gelaufen ist, ist das keine Leistung. Aber es ist eine Leistung, wenn du für ein kleines Hutgeschäft in der Mariahilferstraße eine Idee hast, wie der sein Geschäft entwickelt, dann ist das eine Leistung. Wenn man so etwas vermitttelt, hat man den ersten richtigen Schritt gemacht. 

de Felice: Von wegen Meisterklasse - solltest du nicht Walter Lürzers Meisterklasse übernehmen?

Kassaei: Bevor der internationale Job kam, war ich kurz davor, die Nachfolge von Lürzer anzunehmen. Das habe ich leider nicht machen können, weil ich den Job physisch gar nicht antreten könnte. Da müsste ich einen Tag in der Woche in Wien sein. Aber das wäre etwas, was ich gerne irgendwann machen würde.

Es gibt ja ein Leben nach der Werbung. Das Thema Schule liegt mir am Herzen. Dann etwas aufzubauen. Keine normale Werbekacke-Theorie, jungen Leuten Substanz beibringen Mit den besten Leuten in Österreich, das würde mich interessieren. Und dann kann sich der Herr Koblinger hinsetzen, nach fünfzehn Jahren und sagen, wir haben es nicht hingekriegt, aber dann muss er sich selbst an der Nase fassen und sagen, wir waren es und nicht die Kunden.

de Felice: Noch eine Frage zu Cannes: Wenn es offensichtlich so wichtig ist, einen Löwen zu gewinnen und Agenturen soviel Geld in die Hand nehmen. Kann man einen Cannes-Löwen nicht einfach produzieren? Vorschlag an eine österreichische Agentur: Sie holt sich ein brasilianisches Team für zwei Wochen. Das Ziel ist für einen fiktiven Kunden einen fiktiven Spot zu machen und einen Filmlöwen zu gewinnen. Wäre das nicht möglich?

Kassaei: Möglich ja. Die Frage ist nur, tust du dir einen Gefallen damit?

de Felice: Aber es tut sich ja schon jetzt niemand einen Gefallen damit. Wir wissen, dass Fake-Werbung eingereicht wird. Auch aus Österreich.

Kassaei: Nehmen wir ein Gegenbeispiel. Der Cyber-Grand Prix 2012 in Cannes. Hier wurde Twitter als Soziales Netzwerk genutzt, um Schweden zum Thema zu machen. Hier brauchst du kein Geld, kein Produktionsbudget. Da brauchst du gar nichts. Hier haben sich drei, vier junge Leute zusammengesetzt, mit Agenturen, und sich gefragt: Was können wir für das Land tun, indem wir moderne Technologie nutzen? Das Ergebnis hat Substanz. Schweden ist ähnlich groß wie Österreich. 

Aber natürlich können wir hergehen und sagen, wir wollen einen Filmlöwen gewinnen. Also, Denksportaufgabe: Was müsste man tun, wenn es eine nationale Angelegenheit wäre, in jeder Kategorie in Cannes einen Löwen zu gewinnen?

de Felice: Wir hatten in den letzten Jahren verblüffend viele Löwen. Aber nicht im Film, mir geht es jetzt um die Kategorie Film. Das Filmphänomen Winkler/Schmid/Nowotny in den 80er-Jahren mit dem Bronze-Lion und danach nie wieder Filmlöwe, das ist ja mittlerweile ein Treppenwitz der Geschichte. Derjenige, der heute einen Filmlöwen gewinnt, ist ein König. Was könnte man tun? Kolumbianer, Polen, Brasilianer holen, die offensichtlich Löwen aus dem Ärmel schütteln?

Kassaei: Wenn, dann müssen wir es selber machen.

de Felice: Wieso? Bei diesen sogenannten Wettbewerben ist ja mittlerweile alles angeblich erlaubt. Fake-Werbung, Fake-Leute, Fake-Media... Fake, Fake, Fake!

Kassaei: Okay, dann hast du vielleicht kurzfristig Erfolg. Du gewinnst einen Filmlöwen und bist dann wieder in deinem alten Zustand. Oder willst du die nächsten Jahre ein System aufbauen, wo wir regelmäßig ...

de Felice: Moment. Das sind zwei Paar Schuhe. Wir distanzieren uns seit Jahren von diesen Werbepreisen. Und mittlerweile haben wir fast schon Mitleid, wenn man soviel Geld nach Cannes und in die Flüge zu den Parties investiert, statt in den Branchennachwuchs. Vor allem, wenn das dann doch null Erfolg bringt. Da würde ich doch gerne mit einem konstruktiven Vorschlag helfen. Sollen wir den Schröcksnadel der Werbung holen?

Kassaei: Nehmen wir an, deine Agentur holt zwei Afrikaner oder Brasilianer oder wen auch immer und gewinnt den ersten Filmlöwen nach 30 oder 40 Jahren. Was würde die Neidgesellschaft in Österreich sagen? Siehst du, die haben Legionäre geholt, damit sie einen Löwen bekommen.

Darüber werden die Poster auf etat.at diskutieren. Wer immer das macht, die Reaktion wäre nicht Bewunderung, sondern: Das haben keine Österreicher geschafft.

de Felice: Ich bleibe im Provokations-Modell: Dann engagiert man die beiden, zum Beispiel, Holländer schon ein halbes Jahr vorher.

Kassaei: Kannst du machen. Aber viel cooler wäre zu sagen, ein Filmlöwe ist in Österreich eine nationale Angelegenheit. Uns ist egal, von welcher Agentur. Wir tun alles gemeinsam, um diesen Filmlöwen nächstes Jahr zu bekommen. Was müsste man da tun?

de Felice: Gemeinschaftlich geht einmal gar nichts. Das würde auch in Deutschland nicht gehen. Aber bleiben wir einmal in dieser legendären Kategorie Film. Es ist schon ein Phänomen, ich gebe zu: Auch wir als Agentur würden uns nicht ärgern, würde ein Kunde direkt oder ein Freelancer eine Werbung von uns in Cannes einreichen und einen Filmlöwen gewinnen.

Kassaei: Kannst du dich erinnern an den Wind-Energie-Film von Nordpol? Weißt du, wie dieser Film entstanden ist? Da war ein freier Kreativer, der mit dem Script von Agentur zu Agentur gerannt ist und irgendwann bei Nordpol landete. Die haben den Film gemacht, sehr schön umgesetzt. Haben so einen Pseudo-Windkraft-Verband gefunden, den es wahrscheinlich nicht mehr gibt. Mit dem Film haben sie in Cannes Gold gewonnen. Er war sogar in der Diskussion um einen Grand Prix.

de Felice: Der Film hat mich wirklich gerührt, eine ganz schlaue Denke. Aber bleiben wir beim Thema: Wie kriegt Österreich eine Medaille. Bei Olympia, da sind wir ja weniger zuständig, und wie einen Filmlöwen in Cannes? Oder wenigstens wieder mehr Löwen? Damit nicht die große Wehmut, das große Jammern übrig bleiben.

Kassaei: Wir Österreicher tendieren dazu, die Wettervorhersage, die Sternenkonstellation, die Gesellschaft und die Kultur dafür verantwortlich zu machen, dass aus unserem Leben nichts geworden ist. Alle anderen sind schuld, nur wir nicht. Das Problem ist die österreichische Mentalität: Sich bejammern und die Schuld bei anderen suchen. Das sollte aufhören. Wenn wir das ernst nehmen, sollten wir bei uns anfangen.

Und wenn Österreich ein Filmlöwe so wichtig ist, dann soll es sich ein Thema suchen mit Potenzial, ohne die herkömmlichen Hindernisse und Institutionen, an das man frei herangehen kann, das auch der Republik was bringt und ein löwenverdächtigtes Stück Kreation ermöglicht. Mit einem Jahr Zeit, dem nötigen Budget, ohne Agentureitelkeiten und mit den Medienhäusern an Bord: Das wäre eine Ansage.

de Felice: Das funktioniert nicht. Darüber müssen wir noch nachdenken. Wir werden uns nächstes Jahr hier wieder in Ibiza treffen. 

Kassaei: Vielleicht sollten wir ja einfach Herrn Koblinger dazu holen.

de Felice: Vielleicht ist er ja eh da.

Kassaei: Ich glaube wirklich, wir müssen unsere Verantwortung ernst nehmen, dem Nachwuchs Vorbild sein und das Thema Kreativität lösen von dieser Zombiescheiße. Wenn wir das hinkriegen, dann würden wir der Branche einen substanziellen Dienst erweisen.

Wie man Löwen gewinnt, das ist wie bei den olympischen Spielen: Wenn du die richtige Formel hast, das richtige Programm hast und dich ein Jahr lang darauf fokussierst, wirst du es hinkriegen. Aber hilft uns das was? Außer der Tatsache, dass wir einen Löwen gewonnen haben?

de Felice: Ich könnte genauso sagen: Hilft es uns, wenn wir eine Olympische Medaille gewinnen? Aber ja, natürlich. Das hat eine wirtschaftliche Dimension, das hat eine gesellschaftlich-kulturelle Dimension.

Kassaei: Aber wenn du dir die Situation in Europa ansiehst, zum Beispiel hier in Spanien, wo 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit herrscht, wo Leute ihre Existenz verlieren, wenn du diese Menschen fragen würdest, ob es irgendeine Sau interessiert, ob eine Agentur X in der Kategorie Direct einen Bronze-Löwen gewonnen hat. Dann sind wir wie ein Pups im Wald. Das hat keine gesellschaftspolitische Relevanz.

de Felice: Aber möglicherweise kann man mit Kreativität die Wirtschaft ankurbeln.

Kassaei: Anders formuliert: Welche Idee müssten wir in Österreich entwickeln, damit das die Hauptmeldung in der "ZiB 2" wäre - wie bei olympischen Medaillen? Und nicht, dass irgendwelche idiotischen Werber irgendwelche nackten Weiber auf ein Plakat gemacht haben. 

de Felice: Versteckt und in der zweiten Ebene passiert das ja schon längst, auch in der ZiB. Wir sind ja Teil der Wirtschaft. Wenn es heißt, dass das Unternehmen X höhere Gewinne erzielt hat oder es dem Unternehmen Y gut geht. 

Kassaei: Aber sehr selten kommt die Rolle einer Werbeagentur dabei vor. Eine Idee, die aus Österreich kommt und die im Markt etwas bewegt hat, dem Unternehmen geholfen hat und darüberhinaus so grandios ist, dass die Werber aller Welt sagen, schaut her, was die gemacht haben.

Wie Südkorea, nicht gerade die Werbenation schlechthin, mit einer Aktion in der U-Bahn den Grand Prix 2011 geholt hat, in dem man einfach Wände in der U-Bahn mit Produktbildern mit QR-Code vollgepflastert hat. Du kannst den Code abscannen, bestellen, der Supermarkt liefert das Zeug nach Hause. Das war eine kleine Idee, in Soul geboren von einer kleinen Agentur, die weltweit in den Nachrichten war. Ein Beispiel von sinnhaftem Umgang mit Technologie. Hat alle renommierten Werbepreise gewonnen und hat genau diesen Effekt erzielt.

Warum können wir in Österreich sowas nicht tun? Das können wir! Aber es muss real sein. Es muss eine Idee entstehen für, sagen wir: für Steyr Daimler Puch, Voest Alpine oder KTM oder Red Bull oder Raiffeisen oder für Bawag. Wieso kriegen wir das nicht hin?

de Felice: Ich bin jetzt nicht so negativ und pessimistisch. Unserer Wirtschaft, dem Handel etwa, geht es Österreich ausgesprochen gut im Vergleich zu anderen Ländern. Wir haben sehr gut funktionierende Wirtschaftszweige. Armut und Arbeitslosigkeit halten sich in Grenzen. Und dahinter stehen Unternehmen, die Power haben, Dynamik, und ihre Werbeagenturen.

Aber wenn wir nicht gerade vom Wintersport reden, kann keiner verlangen, dass Österreich bei internationalen Bewerben mit China, USA, Japan, Deutschland mithält.

Kassaei: Aber wenn du Holland nimmst, mit einer ähnlichen Bevölkerung wie Österreich: Die stehen bei internationalen Werbepreisen immer viel besser da als Österreich. Also: Wie schaffen wir das? Substanziell und nicht so wie Brasilien, die ich nicht ernst nehmen kann. Die Arbeiten sind zu 99,9 Prozent Zombiekreationen.

Wenn du dir einen österreichischen Werbeblock im Vergleich zu einem brasiliansichen anschaust, musst du dich weder verstecken noch sagen: Um Gottes Willen! Aber die Brasilianer haben in der Hinsicht kein Gewissen, die haben sogar in ihren Agenturgebäuden hinten im Hof Plakatstellen, die sie für Cannes bekleben.

de Felice: Können wir die Brasilianer also als schamlos einordnen?

Kassaei: Nicht nur die Brasilianer machen das. Die Franzosen genauso. Die Deutschen auch. Nichts gegen Alexander Schill, den ich von meinen Springer-&-Jacoby-Zeiten sehr gut kenne.

Nur: Ich kann eine Agentur Serviceplan nicht als Kreativagentur bezeichnen, nur weil sie mit selbstgemachten Basteleien bei Kreativwettbewerben gewinnt. Die reale Arbeit der Agentur ist diametral entgegengesetzt.

Ich hätte kein Problem, wenn Serviceplan zwei gute Kampagnen im Jahr machen würde für große Marken in Deutschland, die wirklich Märkte bewegen, auch handwerklich grandios, und daneben diese Zombiekreationen.

Wenn aber eine Agentur ihren Ruf hauptsächlich davon holt, dass sie angeblich für eine Solarfirma in Österreich einen Geschäftsbericht druckt, der nur bei Tageslicht zu sehen ist, frage ich mich: Wieso soll ich diese Agentur ernst nehmen? Das ist der Trend, der mir Sorgen bereitet.

Nicht, dass ich sagen würde, DDB macht bei diesem Spiel nicht mit. Klar machen wir auch mit. Alle machen mit. Nur: Das Verhältnis muss stimmen. Wieden & Kennedy macht für Nike, für Chrysler große Kampagnen, und nebenbei noch so drei vier kleine Sachen. Hut ab.

Wir wollten Österreich nach vorne bringen. Also: Wir sind eine Industrienation, wir gehören zur ersten Welt, also müssen wir auch in der Werbung erste Welt sein. Unter die ersten zehn müssten es schaffen. Aber substanziell.

Es wäre grandios, wenn eine Kampagne für die Bawag, die in Österreich jeder kennt, in Cannes einen bronzenen Löwen gewinnt. Oder wenn Demner mit einer Promotionaktion in Social Media für Darbo in Cannes Silber macht. Wenn Jung von Matt für Mercedes eine kleine Printkampagne macht, die nur in Österreich bekannt ist, aber die hier jeder gesehen hat, und die gewinnt in Cannes Gold bei Print. Dann sage ich: Wow. 

Dann kann man sich in Cannes als Österreich-Delegation in einer Pressekonferenz hinstellen und sagen: Wir sind vielleicht bei der Anzahl der Medaillen nur Nummer zehn oder zwölf.

Aber wir sind die einzige Nation, wo jede Arbeit eine reale substanzielle, beauftrage Kampagne ist. Und wisst ihr was, Brasilien: Fuck you. Wir schieben Euch hinten den Daumen rein und zeigen euch die anderen Daumen und sagen: Schaut, wir haben noch zwei.

Das wäre groß, dann bist du einmalig. Und das kriegen wir hin, wenn wir das als nationale Angelegenheit ernst nehmen.

Das Talent haben wir. Es gibt Kunden, die das auch zulassen und unterstützen würden. Die auch sagen: Ich möchte einmal zu einer gestellten Aufgabe nicht nur 08/15 sehen, ich will was sehen, was anders ist.

Wenn wir das hinkriegen würden, dann wäre Österreich obenauf. Dann hast du auch ein Signal gesetzt in Richtung nächste Generation. 

de Felice: Aber du könntest das ja machen, ihr habt ja eine Agentur in Österreich.

Kassaei: Da bin ich zu weit weg. Ich habe die weltweite Verantwortung, bin aber operativ nicht in den Agenturen drin. Die österreichische Agentur berichtet von der Hierarchie her der deutschen Führung. Ich kann den Deutschen den Auftrag geben, in Österreich mit der Agentur das Ziel zu verfolgen.

Das könnte ich machen, aber wenn die Deutschen das selber nicht immer hinkriegen, wird es schwierig. Du siehst ja, ich habe damals gesagt, und da wurde ich auch beschimpft: Wir wollen nicht über Nacht das Phänomen Jung von Matt werden.

Mein Ziel für DDB wäre, über mehrere Jahre hinweg eine ernsthafte Agenturmarke zu sein, die auch kreativ eine Rolle spielt.

Wir haben auch die richtigen Schritte gemacht. Aber wir haben uns von dieser Marschroute weg bewegt. Es steht mir nicht zu, das operativ jetzt zu beurteilen. Ich finde aber, es ist nicht das, was wir eigentlich wollten in Österreich.

de Felice: Hier sitzen zwei Österreicher mit verschiedenen Intentionen zum Thema Werbefestivals und betrachten London-Olympia und Cannes. Jetzt könnte der Leser denken: Diese blöden Arschlöcher sitzen in ihrem gemachten Nest, geben Thesen aus, aber selber werden sie nichts dafür tun. Der eine verkrümelt sich dann wieder nach New York oder Shanghai.

Kassaei: Doch, doch, ich würde gerne die Initiative, von der ich zuvor gesprochen habe, anführen. Wenn man mich ernst nimmt. Aber ich polarisiere extrem. Würde ich eine solche Aktion ins Leben rufen, würden die Leute, die mich nicht mögen, diese Initiative vermutlich zerstören. Ich würde das im Hintergrund anschieben wollen. Das müsste jemand initiieren, dem keiner Provokation oder Bösartigkeit unterstellt. 

de Felice: Schlage vor: Wir treffen uns in einem Jahr hier wieder und analysieren das Jahr 2013.