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Die Hände sind ein wichtiges Instrument des Energethikers.

Foto: APA/Rob Carr

Die Sonne stand hoch am Himmel, als Nora, die seit ihrer Kindheit an einer Bienen- und Wespengiftallergie leidet, in ihrem Garten in Bad Aussee auf eine Biene trat. Ihr Notfallset hatte Nora nicht dabei, dafür jedoch den Meister-Schamanen Herwig Steinhuber. Noch an Ort und Stelle führte Steinhuber eine "Allergielöschung" durch.

Bei der "Rainbow Reiki Allergielöschung" werde die Ursache bzw. der Auslöser eines Problems hinterfragt und dann dauerhaft aus dem System des betroffenen Menschen gelöscht. Ein Krankenhausnotaufenthalt sei daraufhin nicht mehr notwendig gewesen: "Mittlerweile wurde Nora öfters von Wespen oder Bienen gestochen, die Reaktion ist vergleichbar mit einem Gelsenstich", berichtet Steinhuber nicht ohne Stolz.

Steinhuber ist nur einer von 13.282 Personen, die derzeit in Österreich als Energethiker* gemeldet sind und über eine entsprechende Gewerbeberechtigung verfügen. Da es sich um ein freies Gewerbe handelt, müssen die eingetragenen Energethiker keinen Ausbildungsnachweis erbringen. 

Rainbow Reiki

Bevor Herwig Steinhuber Meisterschamane wurde, war er, wie viele seiner Klienten, in der Wirtschaft tätig. In die Esoterik verschlug es den gebürtigen Deutschen eher zufällig: "Begonnen hat alles mit meinem Interesse für Lebensenergie und dem Besuch verschiedener Kurse. Dann habe ich mich immer weiter fortgebildet, ohne zu wissen, was daraus werden sollte."

Heute ist Steinhuber einer von weltweit fünf Großmeistern des "Rainbow Reiki", einer Methode der Heilung und Persönlichkeitsentwicklung, die japanisches Reiki "mit zusätzlichen schamanischen Geistheilungselementen" verbindet und spirituelle Lebensenergie von Mensch zu Mensch überträgt. Steinhuber bietet zwar Behandlungen an, beschäftigt sich jedoch hauptsächlich mit der Ausbildung von Schamanen.

Seine Tätigkeit veranschaulicht er mit einer Szene aus dem Buch "Harry Potter und der Gefangene von Askaban". "Auch wir zaubern sehr, sehr viel", erklärt Steinhuber nüchtern.

Wie der Zauberschüler Harry sollen seine Klienten in die Vergangenheit und in die Zukunft eintauchen und erkennen, dass sie sich selbst helfen können. Der Klient muss selbst mitmachen, da der Heiler nur 50 Prozent übernehmen kann. Steinhuber weist jedoch darauf hin, dass "man nicht an Schamanismus glauben muss, um die Techniken zu erlernen".

"Gläubige" Österreicher

Dabei scheint die Mehrheit der Österreicher ohnehin "gläubig" zu sein. Eine Studie des Linzer Instituts Spectra ergab, dass 68 Prozent der Österreicher zumindest an ein übernatürliches Phänomen wie Gedankenübertragung, Wunderheilung oder Hellsehen glauben. Auch manch österreichischer Politiker ist der Esoterik nicht abgeneigt. Auch Gerhard Köfer, Neo-Mitglied der in Gründung befindlichen Stronach-Partei, ist Teilzeit-Energethiker. Er verfügt nach eigenen Angaben über "Hände wie Starterkabel". 

Heilung per Telefon?

Auch über die Ohren kann geheilt werden. Susanne Schenk arbeitet seit sechs Jahren als "Spiritcoach" und betreibt eine Praxis für Energethik in Wien. Seit kurzem bietet Schenk über eine Plattform telefonische Sofortberatung an. Anders als bei ausgebildeten Psychologen können Interessierte - für 2,79 Euro pro Minute - mit Energethikern und Schamanen auch am Telefon bereden, "was man tun soll".

Manche Berater bieten auch einen Energieausgleich übers Telefon an. Schenk ist von diesem Service allerdings nicht so überzeugt. Sie versucht ihre Anrufer durch ein Gespräch zur richtigen Fragestellung zu führen. Denn für den "Spiritcoach" gilt frei nach Albert Einstein: "Man kann ein Problem niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die es entstanden ist." 

"Energethiker sind medizinische Laien"

Dr. Christian Plaue ist Allgemeinmediziner und Vorstandsmitglied der Wiener Internationalen Akademie für Ganzheitsmedizin. Er sieht ein großes Problem in der Einstufung des Energethikertums als freies Gewerbe: "Jeder kann sich einen Gewerbeschein holen und dann als Energethiker an Patienten herumdoktern."

Plaue betont, dass "viel Schindluder" betrieben werde und Energethiker "medizinische Laien" seien - außer es handelt sich um Ärzte, die Energiemedizin ausüben, was durchaus vorkommen soll. Im Gegensatz zu Ärzten dürfen Energethiker keine Diagnosen stellen, keine Therapien durchführen und keine Krankheiten behandeln. Das ist auch im Gesetz eindeutig geregelt.

Meisterschamane Steinhuber gibt an, seine Klienten vor einer Sitzung explizit darauf hinzuweisen, dass "ich kein Arzt, kein Heilpraktiker und kein Apotheker bin, sondern nur begleitend mit der Schulmedizin arbeite". Laut Plaue suchen jedoch viele Menschen einen Energethiker auf, weil sie mit konventionellen schulmedizinischen Methoden nicht den gewünschten Erfolg erzielen.

Zudem sei Kurpfuscherei nur sehr schwer nachweisbar, so Plaue: "Mehrere Zeugen sind nötig, um einen Energethiker rechtlich belangen zu können." Viele Energethiker würden ihre Klienten auch ein Formular unterschreiben lassen, dass sie nur das Energiesystem des Patienten unterstützen, um so für Konsequenzen nicht haftbar zu sein, erklärt Plaue.

Komplementärmedizin

Klar abzugrenzen von der Esoterik ist die Komplementärmedizin, die nur von entsprechend ausgebildeten Ärzten angeboten werden darf. Österreichweit gibt es 5.481 niedergelassene Ärzte, die im Rahmen von Weiterbildungskursen Diplome für komplementärmedizinische Methoden wie Akupunktur oder Homöopathie erworben haben.

Diese Zusatzausbildungen werden beispielsweise von den Mitgliedsgesellschaften des Dachverbandes österreichischer Ärztinnen und Ärzte für Ganzheitsmedizin angeboten. 

Eine Therapie wird als komplementär bezeichnet, wenn sie zusätzlich - das heißt als Ergänzung - zu konventionellen schulmedizinischen Behandlungen angewendet wird. (Lisa Winter, derStandard.at, 29.8.2012)