Einiges dürfte sich im Fall des entführten Anwalts Erich Rebasso inzwischen geklärt haben, vielleicht kommt es irgendwann gar zu lückenloser Aufklärung. Ewig ungeklärt hingegen wird die Frage bleiben, ob nun die "Kronen Zeitung" oder "Österreich" durch lauteres Marktgeschrei jede Rücksicht auf das Opfer vermissen ließ. Wenn diese beiden Blätter um die Palme der Sauberkeit im Journalismus ringen, geht es rasch ziemlich schmutzig zu, und nur eine Erkenntnis drängt sich auf: Sie sind einander wert.

"Wie weit darf Berichterstattung gehen?", seufzte der Chronikchef der "Krone" im Mittwoch-Blatt kummervoll angesichts dessen, was er Dienstag im "Gratisblatt 'Österreich'" zu lesen bekommen hatte. Es ist nämlich so: "Auch wenn Journalisten immer die Grenzen ausloten sollen und sich dabei oft bis an die Ränder des Vertretbaren bewegen - darüber hinaus darf es nicht gehen." Für solch noble Zurückhaltung ist niemand bekannter in diesem Land als die "Krone". "Der eindringliche, fast händeringende Appell" der Polizei, bitte "keine Story mit 500.000 Lösegeld" verhallte beim Kleinformat gehört, bei "Österreich" ungehört. Dort wollte man wieder einmal "die Grenzen ausloten", ignorierte die "händeringende" Polizei und publizierte die "Story mit 500.000 Lösegeld" unter Berufung auf die Familie des Opfers. Kurz: "Das Gratisblatt prescht genau mit dieser Meldung voran. Weil es sich damit so wunderbar (und wenn möglich 'exklusiv') auf den Markt hinausschreien lässt" - etwas, was der "Krone" niemals einfallen würde. Reinen Gewissens konnte sie daher feststellen: "Ist die Gesinnung der Berichterstattung erst mal so billig wie die Aufmachung, ja dann, liebe Kollegen, dann gute Nacht."

Auf diese folgte der Morgen des Donnerstag, und damit die Retourkutsche "aus der 'Österreich'-Redaktion. Dumm-dreist sei die peinliche Rolle der
,Krone' im Fall Rebasso", und warum, liegt auf der Hand. "Seit dem Tod des legendären Hans Dichand ist die Kronen Zeitung in einer schweren Krise. Der Zeitung laufen scharenweise die Leser davon, das Kleinstformat wird inhaltlich immer schlechter und journalistisch immer peinlicher." Da konnte es nicht ausbleiben: "Aus reinem Konkurrenz-Neid verfasste die Redaktion daraufhin gestern ein Pamphlet gegen 'Österreich'. Uns wurde darin 'Skrupellosigkeit', 'Gier nach der schnellen Schlagzeile' etc. vorgeworfen" - lauter Eigenschaften, die man außerhalb der "Krone" dem "legendären" Wolfgang Fellner niemals zuschreiben würde.

Dort hat man doch keine Ahnung von "verantwortungsvollem Jouralismus. Was die 'Krone' nicht wusste: 'Österreich' hatte die Info über die Lösegeld-Forderung vom Vater des entführten Anwalts. Die Story entstand also" vielleicht gegen den "händeringenden Appell der Polizei, aber nicht GEGEN den Willen der Familie, sondern mit ihrem Wissen. Das entspricht allen Regeln eines verantwortungsvollen Journalismus."

Ob sich da nicht eine kleine Regelwidrigkeit eingeschlichen hat, muss offen bleiben. Hatte dazu doch ein Mitglied der Familie, der Bruder des Opfers, in der "Krone" erklärt: "Schlimm genug, dass wir keine Gewissheit darüber haben, ob er überhaupt noch lebt. Aber dann muss man auch noch zusehen, dass es den Journalisten dieses bunten Blattes offenbar völlig egal ist, ob sie mit Veröffentlichungen von sensiblen Informationen eventuell Erichs Leben auf dem Gewissen haben." Was kann "Österreich" dafür, wenn Vater und Bruder des Opfers uneins sind?

Im Gegenteil, das "Gratisblatt" hatte allen Grund zu gerechter Empörung. "Es war der AUSDRÜCKLICHE WUNSCH des Vaters, über diese Verhaftung" (der
mutmaßlichen Entführer) "nicht zu berichten. 'Österreich' hielt sich an den Wunsch des Vaters und berichtete nicht. Das verstehen wir unter journalistischer Verantwortung. Ausgerechnet die 'Krone', die pharisäerhaft von der 'Gier nach der schnellen Schlagzeile' gefaselt hatte, hielt sich an den Wunsch des Vaters nicht und druckte die Meldung eiskalt", Vorverurteilung eingeschlossen: "Polizei verhaftete Rebasso-Entführer", und: "Das Kidnapperduo gefasst!"

Allerdings - "übereilt"! "Nachdem durch die sorglose Veröffentlichung einer Gratiszeitung bezüglich der Lösegeldforderung das Leben des Juristen gefährdet wurde, mussten die Kriminalisten übereilt zuschlagen - von Rebasso fehlt jede Spur!" Dazu "Österreich": "Die 'Krone' sollte sich für ihre peinliche Rolle genieren.

Künftige Entführungsopfer können sicher sein: Der heimische Boulevard unternimmt alles Nötige zu ihrer Rettung. (Günter Traxler, DER STANDARD, 21.8.2012)