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Nachstellung der Schlacht vom 7. September 1812 auf dem historischen Schlachtfeld bei Borodino: Die russische Kavallerie setzte dem napoleonischen Heer während des gesamten Russlandfeldzuges schwer zu.

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Der geschlagene Napoleon mit seiner demoralisierten Truppe auf dem Rückzug von Moskau (Gemälde von Adolf Northern, 1828-1876).

Gemälde von Adolf Northern (1828-1876)

Es ist ein warmer Septembertag. Das Feld, knapp zwei Kilometer vom Dörfchen Borodino entfernt, liegt friedlich in einer Senke. Auf der einen Seite ist ein Wäldchen zu sehen, auf der anderen Seite schlängelt sich das Flüsschen Kolotsch durch das satte Grün.

Plötzlich kommt Bewegung in die Szenerie: Aus dem Wäldchen stoßen französische Infanteristen hervor. Mithilfe ihrer Artillerie treiben die Franzosen die ihnen entgegentretenden russischen Fußsoldaten zurück. Napoleon, auf einem Schimmel am Rande des Schlachtfelds, gibt eifrig Anweisungen zum weiteren Vormarsch. Doch dann greifen Husaren und Ulanen aufseiten der Russen ein. Sie säbeln die Infanterie nieder und nehmen die feindlichen Kanonen ein - ein lautes Hurrageschrei auf den Zuschauerrängen quittiert den Erfolg.

Zuschauer? Richtig. Über 100.000 Menschen verfolgen alljährlich die Nachstellung der Schlacht von Borodino. Organisiert wird das Kostümfestival von militärhistorischen Klubs, deren Mitglieder sich das Ziel gesetzt haben, die Epoche so detailgetreu wie möglich wieder aufleben zu lassen. Dargestellt wird freilich nur ein kleiner Ausschnitt der gesamten Schlacht.

Deren Resultat ist unter Historikern umstritten. Viele westliche Historiker rechnen den Sieg Napoleon an. Erstens, weil er anschließend Moskau einnehmen konnte, und zweitens, weil die geschätzten Verluste der Franzosen geringer waren. Freilich gehen die Zahlen auch hier weit auseinander: Zwischen 70.000 und 100.000 Tote soll es gegeben haben.

Damit war Borodino das blutigste Gemetzel des napoleonischen Russlandfeldzugs. 2500 Soldaten sollen in jeder Stunde der Schlacht gefallen sein. Die Erde habe sich rot gefärbt vom Blut der Gefallenen, das Feld habe sich trotz der wochenlangen Trockenheit zuvor in schlammigen Morast verwandelt, berichten Augenzeugen.

Eine Entscheidung brachte die Schlacht nicht. Napoleon hatte vergeblich auf einen vernichtenden Sieg gehofft. Die Russen mussten zwar am Ende ihre Stellung räumen, doch konnten sie einen geordneten Rückzug antreten, der ihnen die Fortführung des Kampfes erlaubte. Daher pochen auch die Russen auf den Sieg.

Raum und Zeit

Dass es Napoleon im Gegensatz zu früheren Erfolgen nicht gelungen ist, die Russen bei Borodino entscheidend zu schlagen, hatte fatale Folgen. Bei einer solchen Niederlage wäre Zar Alexander I. wohl zu Friedensverhandlungen bereit gewesen, und Napoleon hätte seine Vormachtstellung in Europa ausgebaut. So aber setzte der russische Imperator auf die Faktoren Raum und Zeit - beides hatten die Russen zur Genüge -, während die Franzosen aufgrund der riesigen Entfernungen keinen Nachschub bekamen und den Wintereinbruch fürchten mussten.

Selbst die Einnahme der alten Hauptstadt Moskau führte in St. Petersburg nicht zur Panik. Alexander verbot kategorisch alle Friedensverhandlungen. Stattdessen setzten die Russen ihre alte Metropole in Brand und führten damit ihre Taktik der verbrannten Erde zum finalen Höhepunkt. Dem französischen Kaiser und seiner Grande Armée blieb nichts anderes übrig als der schmähliche Rückzug durch den eiskalten Winter - ständig gepiesackt und demoralisiert von der leichten Kavallerie General Kutusows.

Nach dem verlustreichen Übergang über die Beresina war das einst 600.000 Mann starke Heer Napoleons auf eine Stärke von unter 100.000 zusammengeschrumpft. Die Russen hatten Napoleon eine vernichtende Niederlage zugefügt.

Der verlorene Russlandfeldzug entfachte Signalwirkung. Bonaparte hatte den Nimbus der Unbesiegbarkeit verloren. Auch die anderen europäischen Staaten witterten nun ihre Chance, das Joch der Unterdrückung abzuwerfen. Preußen fiel als erster Zwangsverbündeter ab. 1813 trat auch Österreich, das im Russlandfeldzug des korsischen Feldherrn noch ein Hilfskorps über 30.000 Mann zur Verfügung stellen musste, der Anti-Napoleon-Koalition bei.

Die Befreiungskriege führten zum Ende der Vormachtstellung Frankreichs in Europa. Als eine Koalition, bestehend aus Österreich, Preußen, dem russischen Zarenreich und Schweden bei der Völkerschlacht von Leipzig die eilig neu ausgehobene Armee Napoleons schlug, war der Zusammenbruch nicht mehr aufzuhalten.

Metternichs Regie

Napoleon musste schließlich abdanken. Seine kurzzeitige Rückkehr auf den Thron führte nur zur Wiederbelebung der Anti-Napoleon-Koalition und zur Schlacht von Waterloo.

Auf dem Wiener Kongress, maßgeblich beeinflusst durch Österreichs Außenminister Fürst von Metternich, wurde die territoriale Neuordnung Europas beschlossen. Frankreich verlor alle seine seit 1795 eroberten Gebiete, wurde aber als gleichberechtigt wieder in das Konzert der europäischen Großmächte aufgenommen. Die freilich in den napoleonischen Kriegen erstmals offen geäußerten nationalen Ideen sollten den Kontinent in der Folgezeit noch mehrmals schwer erschüttern. (André Ballin, DER STANDARD, 21.8.2012)